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The Substance of Style meets The Art of Caption
Anmerkung zum 5. Teil von Matt Zoller Seitz' »Wes Anderson. The Substance of Style«

Von Volker Pantenburg

Matt Zoller Seitz, ehemals Filmkritiker in Printmedien wie der New York Times, verlegte sich Anfang 2006 ganz auf das Schreiben in Weblogs, vor allem auf der von ihm begründeten Seite The House next door. Seit 2008 publiziert er unter dem Alias insomniacdad bei youtube auch teils kommentierte, teils unkommentierte Montagen (Berkeley(esque)), die sich zwischen Filmkritik und -analyse bewegen.

Zoller Seitz’ umfassendste Beschäftigung mit einem Regisseur – nach einer vierteiligen Serie zu Oliver Stone (1, 2, 3, 4) – ist der fünfteilige Essay Wes Anderson. The Substance of Style (1, 2, 3, 4, 5), der im März und April 2009 auf der Website des Museum of the Moving Image veröffentlicht wurde, das auch als Produzent dieser und der Stone-Arbeit firmiert. Bereits The Art of Bill Melendez (2008), eine Hommage an den Regisseur der Peanuts-Filme, hatte Zoller Seitz in Andersons Film Rushmore mit seinen überraschenden Bezügen auf Melendez münden lassen. In den fünf Teilen der Anderson-Analyse folgt er nun systematischer den Einflüssen anderer Autorenstile auf Anderson. Die ersten vier Folgen sind einzelnen Vorbildern gewidmet (»Part 1 covers Bill Melendez, Orson Welles, and François Truffaut. Part 2 covers Martin Scorsese, Richard Lester, and Mike Nichols. Part 3 covers Hal Ashby. Part 4 covers J.D. Salinger.«)

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Teil 5 hebt sich bereits im Titel von den vorherigen Teilen ab. »The prologue to The Royal Tenenbaums, annotated«, heißt die 6-minütige Bildfolge. Annotation ist hier wörtlich zu verstehen: Zoller Seitz schreibt in die Bilder der Anfangssequenz des Films in überbordender Fülle Kommentierungen, Notizen und analytische Hinweise hinein; gerade in den nüchtern benennenden Fällen setzt dies an Andersons eigener Praxis der Bildunterschrift (»Caption«) an. Hinzu kommen als kleine Bilder-im-Bild, bewegt oder unbewegt, Parallelstellen aus anderen filmgeschichtlichen Referenzfilmen (von Citizen Kane über Filme von Hal Ashby bis Bill Melendez). Man kann diese Fülle unmöglich bei einem einzelnen Durchgang durch Zoller Seitz' Film wahrnehmen; dies allein ist bereits ein Hinweis auf Wes Andersons Liebe zu verspielten Details und präzise verortbaren filmischen Verfahren wie der betont-betonenden Kamerafahrt, die Zoller Seitz »emphatic dolly« nennt. Zoller Seitz’ annotierte Fassung orientiert sich – in der Maßlosigkeit ironisch, aber zugleich überaus ernsthaft ihren Gegenstand im Blick – an der kritischen Kommentierung, wie man sie im Buchmedium von Klassikerausgaben kennt, bei denen der »Apparat« den Text an Länge oft weit übersteigt.

Der beinah barocke Effekt von Fülle kommt auch dadurch zustande, dass bei allen Eingriffen und Überschreibungen des Bilds zwei Komponenten nicht angetastet werden: Die Zeitlichkeit und die Tonspur von Andersons Film. Zoller Seitz fügt dem Film keine Zeilupen hinzu, hält das Bild nicht an und greift nicht in den Ablauf der perfektionistischen Exposition der Wunderkind-Familie ein. Seine Annotationen, die in einer Flüchtigkeit vorbeihuschen, deren Effekt am besten mit dem amerikanischen Adjektiv »hilarious« beschrieben ist, sind das gelehrt-erstaunte Ergebnis eines faszinierten, immer und immer wieder den »rewind«-Knopf drückenden Kinobegeisterten. Repeat viewing für repeat viewers.

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