Filmvermittlung und Filmrestaurierung

Das Dispositiv Kino im Blick des filmrestaurierungsvermittelnden Films

Von Katja Kynast

Nahezu jeder Film über die Arbeit der Restaurierung oder Rekonstruktion wirft den Blick auf den »Friedhof der Fakten und Garten der Fiktionen« – das Archiv. In kaltem oder blaustichigem Licht fährt die Kamera die Regalreihen mit Filmdosen ab oder zoomt durch die Reihen. In einem der Gänge wird man dem Hüter oder der Hüterin des Archivs begegnen, Thermo- und Hygrometer im Regal vermitteln in einer Einstellung die konservatorischen Routinen. Close-Ups auf die Filmdosen und auf die Beschriftung zeigen uns, welche Filme hier schon indiziert und gekühlt sind und so eine reelle Chance aufs Überleben haben.

[1]Oder das Nase-Reinstecken. Riechen am Filmmaterial. Das Essig-Syndrom, das Sicherheitsfilm befällt, macht sich durch seinen typischen säuerlichen Geruch bemerkbar.

Natürlich soll dieser Eindruck von Präsenz, Intakheit, Ordnung und Zugriffsmöglichkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass der größte Teil der Filme aus den ersten sechzig Jahren des Kinos als vernichtet oder verschollen gilt. Häufiges Gegenmotiv zum Archiv ist deshalb der brennende Nitrofilm. Aber auch jüngere Filme sind gefährdet und erst der Blick [1] in die Filmdose klärt über den tatsächlichen Zustand des Materials auf. Dieser reinszenierte »First Contact« des Archivars oder der Restauratorin gehört somit ebenso zur Ikonografie der Restaurierungsvermittlung wie Bilder der verschiedenen Zustände des Filmmaterials, von der vollständigen Zersetzung über die Dekomposition zu geschrumpften Filmstreifen und kaputten Perforationen.

Filme über die Filmrestaurierung und -rekonstruktion stellen die dem Filmmaterial eigenen Verfallsprozesse und die Möglichkeiten der Konservierung und Restaurierung dar, sie fragen aber auch nach den ökonomischen, politischen und ästhetischen Gründen für diverse Zurichtungen des Materials. Die Abnutzungserscheinungen, Verstümmelungen, falschen Formatübertragungen, Synchronisierungen, fehlenden Frames und alternativen Versionen erzählen einiges von den Anforderungen, unter denen das Medium Film entsteht. Die kommerzielle Ausbeutung des Films griff dabei zuweilen auch direkt auf das Material zu, etwa wenn Silber aus den Nitrokopien industriell zurückgewonnen wurde oder die Kopien von gestern dem Filmfeuer des laufenden Drehs dienten.

Ausgangspunkt für die Restaurierung wie auch für den restaurierungsvermittelnden Film ist das Filmmaterial: Delvaux’ 1001 Films gibt uns die Frames von Mélies als die Gemälde zu sehen, die sie sind und vermitteln damit auch, dass sie mit demselben Aufwand erhalten werden sollten, wie Gemälde in den Kunstmuseen. Our Inflammable Film Heritage des Nederlands Filmmuseum zeigt die Schönheit der Dekomposition, die Formenbildung des sich zersetzenden Filmstreifens und wirft so Fragen nach Restaurierungskonzepten auf. Versionenvergleiche wie in A physical history of M, Blind Husbands, Faust – The Different Versions und Gitts My Darling Clementine rekonstruieren den ökonomischen und politischen Kontext, in dem die Filme entstanden sind. Man erfährt, dass das nicht heißen muss, dass das Material gekürzt wird; oft wird auch ein Mehr produziert. Typisch ist das gefällige Hinzufügen von Sounds und Musik. Mehr Filmmaterial entsteht aber auch, wenn für den ausländischen Markt Sequenzen nachgedreht oder alternative Enden produziert werden. Mitunter befindet sich am Set ein weiterer ausländischer Kameramann, der die Szenen aus der zweiten Reihe dreht, so dass vom selben Dreh zwei Kameranegative vorhanden sind, eine für den inländischen und eine für den ausländischen Markt. Werkfotos dokumentieren diese Produktionsweise, beziehungsweise geben Hinweise darauf, dass man von zwei verschiedenen Kameranegativen ausgehen kann. Janet Bergstrom gibt uns in Murnaus Murnau’s 4 Devils. Traces of a lost film. solch ein Foto zu sehen.

Die Spurensuche, die notwendig ist, um einen Film zu rekonstruieren, umfasst neben dem vorhandenen Filmmaterial also auch die nicht-filmischen Quellen. Und so gerät auch in den Filmen, die Filmrestaurierung behandeln, die ganze Fülle an Materialien in den Blick, die sich vor, während und nach einer Filmproduktion ansammelt. Diese Bilder, Zeichnungen, Texte, Noten und Fotografien sind für den philologischen Teil der Recherche innerhalb einer Restaurierungsarbeit wesentlich. Die Zensurkarten in Patalas’ The Metropolis Case und Koerbers Pabst wieder sehen sind Indizien für die Rekonstruktion des Films und verweisen zugleich auf den politischen Hintergrund, vor dem die vorliegenden Fassungen des Films entstanden. Korrespondenzen zwischen Produzent und Regisseur lenken den Blick auf die kommerziellen Anforderungen, unter denen ein Film montiert wurde und geben zugleich Anhaltspunkte für die Montage, wie sie der Regisseur intendierte oder wie sie einem ersten Publikum gezeigt wurde.

Von restaurierungsvermittelnden Arbeiten werden diese Quellen als Indizien vorgeführt, so kann man in Patalas’ didaktisch aufbereiteter Dokumentation der Restaurierungsarbeit an Metropolis erfahren, wie eine Rekonstruktion anhand der Stichwörter des Dirigenten verläuft. Andere Arbeiten, wie etwa die von Bergstrom, montieren das erhaltene Material zu einer eigenständigen künstlerischen Arbeit.

Obwohl sich Bergstroms Murnau’s 4 Devils. Traces of a Lost Film weder als Lehrfilm noch als Rekonstruktion versteht, vermittelt er viel von der philologischen Arbeit, die einer Rekonstruktion zugrunde liegt. Bergstrom nähert sich hier einem Film, von dem nicht ein einziger Meter vorliegt. Wie sie zu Beginn erläutert: »This essay does not pretend to be a reconstruction of anything except traces. Some of the most powerful bear testimony as accidental witnesses, like ghosts – phantom images worthy of the creator of Nosferatu.« Den Spuren eines verlorenen Films zu folgen, hat vielleicht ein bisschen etwas von einer Séance, in der den Körperlosen eine Möglichkeit eröffnet wird, sich durch die weltlichen Gegenstände und Körper zu äußern. Wenn ein verlorener Film diese geisterhafte oder auch legendäre Seite hat, so ist seine Äußerungsform das Material, das sich im Umfeld seiner Produktion angehäuft hat. Bergstrom präsentiert uns Programmheft, Drehbuch, Treatment, Antwortbriefe des Preview-Publikums, Standfotos, Setfotos, Premierenfotos, Fotografien und Zeichnungen des Art Departments sowie technische Zeichnungen. Sie arbeitet vor allem mit den Setfotos, die zumeist nicht mit der realen Kameraposition übereinstimmen, mit Zeichnungen des Art Directors, die Lichtregie und Kameraposition übermitteln sowie Ausschnitten aus dem Drehbuch, das auch die Texte der Zwischentitel enthält. Aus der Quellenschau entwickelt sie so eine Text-Bildergeschichte, deren Medium und Autorin sie ist.


Der Filmrestaurierungsvermittelnde Film als Spielart des Filmvermittelnden Films ist nicht sehr häufig zu finden. Und es scheint von ihm mindestens so viele Subgenres zu geben wie restauratorische Ansätze. Es gibt Dokumentationen der restauratorischen Arbeit (Wallmüller, Koerber, Patalas, Kubelka), essayistisch-künstlerische Annäherungen an eine Rekonstruktion (Bergstrom, Schmidlin), Dokumentationen, die offensichtlich didaktisch die Restaurierungsarbeit vermitteln (Nederlands Filminstitut, Keepers of the Frame) und andere, die zum Teil ohne Kommentar die Apparate, Bilder, Handgriffe zu einer Kristallkugel der Filmrestauration montieren (Delvaux).

Wenn es nicht das Quellenmaterial ist, so sieht man Apparate und Arbeitsabläufe, man sieht Sichtungs- und Schneidetische, Entwicklungsmaschinen … und die Menschen, die an ihnen arbeiten. Filmrestaurierungsvermittelnde Filme sehen heißt auch Beobachter der Bediener von Maschinen werden.

Einige der Arbeiten sind mit hohem technischem, ökonomischem, zeitlichem und personalem Aufwand entstanden, andere sind «kleinere» Arbeiten. Egal ob didaktisch oder essayistisch, aufwändig oder nicht, allen Arbeiten gemeinsam ist, dass sie neben der Sequenz- und Bildanalyse, die typisch für den filmvermittelnden Film ist, immer das Kino als Dispositiv, das Kino und seine Dispositive in den Blick nimmt.

Filmografie