Filmvermittlung und Bildforschung: Harun Farocki

Nebeneinander
Doppelprojektionen bei Harun Farocki

Von Volker Pantenburg

[1]Vgl. Ingeborg Reichle: Medienbrüche, in: kritische Berichte 1/2002 [Themenheft: Die Bildmedien der Kunstgeschichte], S. 40–56. Zudem Heinrich Dilly: Die Bildwerfer. 121 Jahre kunstwissenschaftliche Dia-Projektion, in: Zwischen Markt und Museum. Beiträge der Tagung «Präsentationsformen von Fotografie», Rundbrief Fotografie. Sonderheft 2, Göppingen 1995, S. 39–44.

Eines der wichtigsten analytischen Verfahren der kunstgeschichtlichen Vermittlungspraxis seit dem 19. Jahrhundert ist die Doppelprojektion. Das alternierende oder gleichzeitige Zeigen von zwei Diapositiven ermöglicht es, die unterschiedlichsten Relationierungen von Bildern vorzuführen: Gesamtansicht und Detail eines Bildes, Vorlage und Bearbeitung, Skizze und Ausführung sind nur einige der dynamischen Konstellationen, die im Nebeneinander von zwei Bildern zur Anschauung kommen können. [1]

[2]Harun Farocki: Quereinfluss / Weiche Montage, new filmkritik 12. Juni 2002.

Harun Farocki hat das Nebeneinander zweier bewegter oder unbewegter Bilder seit Mitte der 90er Jahre immer wieder eingesetzt und zu einem elaborierten Verfahren entwickelt. Er selbst weist – neben den Aktionen des Expanded Cinema in den 60er Jahren – vor allem auf Godard als Impulsgeber hin: »Als 1975 Godard Numéro deux veröffentlichte, einen 35-mm-Film, der (zumeist) zwei Videomonitore abbildet, war ich sicher, daß hier die neue Erfahrung am Videoschnittplatz zur Darstellung kam, der Vergleich zweier Bilder. Was ist diesen zwei Bildern gemeinsam? Was kann ein Bild mit einem anderen gemeinsam haben?« [2]

[3]Vgl. den Katalog Harun Farocki. Nebeneinander, hg. vom MuMok Wien, Köln: Walther König 2007.

Gegenmusik_01

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Zwar gelten diese Fragen unabhängig vom Medium oder spezifischen Bildtypus; als das wichtigste Medium bewegter Bilder und als prominenter Gegenstand dieser Bildbefragungen kommen jedoch Filmgeschichte und Kino immer wieder in den Blick. Mit dem Nebeneinander von zwei Bildern rückt die Frage des Vergleichs als kritischer Operation ins Zentrum. Das analytische Denken, das ja immer ein Denken der Bezüge und Verhältnisse ist, findet hier eine räumliche Form. Begünstigt wurde Farockis Anwendung dieser Methode dadurch, dass er seit Schnittstelle immer häufiger Arbeiten in Kunsträumen (und immer seltener für das Fernsehen) realisieren konnte. Die konkrete Form der Anordnung und medialen Konfiguration ist dabei vielfältig: 2 Bilder auf gleicher Höhe nebeneinander wie in Vergleich über ein Drittes (2007) [3], diagonal überlappend wie in den Auge/Maschine-Installationen (Teil I bis III, 2000 bis 2003) oder Ich glaubte Gefangene zu sehen (1999, single channel-Version 2000), auf zwei separaten Monitoren wie in Zur Bauweise des Films bei Griffith, auf 11 nebeneinanderstehenden Monitoren wie bei Arbeiter verlassen die Fabrik (in 11 Jahrzehnten) oder als synchrone Entfaltung von Darstellungsweisen des WM 2006-Endspiels auf 12 Flachbildschirmen (Deep Play, 2007).

Für jede dieser Aktualisierungen des »Nebeneinander« stellt sich die Frage neu, welche gedankliche Operation hier abgebildet, initiiert, nahegelegt oder im Modus einer eigenständigen visuellen Grammatik ausgedrückt wird. Das übergreifende Prinzip, das in den Doppelprojektionen wirksam wird, hat Farocki so beschrieben:

[4]Harun Farocki: Quereinfluss / Weiche Montage, new filmkritik 12. Juni 2002.

»Bei einer Doppelprojektion gibt es sowohl die Sukzession als auch die Gleichzeitigkeit, die Beziehung von einem Bild zum folgenden als auch zum nebenstehenden. Eine Beziehung zum Vorgewesenen wie zum Gleichzeitigen. Man hat sich vorzustellen, daß drei Doppelbindungen zwischen den sechs Kohlenstoffatomen eines Benzolrings hin- und herspringen und ebenso doppeldeutig stelle ich mir die Beziehung eines Elements auf einer Bildspur zu seinem nachfolgenden oder nebenstehenden vor.« [4]

[Filmvermittelnde Arbeiten Farockis, die über das Prinzip »Nebeneinander« strukturiert sind: Der Ausdruck der Hände, Gefängnisbilder, Gegen-Musik, Zur Bauweise des Films bei Griffith]