Etliche Spielfilme haben das Gefängnis als Ort gezeigt, aus dem es wie im Ausbrecherfilm zu fliehen oder dessen begrenzten Raum es wie auf einer Kammerspielbühne zu dramatisieren gilt. »Gefängnisbilder« kann aber auch heißen: dokumentarische Bilder, die im Gefängnis selbst entstehen, durch Überwachungskameras, als Schulungsvideos für das Wachpersonal oder als sichtbarer Output von Bilderkennungsprogrammen, die über den genauen Standort des Häftlings informieren.

Harun Farockis Film, der Material der Video-Installation Ich glaubte, Gefangene zu sehen aufgreift und erweitert, verknüpft beide Bildtypen, Bilder des Kinos und Bilder aus dem Justizvollzug. Nach Arbeiter verlassen die Fabrik (1995) und Der Ausdruck der Hände (1997) ist Gefängnisbilder der dritte Film Farockis, der sich einem »filmischen Ausdruck« und seiner Ikonographie, Ökonomie und Politik widmet. Beide früheren Filme finden sich hier wieder: Das Gefängnistor erinnert an das Fabriktor, und innerhalb der Haftanstalten werden die Insassen in handwerklichen Arbeiten diszipliniert, die sie moralisch bessern sollen.

Die Spielfilmsequenzen, die der Film zitiert, stammen ausschließlich aus dem europäischen Kino – Robert Bressons Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen, Jean Genets Un Chant d’amour und Peter Weiss Im Namen des Gesetzes sind zentrale Bezugspunkte, zu denen Farocki mehrfach zurückkehrt. Dennoch richtet sich sein diagnostisches Interesse auf die US-amerikanische Gefängnisgegenwart am Ende des 20. Jahrhunderts. Immer höhere Gefängnispopulationen trotz einer zurückgehenden Kriminalitätsrate lassen an die Prohibition der Zwanziger und Dreißiger Jahre denken. Neben neuen Gefängnisbauten schafft diese Wirklichkeit auch ein neues Bild- und Blickregime. Farocki rückt dies in eine Tradition, das Gefängnis als Labor menschlichen Handelns zu verstehen, als anthropologische und technische Versuchsanstalt, in der das Verhalten des Menschen ebenso wie die Möglichkeiten seiner Manipulation und Konditionierung getestet werden.

So wie in den Bereichen Produktion, Destruktion (Erkennen und Verfolgen; 2003) und Konsum (Schöpfer der Einkaufswelten; 2001) wird auch im Strafvollzug ein Teil der Steuerungsmechanismen sichtbar, die gesellschaftliche Prozesse entweder nachträglich durch Überwachung oder präskriptiv durch Bilderkennung regeln.

Die beklemmendste Sequenz des Films stammt aus einer Überwachungskamera im Hochsicherheitsgefängnis von Corcoran, Kalifornien. In ruckelnden, stummen Bildern sind zwei Häftlinge aus rivalisiernden Gangs zu sehen, die auf dem Hof aufeinander losgehen und zu kämpfen beginnen. Nach einem Schlagabtausch sieht man im Bildvordergrund Rauch aufsteigen: Ein Wächter hat geschossen und einen der beiden Kontrahenten verwundet. Es dauert noch endlose neun Minuten, bis der Körper, mittlerweile tot, auf einer Bahre abtransportiert wird.

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Überwachung über GPS und Fußfesseln möglich ist, wirkt diese direkte Gewaltausübung wie ein Relikt der offen ausagierten Disziplinarmacht. Heute, so suggeriert Farockis Film, könnten wir an einer Schwelle befinden: Die von Michel Foucault beschriebene Disziplinierungsgesellschaft, die das Neunzehnte und weite Teile des Zwanzigsten Jahrhunderts prägte, wird von der Kontrollgesellschaft (Gilles Deleuze) abgelöst, die aufgrund ihrer elektronischen Überwachungsmöglichkeiten nicht mehr auf den festen Ort angewiesen ist.

Hier wie in anderen Filmen Farockis seit den 90er Jahren ist aber auch die Dringlichkeit zu erkennen, die »operativen Bilder«, die allenfalls unabsichtlich der Analyse zugänglich sind, zu zeigen und damit einer Kritik zugänglich zu machen.

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