Experimentalfilmvermittelnde Filme

Der Sound der Vermittlung

Gespräch mit Dirk Schaefer

Das Gespräch führten Volker Pantenburg und Stefanie Schlüter nach der Vorführung von Experimentalfilmen am 27. März 2009 im Berliner Arsenal-Kino.

Bei der Auswahl des Programms haben wir uns die Aufgabe gestellt, ausschließlich Filme aus den Beständen des Arsenal-Archivs zu zeigen. Das gilt bis auf die beiden letzten Filme, »Instructions for a Light and Sound Machine« und »Vorführkopie«, die Dirk Schaefer mitgebracht hat. Es geht also auch darum, aus diesen weiten Beständen des Experimentalfilms, einem der Sammlungsschwerpunkte des Arsenal, einen Teil sichtbar zu machen, den wir für »filmvermittelnd« halten. Dirk Schaefer ist als Autor und Sound-Designer eng mit der Geschichte des Experimentalfilms verbunden. Mit »Vorführkopie« haben wir auch eine seiner Found Footage-Montagen gesehen. Beginnen wir mit der ganz allgemeinen Frage, wie du zur Beschäftigung mit Found Footage und Experimentalfilm gekommen bist.

Ich komme aus Bielefeld wie Matthias Müller auch, der zu einer Filmgruppe gehörte, die sich »Alte Kinder« nannte. Wir gingen in die gleiche Disko, ich spielte in einer Pop-Band. Jemand aus der Gruppe hatte eine Idee,die zu Beginn der 80er Jahre gerade en vogue war: »Wir machen jetzt auf Super-8 einen Videoclip mit eurer Band.« Daraus wurde zwar nichts, aber stattdessen habe ich angefangen, Musik zu Filmen von Matthias Müller und anderen »Alte Kinder«-Mitgliedern zu machen. Seitdem habe ich eine ganze Reihe von technologischen Entwicklungen mitgemacht, immer allerdings auf der Basis von no-budget. Ich fing mit Spielzeuginstrumenten an, dann war mal etwas Geld da für einen Vierspurrecorder, dann kam ein Spielzeug-Sampler dazu – und da hat es wirklich geklickt, denn das war das, was ich immer wollte. Zwar konnte der nur ganz kurze Tonfetzen in saumäßiger Qualität reproduzieren, aber gerade aus diesen Beschränkungen hat sich für mich eine Art künstlerisches Paradigma entwickelt. Sampling ist ja etwas, das man immer gern mit Found Footage in Verbindung bringt, aber eher theoretisch, als Prinzip. Die »Alten Kinder« haben zunächst gar nicht unbedingt mit Found Footage gearbeitet, sind aber mehr und mehr dazu übergegangen, Matthias Müller jedenfalls, mit dem ich dann am häufigsten zusammengearbeitet habe. Es wurde dann bei uns ästhetische Praxis, dass ich mit dem Sampler diese Arbeiten betreut habe, die sich ebenfalls aus gefundenem Material zusammensetzten. So kam ich dazu. Ich gehörte gleichzeitig im »Arbeiterjugendzentrum« (AJZ) in Bielefeld zur Kinogruppe, die dort Sonntags Filme zeigte. Das, was ich durch die praktische Filmarbeit kennen lernte, versuchte ich auch in der Programmarbeit des Kinos umzusetzen. Sprich: Wir haben Trash-Filme gezeigt und eine Woche später etwas aus der Super 8-Avantgarde, das auch manchmal sehr arty sein konnte. Durch die Monatsprogramme fing ich auch mit dem Schreiben über Film an; das griff eigentlich ganz gut ineinander. Man war einfach Teil einer Szene, die sich integral mit Filmen beschäftigt hat. Und dann hat man irgendwann gemerkt, dass man Experimentalfilme machte. Am Anfang war das eher ein Szene-Ding. Aber dann fuhr man auch nach Osnabrück zum damals so genannten »Experimentalfilm-Workshop«, heute heißt es »Europäisches Medienkunstfestival«, und da hat man auch ein bisschen Geschichte mitbekommen. Mich hat dann immer stärker die Geschichte dessen interessiert, was ich selbst machte. Wobei der Filmbezug dabei immer stärker war als der Musikbezug, obwohl ich irgendwo dazwischen hänge. Und auch das Interesse an Musik verdankte sich unter anderem der Tatsache, dass ich zum Beispiel die Vorspannsequenzen von Krimi-Serien liebte, weil ich den Bezug zwischen den Bildern und der Musik interessant fand. Der Duschmord in Psycho war in dieser Hinsicht die absolute Offenbarung. Bernard Herrmann, der Hauskomponist von Hitchcock... Der Hitchcockbezug ist etwas, das Matthias Müller und ich schon immer geteilt haben. Sachen wie das Kapitel »Bedroom« aus den Phoenix Tapes von Matthias Müller und Christoph Girardet sind für mich fast schon alte Geschichten, weil man das schon oft durchgekaut hat, diese Bilder. Zum Begriff der Filmvermittlung: Mein Eindruck ist, dass ich ein Vermittler zwischen allem Möglichen bin: Zum Beispiel zwischen Bild und Ton. Wir haben ja eben den Tscherkassky-Film gesehen. Der kam fertig geschnitten zu mir; Peter Tscherkassy wohnt in Wien, ich in Berlin. Wir haben dann ein paarmal kurz telefoniert, und ich hab ihm ein paar Auszüge aus dem geschickt, was ich machen wollte, wozu er sein Okay gab. Danach hab ich das dann so vertont, wie ich es vertonen wollte. Da ist nichts mehr dran verändert worden. Und eine solche Tätigkeit würde ich in einem gewissen Sinne auch als »filmvermittelnde« bezeichnen. Der Film ist im Prinzip fertig, wenn meine Arbeit beginnt. Viele Found Footage-Filmemacher kommen aus der Bildenden Kunst und sind eher visuell orientiert. Heute stimmt das vielleicht nicht mehr so ganz, aber in der Geschichte dieses Genres ist es so. Auf einer visuellen Ebene ist der Film also komplett fertig und eine runde Sache. Ich selber finde oft: Das braucht überhaupt keinen Ton mehr. Und was ich mache ist, das anzugucken und mir etwas dazu einfallen zu lassen. Im Falle des Tscherkassky-Films habe ich gedacht: Naja, man kann schon sagen, dass es da eine Äquivalenz von Fotoapparat, Kamera und Gewehr gibt. Auf der Viennale, wo der Film lief, hat sich Peter Tscherkassky einmal vehement gegen so eine Interpretation gewehrt – ich muss mit ihm darüber wahrscheinlich nochmal sprechen... –, aber meine Tonarbeit ist schon so angelegt, diese Perspektive auf den Film besonders herauszuarbeiten.

Vielleicht kann man diesen Punkt etwas verallgemeinern: Die Filme, mit denen wir es bisher in dieser Reihe zu tun hatten, arbeiteten immer mit ausdrücklichen Kommentaren. Mit Stimmen, die sagen: »Da sehen wir das, da das, das verhält sich so, das so« etc. Das ist oft ausdrücklich interpretierend. Bei allen Filmen hier in diesem Programm ist das anders. Es gibt stattdessen verschiedene Arten, anders zu kommentieren. Und eine davon ist die, mit Tönen auf die Bilder zu reagieren. Und da sind die unterschiedlichsten Haltungen denkbar. Wir haben zu Beginn »A Movie« von Bruce Conner gesehen. Das ist bei weitem nicht der historisch »erste« Found Footage-Film, aber vielleicht der einflussreichste. Und schon da gibt es ein interessantes Verhältnis zwischen Ton und Bild. Diese Trennung beider Elemente ist sehr prominent. Man sieht: Okay, es gibt einen Ton, und es gibt ein Bild, und das bezieht sich nicht selbstverständlich aufeinander, sondern es sind alle möglichen Verfahren denkbar.

Für A Movie habe ich das mal nachgeguckt. Conner benutzt ein Orchesterwerk von Ottorino Respighi, »Die Pinien von Rom« (1924). Er hat das auch nicht großartig verändert. Ich denke, wenn man den Film ansieht, kann man raten, dass er mithilfe dieser Musik geschnitten wurde. Das machen ja viele Filmemacher, und manchmal wird das, was sie beim Schnitt benutzt haben, der sogenannte Temp-Track, zur wirklichen Filmmusik wie in 2001 von Kubrick. Als wir den Film eben angesehen haben, war ich erstaunt. Vielleicht habe ich jetzt auch deutlicher darauf geachtet, wie die Bezüge sind zwischen Bild und Ton. Ich dachte fast, das sei eine Halluzination und glaubte zu erkennen, dass er damit herumexperimentiert hat. Es gibt eine ruhige Passage, da hat man den Eindruck, er nehme das Tempo heraus. Vorher hat das so einen Schwung und er macht einen sehr schönen parodistischen Gebrauch von diesem Schwung der Musik. Und dann kam es mir vor, als probiere er mal sehr ähnliche Bilder mit einer anderen Gangart in der Musik aus. Da gibt es beispielsweise Bilder, zu denen man in keinem Fall traurige oder gedämpfte Musik spielen dürfte, und da kommt dann so ein auftrumpfender Klang. Mir kam es insgesamt fast vor wie eine Studie über diese möglichen Zusammenhänge.

Wir können uns das auch an einem Beispiel kurz genauer anschauen. Conner hat einen Teil des Materials – darauf hat uns Michael Loebenstein bei einer unserer Veranstaltungen in Wien hingewiesen – aus dem Lehrfilm »How Motion Pictures Move and Talk« von 1940, aus dem wir hier einen Ausschnitt einspielen können. Conner übernimmt eine ganze Montage daraus, ohne sie zu verändern und legt diese elegische Respighi-Musik darunter. Was ändert das an der Art der Vermittlung?

Das mag vielleicht prosaisch erscheinen, aber es ist in diesem Zusammenhang vielleicht wichtig zu sagen, dass Bruce Conner zunächst als Bildender Künstler gearbeitet hat. A Movie war sein erster Film, und es sollte ursprünglich auch sein einziger sein. Als Künstler hat er Assemblagen gemacht, die sich auch schon mit Hollywood auseinandergesetzt haben, aber dies war ein Versuch, aus seiner Sammlung von Filmmaterial, das er günstig auf dem Flohmarkt oder Trödelläden erstanden hatte, selber etwas Filmartiges zusammenzusetzen. Und wie er selbst sagt: Heute wird A Movie benutzt, um Schnittkurse zu unterrichten. Er selbst hatte keine Ahnung davon. Sowohl von der Ausbildung als auch von den technischen Voraussetzungen her ist das eine totale Amateurarbeit. In diesem Zusammenhang denkt man natürlich sofort an Duchamps »Readymade«. Die Bezeichnung »Found Footage« leitet sich von »Foot« her und kommt daher, dass man – zum Beispiel auf dem Flohmarkt – eine Filmrolle hat, und man an der Länge (in Fuß) sehen kann, wie lang der Film dauert. Das verweist darauf, dass das Teil eines standardisierten Systems ist, und es verweist auch darauf, dass diese Sachen weggeschmissen werden. Die Filmschnipsel, die Bruce Conner und viele andere für ihre Filme benutzen, sind zunächst Abfallprodukt dieses Systems »Hollywood«. Oder in diesem Fall etwas weniger Hollywood, da er auch vieles an sogenanntem »ephemeren« Filmmaterial benutzt hat wie How Motion Pictures Move and Talk. In diesem Fall finde ich es auch erstaunlich, dass er die gesamte Montage einfach so übernommen hat, aber das ist Teil einer Strategie, wie sie schon Joseph Cornell in Rose Hobart betrieben hat. Nicht erst durch eine neue Montage im Detail, sondern schon, indem man die Sachen aus dem ursprünglichen Kontext herauslöst, arbeitet man gegen die Logik des ursprünglichen Materials. Man macht dadurch deutlich, wie Bedeutung konstruiert wird. Und durch diese Vertonung mit dem Stück von Respighi werden überhaupt nicht zusammengehörige Dinge auf einmal zu einer Einheit. Wenn man noch den eben genannten Amateureffekt dazunimmt, wird klar, dass das eine sehr einfache und sehr effiziente Weise ist, etwas über das Kino insgesamt auszusagen.

Der Begriff »Footage« deutet auch noch darauf hin, dass Film nicht nur Erzählung ist, die sich auf der Leinwand herstellt, sondern Material. Darin ähneln sich die Filme dieses Programms: Sie weisen alle ausdrücklich darauf hin, dass wir es mit Material zu tun haben. Das kann in ideologiekritischer Absicht geschehen, als Hinweis auf die Illusionsmaschine hinter den Bildern, und es kann auf viele andere Weisen in die Filme hineingetragen werden.

Was ich zum Thema »Filmvermittlung« und A Movie noch hinzufügen möchte und was mir vorher so nicht aufgefallen wäre: Der Film hebt ja intern ganz viele Teile von Filmen hervor, die filmvermittelnd sind. Das, was normalerweise der Vorspann ist, wird in den Film hineingeholt, und Conner geht sogar soweit, dass er Dinge, die normalerweise nur der Vorführer sieht – der Countdown, das Start-Zeichen – in den Film und in die Sichtbarkeit hineinholt. Wenn ich jetzt als Filmmusiker spreche, würde ich sagen: Filmmusik ist durchaus auch eine filminterne, aber filmvermittelnde Instanz. Man könnte darüber nachdenken, ob dieser vielleicht noch nicht ganz festgefügte Begriff »Filmvermittlung« sich nicht auch so fassen ließe. Der Vorspann wäre dann zum Beispiel eine interne filmvermittelnde Instanz. Und einen Schritt weiter – außerhalb des Films – ist man dann beim Trailer, der quasi eine industrielle Spielart des Found Footage-Films ist. Ich denke, man kann A Movie wahrscheinlich in 50 Jahren als Trailer dafür zeigen, was Film einmal gewesen ist.

Du selbst hast eine Arbeit zu »King Kong« gemacht, in der Du dich mit der Tonarbeit an diesem Film auseinandersetzt. Deine Arbeit ging von einem Schreibauftrag aus, und um dir über Film klar zu werden, hast du begonnen, Ton-Bild-Montagen herzustellen. Du hast dir also den Film unter Einsatz eines filmvermittelnden Instruments selbst vermittelt.

Ab und zu halte ich Vorträge, die mit Filmbeispielen illustriert sind. Sehr häufig geht es dabei um das Verhältnis zwischen Bild und Ton. Und es ist eine rein praktische Erfahrung, dass es nicht ausreicht, einen Filmausschnitt einmal zu zeigen, wenn man vom Ton sprechen will. Sei es, dass das erste Mal angucken immer so eine Art »ganzheitliche« Wahrnehmung ist, sei es, dass es eben doch meist eher visuell orientiert ist. Man muss die Ausschnitte immer ein zweites Mal zeigen und damit die Aufforderung verbinden: Nun achtet mal auf den Ton und das Verhältnis zum Bild. Vor diesem Hintergrund hatte ich die Idee, dass man mit Loops arbeiten könnte und dass man einen kleinen Ausschnitt nehmen könnte, den man zunächst ohne Bild zu hören gibt, dann das Bild ohne Ton und es dann wieder zusammenfügt. Das hat mich auch deshalb sehr interessiert, weil ich in meiner Praxis komplette Tonspuren gestalte, was es in der Filmindustrie nicht gibt. Ich bastle aus Musik und Geräuschen, gelegentlich auch Sprache, etwas, das sich aufeinander bezieht. Was also nicht zwingend und primär auf das Bild bezogen sein muss, sondern auch untereinander Bezüge hat. Als ich einen Text über King Kong geschrieben habe, fiel mir auf, dass der Mensch, der dort etwas ähnliches mit der Tonspur gemacht hat, Murray Spivack, unter von heute aus betrachtet dilettantischen Bedingungen – damals einfach die Industriebedingungen des frühen Tonfilms – dass dieser Mensch alles, was auf der Tonspur passierte, verwaltet und teils auch selber produziert hat. Und dann hat mich interessiert, wie ich aus diesem Wissen etwas machen kann. Ich habe zum Beispiel gelesen, dass Spivack mit Sirenen gearbeitet und diese Sirenen mit der Musik von Max Steiner zusammengemixt hat; zu einem Zeitpunkt, als man in dem Sinne eigentlich noch nicht mixen konnte. So ähnlich hat er es auch mit den Tierschreien gemacht. Ich habe das also nachgelesen, einen Artikel darüber geschrieben, in dem ich Spivack etwas flapsig als »den ersten Sound Designer« bezeichnet habe, und dann hat es mich interessiert, wie ich diese Bezüge, die quasi intern in der Tonspur vorhanden sind, rüberbringen kann. Mein Eindruck war: Wenn man das Ganze loopt, wenn man einen kurzen Loop von 10 oder 20 Sekunden Länge macht, dann bekommt man das schon ganz gut mit. Das können wir uns ja ganz kurz anschauen.

Schön an der Arbeit ist, dass es teils minimale Geräusche sind, die man beim Sehen des Films gar nicht wahrnimmt.

Der Soundtrack von King Kong hat paradigmatischen Charakter. Man sagt immer, Max Steiner sei ein Filmkomponist, der stark illustrativ arbeite. In der Regel wird das als Vorwurf verstanden. Im ersten Ausschnitt kann man, glaube ich, sehen, dass das zumindest 1933 so nicht richtig passt. Denn offensichtlich brauchten die Filmemacher die Musik, damit man diesen Messerstich in King Kongs Finger glaubt. Da setzt die Musik einen Akzent, und deshalb funktioniert das. Das Bild gibt das gewissermaßen nicht her. Das war mein Punkt. Zu den anderen kurzen Loops: Ich hatte gelesen, dass Murray Spivack die wildesten Techniken augewandt hätte, um den Tyrannosaurus Rex, mit dem King Kong kämpft, möglichst gemein aussehen und vor allem klingen zu lassen. Dafür hat er den Bereich des Naturalismus komplett verlassen (in Klammern: man weiß natürlich auch nicht, wie ein Tyrannosaurus Rex geklungen hat) und hat sich da einige Freiheiten herausgenommen. Unter anderem wurde da mit rückwärts abgespielten Peitschenklängen gearbeitet. In diesem Fall fand ich es sehr verlockend, dieses Ratespiel zu betreiben, wenn man das Bild nicht sieht und nur den Sound hat: Jetzt ratet mal, was ist das? Und dann sieht man, dass es der T-Rex ist, der seinen Schwanz peitschen lässt.

Zu dem Kapitel »Bedroom« von Matthias Müllers und Christoph Girardets »Phoenix Tapes« hast du den Ton gestaltet. Da funktioniert der Ton zunächst auch sehr autonom. Man nimmt das zunächst wahr als Stör- oder Nebengeräusche, die unter Umständen vom Filmmaterial herkommen könnten. Man denkt, das könnten Teile aus der Tonspur des Hitchcock-Films sein, die durch das Loopen »vergrößert« werden. Und sehr punktuell gibt es einen Rückgriff auf das Originalmaterial. Wie bist du an diese Arbeit herangegangen?

Phoenix Tapes von 1999 bezieht sich teilweise auf den Film Home Stories (1990) von Matthias Müller und mir. Gerade in dem Bedroom-Kapitel gibt es sehr viele Verweise auf diesen früheren Film, wenn man so will: Zitate des Zitats. Zunächst mal ging es einfach darum, es ganz anders zu vertonen als Home Stories. Bei Home Stories ging es um Hysterie und um das Genre des Melodrams. Auch die Hitchcock-Filme, die dort verwendet wurden, werden einfach unter diesem Begriff subsummiert. Entsprechend habe ich versucht, eine sehr melodramatische Musik draufzulegen, die ebenfalls vollständig »geklaut« war, wie ich gestehen muss. Auch bei Phoenix Tapes wollte ich ganz gerne dabei bleiben, nur mit gefundenem Material zu arbeiten. Aber es sollte dennoch das komplette Gegenteil von Home Stories werden. Ich muss dazu sagen, dass ich ein sehr großer Fan von Martin Arnold bin und seinem Film Pièce Touchée, der einen absolut minimalen Soundtrack hat, der ebenfalls nur aus einem winzigen Loop besteht. Das klingt wie ein Projektor-Geräusch, es ist aber in Wirklichkeit eine Tür, die auf- und zugeht. Das hat mich sehr begeistert, dass man mit unglaublich minimalen, womöglich gar nur eingebildeten Veränderungen in einem Loop so eine große Wirkung erzielen kann. Phoenix Tapes:film ist ein 45-minütiger Film, wenn man die einzelnen Teile hintereinander weg anguckt. Der Anlage nach ist es aber eine Installation oder eine Reihe von Installationen gewesen. Auch das war eine Art Vorgabe. Man konnte jetzt nicht noch einmal so etwas Hysterisches machen wie in Home Stories. Technisch gesehen war es so, dass ich vorher nie Synchronton machen konnte. Ich verweise nochmal darauf, dass es immer low budget war, ich hatte nicht die technischen Möglichkeiten dazu. Und das ist mein Einstieg in den Synchronton. Am Anfang noch asynchron, wird es immer dichter und zu dem, was passiert, immer synchroner. Auf mich wirkt das immer noch sehr stark, wenn ich das sehe, also »es würgt mich« dann selbst.

Ist es nicht auch so – bei »Instructions for a Light and Sound Machine« von Peter Tscherkassky sicher noch mehr – dass man als Zuschauer einem Kampf zwischen dem Material des Films und der Erzählung des Films zuschaut? Das ist für mich auch eine Möglichkeit, den Begriff Filmvermittlung mit einigen dieser Filme zu verbinden. Man hat also wieder zwei grundsätzliche Aspekte oder Parameter des Kinos. Eben haben wir über Bild und Ton gesprochen, jetzt könnte man über das Verhältnis von Erzählung und Material sprechen. Bei »Instructions«, der auf einem Film von Sergio Leone basiert und der für sich genommen sehr gewalttätig ist, hat man das Gefühl, dass sowohl das Filmmaterial als auch die Tonspur auf diese Gewalttätigkeit reagieren und in den Erzählraum eindringen.

Peter Tscherkassky ist meiner Meinung nach einzigartig darin, dass er, der von einem durchaus sehr rüden Experimentalfilm-Kino kommt, auch ein, wie ich finde, wichtiger Filmtheoretiker ist [FN FF-Text], dass bei ihm also eine klassisch cinéphile Ader zum Vorschein gekommen ist. Einerseits versucht er, an die nichtnarrativen Materialfilme, an die Photogramme von Man Ray und ähnliches anzuschließen, und gleichzeitig möchte er Geschichten erzählen. Das CinemaScope-Format spricht für sich. Und er selbst sagt ganz klar: Ich möchte den Zuschauer in den Kinosessel drücken mit meinen Filmen. Ohne das wirklich zu Ende durchdacht zu haben, würde ich sagen, dass in solchen Filmen auf allegorische Weise vom Kino selbst erzählt wird; hier: von einer Figur, die wir wiedererkennen können, der wir folgen können, mit der wir vielleicht sogar Mitgefühl haben, vielleicht direkt körperlich mitfühlen. Und diese Figur gerät dann in so einen Apparat, in eine Maschine hinein. Ich habe es jedenfalls so verstanden und auch versucht, es entsprechend zu vertonen. Jetzt habe ich den Film zum zweiten Mal im Kino gesehen, sonst kenne ich ihn hauptsächlich vom Computerbildschirm und vom Fernsehmonitor. Und hier merkt man noch stärker, dass es da sehr zur Sache geht und auch der Ton sehr massiv ist. Ich war fast ein bisschen erschrocken. Heute würde ich manches vielleicht etwas zurückhaltender machen.

Das ist aber auch eine Qualität der Filme. Man muss sie im Kino sehen, man muss sie aber auch im Kino hören. Während ich hier saß und diese physische Attacke spürte, hatte ich den Eindruck, dass die Tonspur sehr plastisch wirkt und sich in den Kinoraum hinein verlängert. Man sieht sie auch manchmal im Bild des Films. Ich habe mich gefragt, ob du – auch wegen der dreidimensionalen Effekte des Bildes, die zum Beispiel durch das Übereinanderkopieren entstehen – mit Peter Tscherkassky über solche Dinge wie die Plastizität der Tonspur gesprochen hast?

Das war mir ehrlich gesagt gar nicht bewusst.

Noch einmal eine Brücke zum Begriff »Vermittlung«: Bei den Filmen von Peter Tscherkassky fragt man sich fast automatisch, wie sie gemacht sind. Man hat ein starkes Gefühl dafür, dass es nicht am Computer entstanden ist, sondern sehr viel Handarbeit drinsteckt. Man kann sich aber nicht unbedingt einen Reim darauf machen, wie so etwas im Einzelnen hergestellt wird. Das ist ja schon ein Schritt, bei dem man gedanklich versucht, auf die Produktionsseite zu wechseln. Und das ist eine Frage, die immer auch etwas mit Lernen zu tun hat.

Das industrielle Kino hat ja nicht nur seine internen vermittelnden Instanzen, die an der Erzeugung von Bedeutung mitwirken. Es gibt natürlich auch eine Vermittlungsindustrie: Werbung, Filmkritiken, Trailer und so weiter. All das sorgt dafür, dass sich ein Sinn sehr leicht einstellt und man auch leicht darüber hinweggehen kann, wie das jetzt gemacht ist. Standardisierung ist da oft das Mittel der Wahl. Im Experimentalfilm ist es hingegen häufig so, dass die Filmemacher bei Vorführungen auch da sind und ihrerseits nochmal filmvermittelnd agieren. Und Peter Tscherkassky hat eine völlig einzigartige Weise, diese Filme herzustellen. Man muss es vielleicht kurz erläutern. Also: Er kommt – irgendwie – an diese Lichtton-CinemaScope-Filme. Voraussetzung ist, dass es eine Filmkopie gibt, mit der er in seine Dunkelkammer geht und dann Kader für Kader an diesen Filmen arbeitet. Einzelbild für Einzelbild wird kopiert. Und die Bilder werden manchmal komplett kopiert – in diesem Fall, bei Instructions wurden sehr wenige Bilder komplett kopiert, sondern es wurde fast immer eine Auswahl aus dem jeweiligen Bild getroffen. Er legt also einen unbelichteten Filmstreifen hin und den Ausgangsfilm darüber, und dann kann Kader für Kader gearbeitet werden. Es gibt auch andere Techniken, aber eine, die Tscherkassky auszeichnet, ist die, dass er mit einem Laser-Pointer arbeitet. Damit kann er quasi »malen« und mit dem Laser-Pointer einzelne Partien vom Originalbild auf den unbelichteten Streifen draufmalen.

Das können wir uns ja mal kurz anschauen.

[Ausschnitt wird gezeigt]

Was man hier auch schön sieht und was für die klassische Found Footage-Tradition insgesamt gilt: Der Filmstreifen wird angefasst. Der Film wird nicht nur als materielles Objekt gefunden, sondern auch angefasst und bearbeitet. Die Gruppe »Schmelzdahin« hat in den 80er Jahren Filme eingegraben oder chemisch zerstört; Verfahren, die auf das Material unter Umständen auch zerstörerisch einwirken, die gehören eigentlich dazu. Es ist aufschlussreich, dass Peter Tscherkassky immer ein Vorreiter dieser analogen Techniken und der »Film«-Film-Front war, ein Cinéphiler auch darin, dass er 35mm als Format wählt (anders als andere Experimentalfilmer, die in der Regel mit 16mm arbeiteten). Bei Instructions hat er allerdings auch zu einem digitalen Verfahren gegriffen. Man sieht entsprechend auch einmal ein Bild mit einem digitalen Test-Zeichen. Und die Tonspur ist vollständig digital mit Sampler bzw. Computer erarbeitet. Aber auch die Tonspur besteht ausschließlich aus Bestandteilen von The Good, the Bad and the Ugly und zwei weiteren Filmen von Sergio Leone – ich hatte dann doch nicht genug Schuss- und Würgegeräusche.

Du arbeitest also nicht mit vorgefertigten Sounds aus Sounddatenbanken und künstlichen Geräuschen. Oft wissen wir ja gar nicht, wie ein Geräusch in Wirklichkeit klingt; eine Gewehrsalve etwa, die kennt man eigentlich nur aus Filmen.

Hier haben wir es ja mit einem italienischen Film zu tun, und in Italien gibt es die wunderbare Tradition, alles nachzusynchronisieren. Deswegen würde ich auch der üblichen These energisch widersprechen, dass in den 70er Jahren alles losging mit der verfeinerten Arbeit am Ton, mit Dolby etc. Schon in den 60er Jahren ist in Italien, einer Kultur der Nachsynchronisation, in der alles künstlich erzeugt werden musste, sehr genau und wunderbar gearbeitet worden. Gerade in den Leone-Filmen ist das deutlich.

Jetzt ist dein eigener Film, »Vorführkopie«, ein stummer Film. Warum?

Das ist zuallererst gar keine ästhetische, sondern eine pragmatische Entscheidung gewesen. Der Film ist in einem Museum als Installation gelaufen, geloopt. Zur Vorführung war eine kleine Kinosituation simuliert. Im Grunde stand die Ausstellung in keinem künstlerischen Kontext, es ging um Portraits von Leuten, die nachtaktiv sind. Ich habe die Gelegenheit wahrgenommen, diese kleine Montage zu machen. Als Ausstellungsbesucher nervt es mich sehr, wenn ich in Museen andauernd belästigt werde mit Ton, der aus allen möglichen Ecken dringt. Es scheint sich unter Kuratoren niemand darüber Gedanken zu machen, dass man für Museen eine Art Sound Design und ein Konzept entwerfen muss. Jedenfalls, aus dieser Überempfindlichkeit heraus habe ich meinen Film dann stumm gelassen.