Filmvermittlung und Filmrestaurierung

Bernard Eisenschitzs Film »Les Voyages de L'Atalante«

Von Jean Vigos Film L’Atalante gibt es keine Fassung letzter Hand. Vigo, schon während der Dreharbeiten erkrankt, war nicht unmittelbar am Schnitt beteiligt. Die Kin0auswertung des Films (unter dem Titel La Chaland qui passe) begann im September 1934. Die von Vigos Cutter Louis Chavance erstellte Version wurde von Verleihern umgeschnitten und umbenannt. Eine verwickelte Geschichte der Überlieferung des Films in unterschiedlichen Fassungen folgte. Bernard Eisenschitzs Film Les Voyages de L’Atalante handelt von dieser Geschichte der unterschiedlichen Versionen, Restaurierungen und Rekonstruktionen von L’Atalante. Zugleich ist er auch ein Dokumentarfilm über die Ästhetik L’Atalantes. Der Film ist u.a. auf der Bonus-Disc der Artificial Eye DVD von Vigos Komplettwerk zu finden.

Auch ist Eisenschitzs Film als Reaktion auf die 1990 von der Gaumont in Auftrag gegebene Restaurierung zu verstehen. 2001 gehörte Eisenschitz zu einem Team von Wissenschaftlern und Restaurateuren, die einige der Eingriffe, die in der Version von 1990 gemacht wurden, zugunsten einer »puristischeren«, angemesseneren Version berichtigten. In einem hier zu findenden Interviewauszug spricht Eisenschitz ausführlicher über die Hintergründe dieser Arbeit. Im Film werden die verschiedenen Variationen und Überlieferungen miteinander verglichen.

Jeder der Varianten liegen Überlegungen zugrunde, Ansichten, Vorstellungen, Ideen; und materielle Umstände. Es sind so spezifisch informierte Lesarten. Daraus resultieren spezifisch informierte Entscheidungen. Eisenschitz zeigt Beispiele dafür.

1934 verändern die Verleiher den Film, um seinen kommerziellen Erfolg zu erhöhen. So wird ein seinerzeit beliebtes Lied in die Handlung eingefügt und gibt dem Film seinen neuen Titel (La Chaland qui passe). Um den in der ursprünglichen Filmfassung zu sehenden Liedtitel (Chant des Mariniers) aus dem Film verschwinden zu lassen, wurden Schnitte nötig. Mit Bildwiederholungen wurden sie kaschiert. Als 1940 der Film unter seinem ursprünglichen Titel und mit der Originalmusik von Maurice Jaubert erneut ins Kino kommt, stehen dem Verleiher nur verstümmelte und teilweise beschädigte Kopien zur Verfügung. Auch an ihnen werden Kürzungen vorgenommen. Die Fassung, die dann 1949 beim Festival du Film Maudit de Biarritz gezeigt wurde, war eine zweite Rekonstruktion, unternommen von Henri Langlois und Vigos Biograph Paulo Emilio Salès Gomès. Doch auch dieser Fassung stand nur unzureichendes Material zur Verfügung. Die 1990er Fassung schließlich konnte aus dem Vergleich der bisherigen Versionen sowie durch den Fund der Schnittfassung von 1934 die bis dato kompletteste Fassung des Films erstellen.

Die Notwendigkeit der daraufhin 2001 realisierten neuen Fassung begründet Eisenschitz damit, dass die Fassung von 1990 möglicherweise »zu komplett« sei. Die – ungeschnittene – Einstellung, in der Michel Simon einem Jungen einen Tritt in den Hintern gibt, hätte Vigo niemals für den fertigen Film verwendet. Sie aber findet sich in der Version von 1990. Eisenschitz bringt weitere Beispiele der 1990-er Fassung, die die Logik von Vigos Ästhetik verletzen. Für die Restaurierung von 2001 ist daraufhin, im Vergleich der Fassungen von 1934 und 1990, und unter den Gesichtspunkten der einfachen, kräftigen und doch zurückhaltenden Schnitttechnik von Chavance sowie des Purismus des Direkttons und der Mischung mit artifizieller Musik eine vermutlich optimale Fassung entstanden.

Filmografie