Experimentalfilmvermittelnde Filme

Was ist »vermittelnd« an Experimentalfilmen?

Von Volker Pantenburg

Bei vielen Filmen und Sendungen, die wir in unserem Projekt als »filmvermittelnd« bezeichnen, ist sofort erkennbar, worin ihr Bezug zur Vermittlung besteht. In einer Arbeit Alain Bergalas, in der ein kurzes Filmstück beschrieben, untersucht und analysiert wird oder in einer Sendung über Fritz Langs Filme, in der Langs Inszenierungspraxis im Film M aufgezeigt und besprochen wird, findet die Vermittlung auf zwei Ebenen statt. Es gibt eine Bildmontage, die »Stellen« eines Films zusammenbringt und aufeinander bezieht, und es gibt – aus dem Off der Bilder – eine oder mehrere Stimmen, die ausdrücklich kommentieren, unseren Blick leiten, auf Besonderes hinweisen. Ein sehr großer Teil der Filmvermittelnden Filme arbeitet somit mit kommentierenden Texten, in denen eine vermittelnde Stimme Hinweise gibt, wie ein Film funktioniert.

Beim dritten Schwerpunkt des Projekts – neben den Sendungen der WDR-Filmredaktion seit den 70er Jahren und den französischen cinéphilen Bildungsinitiativen – ist das nicht so. Wenn wir sagen: auch Teile der Experimentalfilmgeschichte können als »Filmvermittelnde Filme« gelten, so setzen die Verfahren der Vermittlung hier offenbar auf einer anderen Ebene an: Die Filme, die wir meinen und in einigen Veranstaltungen vorgestellt haben, verzichten in der Regel auf eine kommentierende Stimme. Sie sind auch meist nicht vermittelnd »gemeint«, wie man es den Kinosendungen und Bildungs-DVDs unterstellen darf. Dennoch liegt eine Gemeinsamkeit zwischen den »Found Footage«-Arbeiten und den im engeren Sinne Filmvermittelnden Filmen darin, dass sie mit Filmmaterial umgehen und es dabei erforschen. Teils mit konkreten Filmen aus der Geschichte des Erzählkinos (wie Matthias Müller und Christoph Girardet in der Hitchcock-Collage Phoenix Tapes oder Peter Tscherkassky in Instructions for a Light and Sound Machine), teils mit namenlosem, ephemerem Filmmaterial, auf dem Flohmarkt gefunden oder in Archiven gesucht. Bereits in dieser Beobachtung liegt ein Aspekt von Vermittlung: Filme wie Abigail Childs Covert Action, der Home-Movies neu montiert, oder – auf andere Weise – Guy Sherwins At the Academy, weisen darauf hin, dass die Filmgeschichte über Spielfilme hinaus über eine große Anzahl anderer Film-Praktiken und Bildmaterial verfügt. Diese anderen, randständigen Formen der Filmgeschichte werden in vielen Found Footage Filmen zum Protagonisten. Das lässt sich ganz unterschiedlich ausformulieren: Es kann sich beziehen auf den Beginn der Filmgeschichte wie in Ken Jacobs’ Opening the Nineteenth Century:1896, es kann sich auf die sonst unsichtbaren Ränder des Filmmaterials beziehen – das Vorlaufband wie in At the Academy oder Instructions for a Light and Sound Machine, die Endmarkierungen und der Autorencredit wie in Bruce Conners A movie – oder auf die Vorführsituation »Kino« als Rahmung des Films (wie in Dirk Schaefers Vorführkopie:film). Gustav Deutsch hat diese grundsätzliche Vermittlungsgeste einmal zu einem Filmtitel gemacht: Film ist mehr als Film. »Mehr als Film« heißt: mehr und anderes als die Erzählung, die Figuren und die Inszenierungweisen auf der Leinwand, auf die sich Filmvermittlung sonst bezieht.

In Filmen, die mit existierendem Material arbeiten, kommt zur dieser grundsätzlichen Geste des Experimentalfilms aber noch etwas hinzu, das von Film zu Film anders zu bestimmen ist. »Found Footage«-Filme forschen, und als Zuschauer sehen wir dieser Forschung zu. An den Filmen, die wir in der Veranstaltung mit Dirk Schaefer gezeigt haben, lassen sich einige Aspekte dessen andeuten:

Zum Beispiel sehen wir, wie jemand in einem Schnitt das Verfahren »Schuss-Gegenschuss« auf die Spitze treibt und zugleich einen Kommentar zum Kino in seiner Lust an Spektakel und Voyeurismus liefert, wenn er eine gefundene Aufnahme von einer Stripperin hinter die eines Soldaten am Periskop eines U-Boots montiert (Bruce Conner: A movie)

Oder wir sehen, wie jemand den Begriff Farbfilm wörtlich nimmt, indem er das Wort auf den Filmstreifen und nicht auf das projizierte Bild auf der Leinwand bezieht (Standish Lawder: Color Film).

Wir sehen, wie in den Amateuraufnahmen von Küssenden durch Wiederholungen und choreographierende Montage Darsteller inszeniert werden und sich selbst inszenieren.

Wir sehen auch, wie jemand mit Filmmaterial der Lumière-Brüder buchstäblich die Welt auf den Kopf stellt und durch ein 3D-Verfahren ein Staunen erzeugt, das entfernt verwandt ist mit dem Staunen, das die Zuschauer 1896 beim Sehen der Bilder empfunden haben könnten. (Ken Jacobs: Opening the Nineteenth Century:1896)

Wir sehen, mit welcher Präzision Alfred Hitchcock durch seine Filme hindurch Frauen in Schlafzimmern inszeniert hat: In der Montage wirkt es, als könnte man daraus einen Film machen, der vom rastlosen Umherirren, von Alpträumen und Gewalt handelt. (Phoenix Tapes)

Wir sehen auch, wie die Bearbeitung von Sergio Leones brutalen Italowestern The Good, the Bad and the Ugly den Film und seine Protagonisten mit einer anderen Form von Gewalttätigkeit konfrontiert. Es kämpft nicht mehr ein Westernheld gegen einen anderen, sondern das Filmmaterial, seine Ränder, die Tonspur, die Perforationslöcher, gegen den Cowboy. Der Cowboy unterliegt.

Und wir sehen in einer kleinen narrativen Montage, dass im Kinoerlebnis drei Handlungen und Erzählungen zusammenkommen, die im Zuschauerraum, die auf der Leinwand und – hier am wichtigsten – die in der Vorführkabine. Das selbstreflexive Moment, das wir aus vielen Filmen kennen, verdoppelt sich in der Praxis einer Second Hand-Montage und wird zur Allegorie des Kinos als Kunst der Projektion. (Dirk Schaefer: Vorführkopie)

Diese kleinen »Lektionen« zum Kino sind in den Filmen nicht ausformuliert und ihre Vermittlungsgesten beziehen sich auf ganz unterschiedliche Dinge: auf die Erzählung in den Bildern, auf die Materialität des Filmstreifens, auf die räumlichen und institutionellen Voraussetzungen »Kino«. Keiner sagt uns, dass dies das Entscheidende oder Wichtige an ihnen ist. Aber wenn man will, kann man sie so verstehen. Der Vermittlungsauftrag ist an den Zuschauer delegiert. Er besteht nicht zuletzt darin, dass die Frage evoziert wird: Wie ist das gemacht?