Filmvermittlung und Filmkritik

Gerhard Midding über audiovisuelle Filmkritik

Fünf Fragen an Gerhard Midding

Welches war Ihre erste filmkritische Arbeit in audiovisuellen Medien? Wie kam sie zustande?

Zunächst einmal muss ich klarstellen, dass ich streng genommen im Fernsehen nie eine filmkritische Arbeit geleistet habe. Mich interessierten vor allem porträtierende Formen und Formen der Stilanalyse. Dabei kam es mir besonders darauf an, das Augenmerk jenseits des Berufs des Regisseurs auf andere, wichtige Metiers zu lenken – Kameraleute (Caroline Champetier, Eduardo Serra), Cutter (Susan E.Morse), Filmkomponisten (David Raksin, Philippe Sarde), Drehbuchautoren (Jacques Fieschi), Szenenbildner (Jacques Saulnier), Standfotografen (Bob Willoughby) etc. – und dabei ein spezifisches Temperament, eine Persönlichkeit darzustellen. Durch die Wahl des Gegenstandes und die Ausführlichkeit der Auseinandersetzung mit ihm (meine Sendungen sind zwischen 20 und 60 Minuten lang) ist natürlich schon eine Wertung vorgenommen: Der Gegenstand ist der Beschäftigung würdig.

Zu der ersten Arbeit kam es durch ein Missgeschick: Zusammen mit Lars-Olav Beier fuhr ich zum Filmfest in Brauschweig, um den Designer und Vorspanngestalter Saul Bass zu interviewen. Da ich mein Bandgerät kurz vorher hatte fallen lassen und es nicht mehr aufnahm, baten wir eine befreundete Kollegin vom Fernsehen, unser Gespräch stattdessen mit einer Videokamera aufzuzeichnen. Das Material boten wir dann dem WDR-Filmredakteur Helmut Merker an, mit dem schon Freunde gearbeitet hatten und der unsere Arbeit als Filmjournalisten wohl schon etwas kannte.

Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen dem Arbeiten für Print und dem Arbeiten in audiovisuellen Medien?

Einige sind zu offensichtlich, als dass ich sie hier nennen müsste. Das Schreiben ist behänder, nuancenreicher, das Zusammenspiel aus Interview und Ausschnitt ist demgegenüber scherfälliger – jedoch mit einer kardinalen Tugend, die vieles andere wettmacht: die Anschaulichkeit. Die Fernsehsendungen waren für mich wesentlich eine Montagearbeit: das kaleidoskopartige Zusammenspiel von Interviewpassagen (oft mit diversen Gesprächspartnern, die unterschiedliche Facetten und Blickwinkel repräsentieren), Ausschnitten, Standbildern und Autorentext. Beim Schreiben habe ich also einen anderen Grad an Autorenschaft. Interessanterweise gibt es aber zahlreiche strukturelle Ähnlichkeiten: Auch wenn ich einen Filmkünstler in einem Printmedium porträtiere, gehe ich von etwas Exemplarischem aus und schlage von dort aus den Bogen zum Charakteristischen.

Gibt/gab es Vorbilder für Ihre Arbeit mit Bild, Ton und Text?

»Vorbilder« klingt so überlegt. Zunächst habe ich mich eher an bereits etablierten Mustern orientiert: Schauen, wie es gemacht wurde, und dann herausfinden, was ich selber kann. Beim Kinomagazin waren das frühere Sendungen. Ich erinnere mich, welchen Eindruck die Montage von Kommentaren Bertrand Taverniers zu einer Kamerafahrt in Das Leben und nichts anderes in einer der ersten Ausgaben auf mich gemacht hat. Diese Dichte und Evidenz in der Interpretation von Filmmomenten und Stilmitteln wollte ich fortan erreichen. Für das erste Porträt, das ich für Roland Johannes in der WDR-Filmredaktion gestaltete – über den Filmkomponisten David Raksin –, schaute ich mir vorangegangene Sendungen an, die er über Komponisten in Auftrag gegeben hatte (u.a. bei Jörg Bundschuh, wenn ich mich recht erinnere). Bei der Arbeit merkt man dann aber schnell, dass einem das gedrehte Interview-Material und die zitierten Filme den Weg weisen. Vorbilder? Nein, eher ein Rahmen, in dem man sich einrichtet und aus dem man sich später hoffentlich immer entschiedener löst.

Welche Kriterien haben Sie für die Wahl der Ausschnitte? Wie greifen Sie in das Material ein?

In der Art von Sendungen, die ich realisiert habe, hatten die Ausschnitte vor allem einen beglaubigenden, illustrierenden und ergänzenden Charakter. In ihnen sollen bestimmte Stilmerkmale anschaulich werden, an ihnen wird überprüft, wie weit die Intentionen eines Filmemachers auf der Leinwand Realität geworden sind. Es geht darum, etwas Bezeichnendes für die Gestaltung eines bestimmten Films oder für die Handschrift eines bestimmten Filmkünstlers zu treffen. Klarheit und Evidenz sind wichtige Auswahlkriterien. Da das Kinomagazin keinen Autorentext vorsieht, musste man Szenen finden, die auch ohne Erklärungsbedarf (im Bezug auf die jeweilige Handlung des Films etc.) funktionieren. Das geht am besten, wenn es wenig Dialog gibt: also vorzugsweise ganz »filmische« Momente.

Es stand außer Frage, viel Text (wenn überhaupt) über die Ausschnitte zu legen. Ohnehin habe ich mich bemüht, die Integrität der Szenen zu wahren, ihren dramaturgischen Bogen. Zwar habe ich sie durch Interviewpassagen geteilt (und damit oft auch Kürzungen vorgenommen), aber eine Veränderung der Chronologie in einem thematischen Komplex habe ich stets vermieden. Allerdings musste man immer auch dafür Sorge tragen, dass die Ausschnitte nicht zu lang geraten und so eine zu große Eigendynamik gewinnen, die den Zuschauer aus den Augen verlieren lässt, was man an dieser Stelle eigentlich erzählen will.

Natürlich haben wir immer mit kompletten Filmkopien gearbeitet, nicht mit einer vom Verleih vorgesehenen Szenenauswahl. Und die Ausstrahlung in Zweikanalton erlaubte es uns, auch die originale Tonspur zu respektieren.

Über welchen Film würden Sie gerne eine filmische Filmkritik machen? Wie sähe diese Filmkritik aus?

Eine Filmkritik würde ich nicht machen. Da würde mich schon eher eine essayistische Form interessieren, für die es im deutschen Fernsehen jedoch keinen Platz mehr gibt. Also würden sich das Internet, und noch reizvoller: das Bonusmaterial von DVD-Editionen, anbieten. Wenn ich also einen Wunsch (oder gleich ein paar!) frei hätte: ein Essay über die rätselhafte Rolle, die die Dekors in Joseph Loseys Filmen spielen, über Pascale Ferrans besonderes Gespür für Filmschlüsse, über das Tempo in Bon Voyage von Jean-Paul Rappeneau – und lauter Versuche, Filme zu rehabilitieren, die es in Deutschland nie in irgendeinen Kanon geschafft haben, allen voran die Meisterwerke der commedia all’italiana: I compagni von Mario Monicelli, Tutti à casa von Luigi Comencini, Una Vita difficile von Dino Risi.

Wie würden sie aussehen? Ich würde mir größere Freiheiten nehmen. Es gäbe mehr Autorentext als im Kinomagazin.

Welche Ihrer Arbeiten halten Sie für einsetzbar in pädagogischen Zusammenhängen von Filmvermittlung? Warum?

Die Sendungen über Saul Bass, Caroline Champetier, Jacques Fieschi und David Raksin, weil sie spezifische Metiers exemplarisch darstellen und zugleich das Filmemachen als kollektiven Schaffensprozess begreifbar machen. Die zwei (selbst-)kritische Sendungen über den Umgang mit Filmformaten im Fernsehen, Der betrogene Blick und Mehr Luft zum Atmen, folgten auch einer didaktischen Intention. Die Interviews mit Sydney Pollack und Bertrand Tavernier, auf denen die Sendungen jeweils beruhten, sind eine kleine Schule des Sehens. Einige Sendungen sind schon in einem gewissermaßen pädagogischen Kontext, auf Symposien und Tagungen (über Kameraarbeit, Filmmusik und das Verhältnis von Fotografie und Film) sowie in Hochschul-Seminaren (an der DFFB) gezeigt worden.

Können Sie uns eine Auswahl von fünf Ihrer (liebststen) Arbeiten nennen?

Weil David Raksin ein so kluger (und, um kurz einmal das Medium zu wechseln, druckreif sprechender) Interviewpartner war, steht Bilder, die man hören kann an erster Stelle. Die anderen Interviewten waren allerdings auch nicht dumm: Elmer Bernstein, Henry Mancini, André Previn, John Williams.

Aus sentimentalen Gründen steht Aufgewachsen in Hollywood, das Porträt von Robert Parrish an zweiter Stelle. Nicht nur, weil er während des Schnitts starb und weil seine ehemalige Cutterin Renée Lichtig im letzten Moment eine französische Kopie des Films In the French Style organisieren konnte, mit dem das ganze Konzept stand oder fiel. Parrish war Kinderdarsteller, Cutter, Regisseur und am Ende Autor von Memoiren – da hatte ich eine ganze Bandbreite von Einblicken ins Filmgeschäft. Es war die erste Sendung, in der wir mit der Kamera etwas mehr ausprobierten, als nur talking heads zu filmen.

Ich war ein erfolgreicher Jäger über Bob Willoughby war eine interessante Arbeit, weil es mit dessen Standfotos ein zusätzliches Element gab, das eine freiere Assoziation beim Schnitt erlaubte. Da Willougby ein großer Bewunderer des West-Coast-Jazz war, gab es etliche Gelegenheiten, Passagen nach der Musik zu schneiden.

Ich glaube, in Jeder Stoff ist eine Begegnung über Jacques Fieschi lernt man sehr viel über die Bedeutung des Drehbuchschreibens. So erging es zumindest mir bei der Arbeit daran, obwohl ich mich damals schon seit zweieinhalb Jahrzehnten mit dem Beruf beschäftigte.

Rastlose Nähe, das Kinomagazin über Patrice Chéreau und Sein Bruder gewann durch die Arbeit des Cutters Jürgen Gorzel eine ungeheure Ruhe: Er ließ immer ein paar Bilder mehr stehen, nachdem Chéreau seine Antworten beendet hatte.

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