Cinéphilie: André S. Labarthe

Brautraub
Aus André S. Labarthes Film über Eric Rohmer

Von Michael Baute

Ein Schwenk vorbei am Trocadero. Die Cinemathèque. Ein Streifen der Geschichte. Dann ein ähnlicher Schwenk über einen Platz und einer die Fassade eines Hauses empor. Hier installiert Rohmer gerade seine neue Firma. Es ist noch nichts richtig eingerichtet. Die Räume sind leer, Büroräume, in die, aus dem Flur heraus, hineingeblickt wird. Am Ende des Flurs liegt ein Raum mit dem provisorischen Büro, kaum etwas ist installiert, leere Regale, weiße Wände, aber ein Schreibtisch steht schon da, mit Rohmer und Jean Douchet ihm gegenüber, der für den Film die Fragen stellt, bereit für das Gespräch, auf den Film wartend, es kann gleich losgehen, sie warten aufs Startsignal, aber die Kamera schaut sich noch ein bisschen um, gleitet noch den Rest des Flurs entlang, blickt kurz in die anderen Räume. Sie sind fast alle leer. In einem von ihnen ist ein angeschlossenes Telefon auf dem Parkett zu sehen.

Die weibliche Voice-Over-Stimme hatte schon bei den ersten Bildern eingesetzt. Sie klärt jetzt vorab ein paar Sachen für den Film, dass Rohmer zu der Nouvelle Vague gehöre und dass Labarthe und Douchet ihn im Herbst 1993 zu einem Gespräch trafen und dass die Räume der Firma noch nicht eingerichtet sind und dass die Filmaufnahmen mit Rohmer fünf Tage dauerten und dass es dann die Aufgabe war, das Material dieser fünf Drehtage zu ordnen und aneinander zu schneiden, es zu organisieren. Während die Voice-Over-Stimme das alles klärt, schwenkt die Kamera den Flur der Büroräume entlang, klackernde Tippgeräusche einer elektrischen Schreibmaschine sind zu hören (wie bei Godard) und man hört auch, dass sie besonders nachhallen, so nachhallen, wie es bei leeren Räumen ist, in denen sich der Schall nicht bricht und besonders nachhallt. Und bei der Stelle, wo die Stimme von der nachträglichen Organisation des Materials der fünf Drehtage angekommen ist, hat die Kamera den Blick in einen weiteren Raum gemacht, die Tür ist nur angelehnt und man sieht im Gegenlicht und aus dem Ausschnitt, den die angelehnte Tür freilässt, einen Mann an einer Schreibmaschine sitzen und tippen, ein Mann mit Jacket und Hut auf dem Kopf vor einer elektrischen Schreibmaschine, die die ganze Zeit die klackernden Geräusche aus dem Off erzeugte, und jetzt dreht sich der Mann ein wenig verwundert um zur Kamera, dreht seinen Kopf, schaut kurz auf, wer da in das Zimmer hineinschaue, ein wenig irritiert über das Angeblicktwerden, ein Augenblick nur, wendet sich dann aber schnell wieder ab, das Angeblicktwerden registrierend, nur eine kurze Unterbrechung, und tippt weiter. Das ist Labarthe.

Gegen Ende des ersten Teils des Gesprächs gibt es eine tolle Merkwürdigkeit. Rohmer ist unglaublich gut vorbereitet und erklärt anhand von einzelnen Gegenständen seine Art Filme zu machen, Dinge, die er nach und nach vorzeigt. Notizbücher, Audiocassetten, Super-8-Probeaufnahmen, Einstellungen aus den fertigen Filmen, die er per VHS auf einem Monitor zeigt, sowie zweier kleiner Taschen, in denen das spärliche Equipment verstaut ist, das er für seine Filme benötigt; es seien Amateurfilme, die er mache, sagt er. Auf einmal: Glockenläuten einer nahegelegenen Kirche, das das Gespräch zwischen Rohmer und Douchet für einen Moment unterbricht. Rohmer sagt etwas und dann kommt das Glockenläuten und er schaut fragend in die Kamera und hört auf zu sprechen, weil er weiß, dass das Glockenläuten das Zuschauen des vorbereiteten Fragens und Antwortens irritiert. Und während Rohmer noch fragend, wie mit dem störenden Glockenläuten umzugehen sei in die Kamera blickt, schneidet der Film plötzlich ganz unvermittelt nach Außen und zeigt eine Kirche. Es ging in der vorhergehenden Gesprächspassage um die Bedeutung des Zufalls für das Filmemachen. Der Film zeigt die Kirche in einer Untersicht und schneidet nun in eine Totale des Portals. Stufen führen zu ihm hinauf und eine Hochzeitsgesellschaft hat sich versammelt. Nähere Einstellungen, eine Braut, ein Bräutigam, Hochzeitsgäste, ein Fotograf. Blicke zwischen den Beteiligten. Das ist alles richtig inszeniert, Leute, Blicke, Raum: eine Szene.

Später, im zweiten Teil des Films über Rohmer, nimmt der Film diese Szene für einen kleinen Moment wieder auf in zwei Einstellungen, die zwischen das weitergelaufene Gespräch zwischen Rohmer und Douchet geschnitten sind. Da sieht man die Braut mit einem anderen Mann die Straße entlang rennen, sie trägt noch ihre Brautkleidung und ist ganz außer Atem vom Rennen und vom Überschuss, der sie erfüllt, der Euphorie, dem irren Entschluss, sich von einem Moment zum anderen von der eigenen Hochzeit zu stehlen, sich stehlen zu lassen, überrumpelt von einem Augenblick. Sie ist geraubt worden, sie hat sich rauben lassen und Labarthe hat das bereitwillig in seinen Film über Rohmer geschmuggelt. Dann, als sei nichts gewesen, geht es weiter mit Rohmer.

Filmografie