Filmvermittlung und frühes Kino

Filmvermittlung und frühes Kino
Filmvermittelnde Filme zur Vorgeschichte des Films und zum frühen Kino (bis 1907)

Von Michael Baute

Man war lange geneigt, das frühe Kino vor seiner Institutionalisierung und erzählerischen Konventionalisierung für simpel und primitiv zu halten. Beschäftigt man sich näher mit den ersten zehn bis 15 Jahren der Filmgeschichte, merkt man, wie reichhaltig das Kino der Lumière-Brüder, Edwin S. Porters, Georges Méliès' oder William Haggars ist. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass sowohl die Filmwissenschaft als auch das Avantgarde-Kino seit den 1970er Jahren immer wieder auf diese Frühform eines »anderen Kinos« zurückgekommen ist.

Weil es in dieser frühen Phase nur kurze Formen gab und – im Falle der Lumières – ein Film häufig aus einer einzigen Einstellung von knapp einer Minute Länge bestand, kann man an diesen frühen Filmen besonders gut erkennen, worin basale Kategorien des Filmemachens bestehen, die bis heute gelten: Kameraeinstellungen, Kadrierung, Umgang mit der filmischen Zeit.

Viele der filmvermittelnden Filme zum frühen Kino sind kompilatorisch strukturiert. Der Ausgangsimpuls ist oft die Sammlung und gruppierende Präsentation der kurzen Filme. Das geschieht in den beiden französischen Arbeiten zu den Filmen der Lumières und ihrer Operateure, Marc Allégrets Lumière (F 1966) und Eric Rohmers Aller au cinéma - Louis Lumière (F 1968). In den weiter ausholenden, die beginnende Kultur des Kinos als unmittelbarer Nachfahre der (visuellen und ideologischen) Kultur des späten 19. Jahrhunderts darstellenden Reihen von Hartmut Bitomsky Das goldene Zeitalter der Kinematographie (BRD 1976) und Kulturrevue (BRD 1979) findet sich das kompilierende Prinzip ebenso wie in der Serie von Filmen, die Martina Müller zum »Kino vor hundert Jahren« machte (Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren D 1995).

Kompilierend aufgebaut ist auch der von Edwin S. Porter handelnde Film von Charles Musser Before the Nickelodeon (USA 1982) oder der Film von Thom Andersen Eadweard Muybridge. Zoopraxographer (USA 1974). Das Prinzip der Reorganistation der meist kurzen Filme aus der Frühzeit des Kinos ist ebenso in Gustav Deutschs Filmen Film ist. 1-6 (Österreich 1998) und Film ist. 7-12 (Österreich 2002) obwaltend. In Matthew Sweets und David Thompsons Fernsehfilm Silent Britain (UK 2006) geht es anhand von Ausschnitten aus Stummfilmen um die Aufwertung der britischen Nationalkinematographie. Besonderes Gewicht legt der Film dabei auf frühe Pionierleistungen in Großbritannien.

Ein weiterer Strang sind die Filme, die sich ihrem Gegenstand in Form des rekonstruierenden Kostümfilms als period pic nähern. So in dem von Wim Wenders zusammen mit Studenten der Filmhochschule München realisierten Film über die Gebrüder Skladanowsky (D 1995), so in den zwei biographisch organisierten Filmen über Georges MélièsGeorges Franjus Le grand Méliès (F 1952) und Jacques Menys La Magie Méliès (F 1997). Die beiden letztgenannten Filme benutzen dabei auch Material aus Roger Leenhardts und George Sadouls Film Naissance du cinéma (F 1945), ein sehr frühes Beispiel der Re-Inszenierungspraxis. Re-inszenierend operieren auch Filme, wie Gabor Bódys Videoarbeit zu Eadweard Muybridge, The ... human figure in motion ... Hommage to Eadweard Muybridge (Ungarn 1980), in der die Verfahren Muybridges in performative Videokunst übertragen werden. Eine besondere Mischung aus didaktischen Inszenierungen einer einfachen Szene in unterschiedlichen Zeitstilen einerseits und Originalfilmen andererseits kennzeichnet Noel Burchs Correction, please (UK 1979). Teilweise »wörtliche« Übersetzungen film- und kinohistorischer Protagonisten sind auch in Teilen von Les cent et une nuits (F 1995) zu finden, Agnès Vardas Beitrag zum Jubiläumsjahr des Kinos. Der in Vardas Film den Monsieur Le Cinéma darstellende Michel Piccoli wird in Jean-Luc Godards 2 x 50 ans de cinéma français (F 1995) schließlich wieder dekonstruiert.

Ein weiterer Strang: Die technik- und apparatgeschichtlich organisierten Filme, die anhand der Darstellung von Objekten Anmutung von Geschichtlichkeit und daher Bedingtheitserfahrungen zu erzeugen wissen. Hier vor allem die Reihe von Filmen, die Virgilio Tosi unter dem Obertitel The Origins of Scientific Cinematography (D 1989-93) zusammenfasste und ebenso die sechs Filme, in denen Werner Nekes seine Sammlung von optischen Apparaten präsentiert; Media Magica (D 1995).

Selten sind intensive close readings einzelner früher Filme, wie sie Alain Bergala an drei Filmen der Lumières in Le cinéma, une histoire de plans (F 1998) vorführt. Ein close reading des ersten Films (Sortie d'usine (F 1995), das sich nach und nach zum motiv- und kulturgeschichtlichen Essay entwickelt, findet man in Harun Farockis Arbeiter verlassen die Fabrik (D 1995). Andere Formen, eng an die ikonischen Motive und Bilder der Lumière-Brüder anzuschließen, finden sich in Peter Tscherkasskys Materialfilmen L'Arrivée (Österreich 1998) und Motion Picture (La Sortie des Ouvriers de l'Usine Lumière à Lyon) (Österreich 1984).

Aus autobiographischen Erinnerungen entlang einer Reihe von gefundenen 35mm-Filmstreifen besteht Morgan Fishers Standard Gauge. Die Celluloidreste stammen zwar nicht aus dem frühen Kino, aber ihre Kommentierung bezieht sich ausdrücklich auf eine der frühesten Weichenstellung der Filmgeschichte: die Festlegung auf das Standardformat 35mm.

Filmografie

Le cinéma, une histoire de plans
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
What Do Those Old Films Mean?
Das goldene Zeitalter der Kinematographie
Kulturrevue
The Origins of Scientific Cinematography
Media Magica
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
The Origins of Scientific Cinematography
Das goldene Zeitalter der Kinematographie
Kulturrevue
What Do Those Old Films Mean?
The Origins of Scientific Cinematography
What Do Those Old Films Mean?
Media Magica
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
Das goldene Zeitalter der Kinematographie
Kulturrevue
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
What Do Those Old Films Mean?
Kulturrevue
Media Magica
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
Media Magica
Cinématographe Lumière - Kino vor 100 Jahren
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