Filmgeschichte: Tag Gallagher

Filmgeschichte in Öl
Über ein Detail in Tag Gallaghers Filmanalyse »Going Home« zu John Fords »Long Voyage Home«

Ford by Schreiber  

Informationen zur Entstehungsgeschichte eines Films – regelmäßig eingesetzt in Gallaghers Arbeiten – liefern den Nachweis über eine intensive Auseinandersetzung: Solches Wissen muss erfragt und nachgelesen werden; es lässt sich nicht durch bloße Anschauung gewinnen. Der Name Eugene O'Neills beispielsweise steht wohl im Vorspann von Long Voyage Home. Aber dass der Dramatiker – trotz erheblicher Abweichungen des fertigen Films von der Vorlage seiner Seemannsgeschichten und entgegen der Vorstellung vom hyper-empfindlichen Literaten – sehr zufrieden war mit Fords Ergebnis, das erfahren wir erst bei Gallagher.

Man merkt, dass Gallagher seine Fundstücke nur dann eine Erwähnung wert sind, wenn sie ihn auf originelle Gedanken bringen. Insofern sind seine Arbeiten immer auch Dokumentarfilme über Rechercheprozesse, Berichte von Expeditionen, die das Unerwartete geradezu herbeiforschen wollen. Man könnte Gallagher auch mit einem erfahrenen Kapitän vergleichen, der sein Einsatzgebiet so gut kennt, dass er mit der Zuversicht, jederzeit den Weg zum Hafen zurückfinden zu können, und mit großer Vorfreude auf neue Entdeckungen immer wieder vom Kurs abweicht.

Dazu ein Ausschnitt:

Gallagher erzählt vom Einfall des Produzenten Walter Wanger, neun Maler zu engagieren, damit sie die Dreharbeiten Fords beobachten. Die Männer fertigen Porträts an und halten Schlüsselszenen in ihrem Medium fest. Gallagher nennt alle Namen, in alphabetischer Reihenfolge, und stellt alle Arbeiten nach dem selben Schema vor: Erst kommt ein Foto des jeweiligen Malers (einige Male sind es auch mehrere; von einem Maler gibt es keine Abbildung), dann die Malerei, darauf die Szene, auf die Bezug genommen wurde, schließlich noch einmal das Gemälde.

Entsprechen ohne auszusprechen – über diesen besonderen Ausflug zur Malerei kann Gallagher die Thematik männlicher Zwangsgemeinschaften in dieser Analyse nochmals unterstreichen: Geschickt über den Beitrag verteilte Reizwörter schaffen eine Kette faktischer Parallelitäten zwischen shanghaiten Matrosen, angeheuerten Filmcrew-Mitgliedern und den gecasteten Malern (ein scherzender Ford according to Gallagher: »This is the worst case of miscasting I ever saw.«). Analogien zwischen Seefahrt, Film und Kunst brauchen gar nicht mehr als aufdringliche These expliziert zu werden…

Bevor Gallagher dann – erwartbar – Ford ebenfalls zu einem Maler (»painting with moods«) erklärt, legt er einen Zwischenschritt ein: Er zitiert einen der Maler, der, um sich Fords Könnerschaft begreiflich zu machen, den Vergleich mit einer anderen künstlerischen Disziplin heranzieht: Der Regisseur wird zum Dirigenten eines Schauspieler-Orchesters, der Film zur Symphonie. Dramaturgisch ausgedrückt: Gallagher bedient die Erwartung mit Verzögerung, das Eintreten des erwarteten Ereignisses führt als verspätetes doch noch zu einer kleinen Überraschung.

Im Nebeneinander von Ölbild und Filmstill stellt sich die Frage nach der angemessenen Adaptation. Eine Übersetzungsaufgabe: Wie fängt man das Wesentliche ein? Weil Gallaghers Materialserie laufender Filmbilder, Stills, Reproduktionen von Gemälden und Fotos zügig hintereinander montiert ist, müssen wir uns die Gedanken zum konkreten Verhältnis zwischen Film- und Kunstbild schon selbst machen – mit diesem einfachen Trick skitzziert Gallagher en passant den aktiven Zuschauer.

Jeder macht sich sein eigenes Bild – genau darum ist es bei der Rekrutierung der neun Maler gegangen. Bei aller Wiedererkennbarkeit, bei allem dezent ironischen Realismus: Zum Teil recht deutlich weichen die vorgestellten Werke von der Vorlage des Films ab. Grant Wood zum Beispiel stellt bei seinem Gemälde der Kneipengesangsszene – »This is the most ambitious painting he had ever attempted, said Grant Wood.« – eine Figurengruppe um: In einem Akt von Rekomposition plaziert er einen Flötenspieler an den linken Bildrand. Dadurch wirkt dieser hervorgehoben. Wood verschiebt den Akzent, weil er in einem stummen Medium arbeitet: Auf einen Blick erkennt jetzt auch der Betrachter von Woods Gemälde, was sich dem Filmzuschauer auditiv sofort erschließt, nämlich die Begleitung des Gesangs durch ein markantes Instrument. Weil sein Gehör den Filmzuschauer eindeutig orientiert, braucht er keine zusätzliche optische Information. Im Filmbild kann die Figur des Flötisten hinter den anderen Männern fast verschwinden.

By Wood By Ford

Man könnte verführt sein, die Metapher vom selbständigen Künstler, der auf eine äußere Wirklichkeit reagiert, auch auf Gallagher selbst anzuwenden. Es muss ja nicht zwangsläufig die Malerei sein – nur weil Gallagher zur Erörterung kompositorischer Prinzipien bunte Linien in sein vorgefundenes Material einzeichnet und damit auch grafische Effekte erzielt. Ein anderes Verwandschaftsverhältnis ist dagegen offensichtlich: Was Gallagher mit den neun Malern verbindet, ist die Tatsache, dass alle miteinander den gleichen Gegenstand interpretieren. Davon ausgehend setzt jeder von ihnen ein eigenständiges Werk in die Welt. Der Filmhistoriker, -kritiker und -essayist Gallagher arbeitet mit Bildern in Bewegung. Ein Maler wird er damit nicht, aber mit Sicherheit ein Filmemacher.

Filmografie