Filmvermittlung und Bildforschung: Harun Farocki

Einführung: Vom Kino sprechen mit Film

Von Stefan Pethke

Der Filmemacher Harun Farocki kommt in vielen seiner Filme auf das Kino, auf ein ganz bestimmtes Versprechen der Ausdrucksform »Kino« zurück. An diesem bestimmten Kino interessiert Farocki die Verknotung verschiedener Ansätze einer Moderne, die sich nie richtig durchsetzte: der sowjetische Konstruktivismus, das Epische Theater Brechts, die britische Dokumentarfilmschule, der Querschnittfilm mit seinen Typologisierungen, allgemein das Antipsychologische.

Farocki widmet sich diesem möglicherweise utopischen Programm in mehreren seiner Filme. Da ist eine beinahe verschüttete Herausforderung, an die er anknüpfen, die er aktualisieren möchte. Er siedelt sich selbst an in dieser Herausforderungstradition, die von den anderen Filmen, dem »Normalfilm«, selten wahrgenommen wird – und auch der »Kunstfilm« gehört zum Normalen, ist seine regelhafte Abweichung.

Vor allem in den 1970ern ist der Produktions- und Aufführungsort, der für diese Arbeit an zukünftigen Traditionen bevorzugt wird, das Fernsehen. Das Fernsehen ist der gesellschaftliche Ort, an dem die kommunikationstechnischen Errungenschaften und Produktionsmittel auf die Höhe eines kritischen Bewusstseins gebracht werden könnten. Doch bei dieser Aufgabe versagt das Fernsehen systematisch - und hier setzen Farockis Filme wie Die Arbeit mit Bildern und Der Ärger mit den Bildern ein: Immer noch fehlt der Welt eine Sprache, diese »neue« Kunst zu beschreiben. Farockis Filme arbeiten daran, Material für solch eine Sprache zu liefern.

Farockis filmische Filmbeschäftigung geht oft von Beschreibungen aus. Ein sachlicher Kommentar begleitet die Bilder mit einfachem Satzbau und in leicht verständlichen Worten. Zu Farockis bevorzugten Stilmitteln gehören die Auslassung (die herausgehobenen Fragmente lassen Resonanzraum für das Nicht-Gesagte/Nicht-Gezeigte), die Wiederholung und assoziative Ketten: Aus einem Adjektiv wird ein Hauptwort, das weitere Adjektive gebiert, die wiederum zu Hauptwörtern werden.

So weben wechselseitig sich neu aufladende Bilder und Worte ein fein rhytmisiertes Netz von Gedanken – gewisse Techniken der Produktion von Lyrik erweisen sich als hilfreich für die filmische Erörterung von Sinnkonstruktion im Kino; oder: musikalisches Denken.

Der Ton dieser Beschreibungen ist gerichtet auf Strukturelles: Zu jeder Bildbeschreibung gehört die Beschreibung von Kontext. Farocki hat eine Aufmerksamkeit für das Institutionelle der Bilderproduktion. Seine Lektüre von Filmen sucht ein Verständnis für die Kulturtechnik Kino produktions- und sozio-historisch herzustellen; seine Bilder – die selbst gedrehten wie die kritisch gelesenen – sollen stets auf die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, aus denen auch sie selbst hervorgehen, verweisen.

So ist das Kino bei Farocki einerseits das Modell für eine auf dem jeweils höchsten Stand der technischen Produktionsmittel angesiedelte Beschreibungsform von Gesellschaft. Andererseits ist Kino selbst gesellschaftlich bedingt und der avancierte Stand der Produktionsmittel steht im Widerspruch zu den herkömmlichen Formen seiner Organisation und Distribution. Aus dieser Dialektik heraus agieren die Kritikfilme Farockis.