Cinéphilie: André S. Labarthe

Die Leute wollen keine Kritik, sie wollen Werbung

Ein Gespräch mit Luc Lagier

Die Leute wollen keine Kritik, sie wollen Werbung

Luc Lagier über seine Arbeit an filmvermittelnden Filmen
Luc Lagier gehört mit filmischen Analyen zu Dziga Vertov, Alain Resnais, Jean-Luc Godard, Brian De Palma, Gus van Sant und anderen zu den produktivsten Autoren einer jüngeren Generation von Pariser Cinephilen. Im Sommer 2008 trafen wir Luc Lagier in seiner Pariser Wohnung und sprachen über seine Zeit als Chefredakteur des Kurzfilmmagazins »Kurzschluss« und seine vielfältigen filmvermittelnden Tätigkeiten. Aus dem ausführlichen Gespräch, das Volker Pantenburg, Stefan Pethke und Erik Stein mit Lagier führten, haben wir einen fortlaufenden Text kompliliert.
I. Kurzschluss

Seit 2007 arbeite ich nicht mehr für »Kurzschluss«, das Kurzfilm-Magazin auf arte. Dort war ich sechs Jahre lang Chefredakteur. Seitdem hat sich die Sendung verändert, denn es sind nicht mehr dieselben Leute, die sie machen. Die Arbeit hat mir sechs Jahre lang gut gefallen, bis zu dem Moment, wo einem gesagt wird: »Also, Filmanalysen sind nicht gerade das, was wir wollen im Zusammenhang mit Kurzfilmen.« Mit anderen Worten: Auch wir haben ein bisschen die Gesetze des Fernsehens zu spüren bekommen, eines Fernsehens, das weltweit eine bestimmte Entwicklung einschlägt gibt, nämlich: Cinephilie findet jetzt im Kabel statt, nicht mehr bei den großen französischen Sendern wie arte, TF1, m6, France 2 oder France 3. Im Hinblick auf die Cinephilie hat es bei denen einen deutlichen Rückgang gegeben. Und es stimmt, dass wir bei »Kurzschluss« demgegenüber sechs Jahre lang ein Inselchen der Freiheit repräsentierten. Wir konnten es uns erlauben, über ein Kino der Vergangenheit zu sprechen; Filmanalysen zu machen, von denen Sie nur ein paar kennen; uns auf aktuelle Geschehnisse beziehen wie Canal+ oder TF1, aber auf andere Weise. Dieser Ansatz hat eine gewisse Lebensdauer und die kam an ihr Ende. Sechs Jahre lang hat alles gut funktioniert, bis zu dem Tag, wo man Ihnen sagt: »Wir wollen keine Filmanalysen mehr, auch nicht um Mitternacht.« Das gilt auch für arte, für DEN cinephilen Sender schlechthin, zumindest in Frankreich, aber ich denke mal, das verhält sich für Deutschland ähnlich. Also: So ein Inselchen der Freiheit existiert nicht für das ganze Leben, geschweige denn für die Ewigkeit. Heutzutage besteht meine Arbeit darin, hauptsächlich Dokumentationen über das Kino zu machen, weiterzumachen mit den DVD-Boni, weiterzumachen mit der Bilderziehung »l'éducation en image« an den Schulen, den Gymnasien beispielsweise. Ich habe gerade ein Buch über De Palma veröffentlicht, beim Verlag der Cahiers du Cinéma. Publizistisch bin ich also weiter aktiv, mache aber keine Fernsehsendungen mehr. Das ist wirklich unregelmäßiges Arbeiten, von Zeit zu Zeit richtige Projekte durchführen, vier bis fünf pro Jahr, über De Palma, die Nouvelle Vague usw., aber in keinem Fall für »Kurzschluss«. Und wie gesagt: »Kurzschluss« hat sich jetzt stark verändert, seit einem Jahr. Es ist wirklich zu einem ausschließlichen Begleitprogramm für die Kurzfilme geworden, quasi mit einem Verbot der Analyse, das ist praktisch schwarz auf weiß nachzulesen. Also ein Rückschritt.

Um uns schließlich vor die Tür setzen zu können, waren sie gezwungen, uns zu sagen : »Das gucken zu wenig Leute.« Bei der neuen Sendung ist die Quote die gleiche, die gucken genauso wenig Leute. So ist das. »Kurzschluss« hatte einen guten Ruf, aber keiner hat es geguckt. Wir hatten 100.000 Zuschauer, was sehr wenig ist. Eigentlich ein guter Wert, aber doch sehr wenig. Das war schon eine kleine Insel der Freiheit, die aber unglücklicherweise ihre Grenzen hatte. Dabei bin ich durchaus ein Anhänger des Massenpublikums und hoher Einschaltquoten; hätte ich Millionen von Zuschauern, so wäre ich sehr glücklich. Ich gehöre nicht zu diesen Cinephilen, die glauben: Je weniger Zuschauer, desto besser das Produkt. Ich denke im Gegenteil: Je mehr Zuschauer, desto besser das Produkt. Ich glaube, ich werde es auch nie verstehen, warum ein Zuschauer, der etwas von mir guckt – cinephil oder nicht –, umschaltet bzw. warum ihm das nicht gefällt. Ich arbeite hart genug daran, dass alle Welt mich verstehen kann, einschließlich meiner Eltern, einschließlich meiner Frau, die keine Cinephile ist. Ich möchte mich nicht ausschließlich an Cinephile wenden. Ich möchte mich AUCH an die wenden, sicher, aber ebenso an den Zapper, der rein zufällig auf eine Sendung, auf eine Dokumentation stößt. Das ist doch das Geniale am Fernsehen oder am Internet: Man kann eventuell rein zufällig auf eine analytische Arbeit stoßen. Das ist beim DVD-Bonus nicht der Fall, zum Beispiel. Niemals wird irgendjemand rein zufällig 25 oder 30 Euro für die ersten Forman-Filme auf DVD ausgeben, auf denen meine Bonus-Arbeiten enthalten sind. Da gibt es keinen Zufall.

Glücklicherweise gibt es bei den DVDs solche Firmen wie Criterion in den USA. Kürzlich habe ich mit denen zusammengearbeitet, über Godard und über Marker, über Kieslowski übrigens auch. Das Tolle an denen ist, dass die eine wirklich bemerkenswerte verlegerische Arbeit machen, die stecken noch Geld in die Boni, denn ab einem bestimmten Punkt ist das eine finanzielle Frage: Man benötigt Geld für die Archivarbeit; außerdem werden die DVDs international vermarktet. Deren Geschäft ist ein weltweites, das ist bei arte nicht der Fall, das ist auch bei MK2 nicht der Fall. Doch wenn ich für MK2 arbeite, dann sehe ich ja, wie sich die Budgets unterscheiden. Ich spreche von den Recherchebudgets und den Unterschieden zwischen einer Ausgabe, die sich nur im Besitz der Rechte für Frankreich befindet, und einer mit weltweiten Rechten. Die Bedingungen für Kieslowskis »La double vie de Véronique« (»Die zwei Leben der Veronika«, Frankreich/Polen/Norwegen 1991) waren nicht gerade königlich, doch man bekam noch ein paar Groschen, um eine richtige Recherche durchführen zu können. Für »The End of Violence« gab es dagegen so gut wie nichts mehr. Als Archivmaterial hat man wirklich nur noch den Film selbst. Das stellt einen vor Probleme. Meiner Ansicht nach ist es nicht gut, nur auf die Filmbilder zurückgreifen zu können. Wenn ich selbst DVD-Boni anschaue, dann meist unmittelbar nachdem ich den Hauptfilm gesehen habe. Das erzeugt einen Redundanzeffekt, der schrecklich ist, und die Wirkung des Schnitts ist schwach. Denn wenn Sie gerade den Film gesehen haben, sind sie übersättigt mit Bildern. Und dann kommen die gleichen Bilder wieder. Man sollte also immer ein wenig aus dem Film ausbrechen, um – kleines Paradox – umso besser zu ihm zurückkehren zu können. Das ist zum Beispiel mein Ansatz bei »Letztes Jahr in Marienbad«: Wir sprachen über die Anfänge von Resnais, wir setzten Photos von den Dreharbeiten ein sowie heute und in Farbe gedrehte Aufnahmen, um »Marienbad« für eine Viertelstunde ein wenig zu entkommen. Ein wenig die Bilder, die man gerade gesehen hat, vergessen, um danach, wie nach einer Pause, wieder in den Film einzutauchen. Von dem Bonus zu Vertov, den Sie gesehen haben, bin ich im Gegensatz dazu nicht sehr überzeugt. Ich denke, der Text ist nicht schlecht, ich denke, die Arbeit ist aufrichtig, aber als DVD-Gucker ist es schwierig, denke ich. Darüberhinaus ist bei Vertov die Montage so dermaßen besonders, so dermaßen kraftvoll und brillant, so dermaßen berauschend, dass Sie die Leute erschöpfen, wenn Sie ihnen nach dem Hauptfilm noch 10 Minuten Bonus-Materialien vorsetzen. Ich glaube, das ermüdet die Leute und ich denke, so vorzugehen, ist ein Fehler. Ich gehe vom Grundsatz aus, dass es nicht am Zuschauer liegt, wenn der meine Arbeit ansieht und sie ihm nicht gefällt. Wenn er sich nicht konzentriert, liegt das an mir. Davon gehe ich immer aus. Und ich denke ernsthaft, dass das nicht nur eine persönliche Haltung ist, ich denke, das stimmt einfach: Es ist unsere Aufgabe, uns zu jederzeit verständlich zu halten. Und das ist echte Arbeit. Sie können sich nicht vorstellen, was ich mir alles für Fragen stelle, wenn ich einen Text schreibe und am Schnitt arbeite: Versteht der ideale Zuschauer diese Stelle? Wie kommt es, wenn ich mir eine Textstelle selbst laut vorlese, dass ich finde, dass eine Passage nicht funktioniert? Muss ich das dann ändern? Hat das mit einem Komma oder anderen Zeichensetzungen zu tun? Das ist übrigens sehr interessant, das ist eigentlich das Interessanteste an der Arbeit. Und ich gehe vom Prinzip aus, dass man sich jede Sekunde Fragen stellen muss, und dabei handelt es sich überhaupt nicht um Konzessionen, das ist eine Arbeit, die man von Dir verlangen kann. Wozu soll das gut sein, sich an die 500 Personen zu wenden, die von dieser Art Arbeit ohnehin schon längst erreicht worden sind? Man muss versuchen, die Trennungslinien ein wenig zu bewegen, die Grenzen ein wenig zu verändern.

Die Kinoliteratur hat mit dem Problem zu kämpfen, dass man den Autoren die Schwierigkeit anmerkt, eine Szene so zu beschreiben, dass der Leser alles, was im Bild passiert, verstehen kann. Gleichzeitig lässt diese Schwierigkeit das Vorstellungsvermögen des Lesers arbeiten. Das macht Lust darauf, den Film nochmals zu sehen. Für den permanenten Bildbeweis besteht gar keine Notwendigkeit. Im Gegenteil: Manchmal ist das besonders interessant, ihn nicht zur Verfügung zu haben, sich von der Analyse hypnotisieren oder berauschen zu lassen. Denn jede Analyse ist falsch, zumindest unvollständig. Also müssen Sie die Leute immer ein wenig hypnotisieren, sie glauben machen, der Film sage dieses, das Bild jenes, obwohl Sie es sind, die das alles in den Bildern sehen. Ich denke, ob eine Arbeit interessant ist, entscheidet sich dadurch, in welchem Ausmaße die Analyse, wenn wir sie einmal gesehen haben, uns als Zuschauer, als Cinephile behandelt. Der interessanteste Moment ist der, nachdem man die Analyse zuende geschaut hat und bevor man beschließt, den Hauptfilm zu sehen bzw. noch einmal zu sehen. Da arbeitet die eigene Phantasie und das macht nicht nur Lust darauf, den Hauptfilm nochmal anzuschauen, sondern es bietet wirklich eine alternative Lesart, eine Lust zur Änderung, zur Modifikation. Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich genauso vorgehen wie Sie und die DVD-Boni völlig unabhängig betrachten. Für mich sind die DVD-Boni eine falsche gute Idee. Auf den ersten Blick sind sie phantastisch, aber ihre Wirkung ist dann schon nicht mehr so besonders. Wirklich interessant ist doch, zufällig im Fernsehen auf eine 10-minütige Analyse von »La Jetée« zu stoßen und sich zu sagen: »Den Film habe ich aber schon lange nicht mehr gesehen, ich kriege Lust, den mal wieder anzuschauen. Stimmt das wirklich alles, was da gesagt wird? Das ist ja interessant, das habe ich noch nie so gesehen!« usw. Diese ganze Arbeit intelektueller Reflektion ist interessant. Die muss man in Gang setzen. Wenn Sie den Film gerade wiedergesehen haben oder auch, wenn Sie zuerst den Bonus schauen und eine Sekunde später zum Hauptfilm übergehen, dann ist das zu schnell, zu nah dran, das läuft dann im Modus »Hat die Analyse wirklich recht?«. Das ist nicht gut, denn man hat niemals recht, weil man zuviele Dinge auslassen muss. In Hitchcocks »Vertigo« sieht man Kim Novak am Anfang stets von hinten, im Profil oder aus der Entfernung; das stimmt, aber es gibt auch einige wenige Frontaleinstellungen. Trotzdem ist sie mehrheitlich von hinten aufgenommen, eine mysteriöse Figur usw. Es gilt zu vermeiden, dass ein Zuschauer der Analyse nur noch sagt: »Ah, da täuscht er sich aber! Hier haben wir Novak von vorne!«. Der Zuschauer muss die Analyse auch wieder ein bisschen vergessen können, wenn er den Hauptfilm wiedersieht. Er muss vergessen können, denn die Analyse hat etwas von Hypnose. Der Zuschauer muss aber wach sein!

II. Zur Arbeitsweise

Ich komme vom Schreiben, also gehöre ich nicht zu denen, die vom Bild kommen. Wie die meisten Kritiker war ich es gewohnt, mit dem Schreiben loszulegen, und zwar ohne mich um eine Begrifflichkeit wie die der Montage zu kümmern (auch wenn ich natürlich auf die Zeichensetzung achte). Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich in meiner Seele ein Cutter bin. Wenn ich meine Kritiken oder meine Bücher wiederlese, dann springt mir so etwas wie ein Schnitteffekt ins Auge. Als Jugendlicher habe ich total viele kleine Collagen gemacht usw., in meinem Blog konnten Sie das vielleicht sehen. Mir gefiel daran immer dieser Aspekt des Modellhaften, des »Überzeugungsversuchs« usw. Wie ich funktioniere? Auf jeden Fall nicht so, dass ich ein erst einen Text schreiben würde und mir dazu dann die Frage stellte: »Welche Bilder könnte ich zu diesen Worten montieren?«. Die Bilder sind zuerst da. Dann vergesse ich sie. Von einem bestimmten Zeitpunkt an muss man diese Art Vorschnitt vergessen, den man im Kopf hat. Ich schreibe dann einen Text mit einem Bild-Plan, einem Schnittplan, wobei dieser Plan überhaupt nicht präzise ist. Also: Ich kenne im Großen und Ganzen die wichtigen Gliederungspunkte, die größeren Bilder-Familien, mit denen ich arbeiten will, ich kenne meine Archivbilder und weiß schon, wo ich Split-Screens einsetzen möchte usw. Wenn ich dann den Text schreibe, muss ich irgendwann die Bilder vergessen können. Sonst geht alles viel zu sehr auf. Wenn ich dann einmal den Text fertig geschrieben habe, mache ich mir am Rand Anmerkungen. In diesem Schritt passe ich den Text erst so richtig an den Bildschnitt an und jeder Bildschnitt ist wohlüberlegt in Bezug auf den Text.

Ich bin in keiner Weise ein Cutter im technischen Sinne. Das möchte ich auch niemals werden, dazu liebe ich die Diskussionen mit dem wirklichen Cutter viel zu sehr. Ich mag es auch, dem Cutter eine sehr handwerkliche Aufgabe zu geben. Er bekommt von mir meinen Text als Computer-Ausdruck, der hat einen breiten leeren Rand, in den ich mit Bleistift und so präzise wie möglich alles reinschreibe: Time Code, Split-Screen usw.usf. Dann lasse ich ihn erstmal eine Woche arbeiten (wenn wir insgesamt drei Wochen zur Verfügung haben, wie bei meiner De Palma-Analyse, zum Beispiel). In dieser Woche will ich nicht das Geringste wissen, was er macht. Denn schon meine schiere Anwesenheit beeinflusst den Cutter viel zu sehr, im Allgemeinen. Außerdem: Wenn ich der mühsamen Kleinarbeit der Montage beiwohne – ich nehme eine bestimmte Einstellung, füge sie an eine andere, erstmal funktioniert der Schnitt aber nicht usw. –, dann bringt mich das immer auf neue Ideen. Und das kann ich überhaupt nicht gebrauchen! Also komme ich erst nach einer Woche wieder in den Schneideraum. Ich denke, ich habe dann auch schon ein wenig Abstand gewonnen, so dass ich wieder stärker einem normalen Zuschauer ähnele. Ich habe dann auch schon wieder ein wenig vergessen, was ich ursprünglich vorhatte. Ich frage mich: »Passt mir das ins Kalkül oder nicht?«. Das macht es so interessant, nicht Tag und Nacht mit dem Cutter im Schneideraum zu verbringen. Allerdings achte ich sehr auf solche Dinge wie Abblenden, Bildübergänge, Rendundanzen, das Aufgreifen bereits gesehener Bilder, gleichgültig, ob verlangsamt oder nicht. Man muss mit den Bildern spielen. In Frankreich hält man mich für einen Intelektuellen. Das ist manchmal durchaus negativ gemeint, im TV-Kontext. Aber eigentlich hoffe ich, dass meiner Arbeit etwas Spielerisches anzumerken ist, dass es mir gelingt, mit dem Schnitt, mit den Bildern zu spielen. Es soll nicht komisch wirken, aber doch ein bisschen spielerisch sein. Wir sind nicht hier, um uns zu langweilen, ich bin nicht hier, um mich zu langweilen und das Kino ist eine Freude und sogar bei jemandem wie Vertov – vor allem jemand wie Vertov ! – oder Resnais gilt es, das Spielerische nicht zu kurz kommen zu lassen. Wenn ich zu so etwas wie »Redacted« von De Palma (USA/Kanada 2007) arbeite, dann ist das ein bisschen etwas anderes, denn dort geht es, wie man weiß, um den Irak-Krieg, das ist ein starkes Thema usw. Aber wenn es mit »Marienbad« zu tun hat, einem Film, der alles in allem auf tausenden Fiktionen beruht, auf tausend möglichen Erzählungen in anderhalb Stunden, da bleibt einem gar nichts anderes übrig als spielerisch zu werden, als zu versuchen, mit den Bildern und mit dem Schnitt zu spielen. Ich habe »Marienbad« ein wenig wie ein Damespiel konzipiert, bei dem einzelne Einstellungen und Stills wie Spielfiguren verschoben wurden.

Man muss immer im Sinne des Films handeln. Man muss vom Film ausgehen, ob der Film einen motiviert oder nicht. Im Falle von »Marienbad« steht die Motivation allerdings außer Frage... Das heißt nicht, dass man alles so machen soll wie im analysierten Film, aber man sollte sich schon ein wenig an ihn anpassen. Das ist ja normal. Ich habe gerade einen Bonus zum »Panzerkreuzer Potemkin« gemacht: An diese so besondere Montage sollte man sich schon anpassen usw. Nicht auf die gleiche Weise, aber auch nicht zu weit davon entfernt. Ich habe auch eine Dokumentation über Godard gemacht, die auch nicht wie ein Godard-Film aussieht, und dennoch... Wir hatten quasi nichts als die Filmbilder und ein bisschen Spielraum im Split-Screen für Informationen und ein bisschen Typographie. Dabei haben wir uns zwangsläufig ein wenig von Godard inspirieren lassen. Aber »so wie die« vorzugehen, ist doch ein bisschen gefährlich. Man wird es nie besser machen als die.

Man muss auch ein bisschen bescheiden sein. Im Allgemeinen bin ich das nicht so sehr, wenn ich über meine Arbeit spreche. Ich habe eine andere Auffassung von Cinephilie. Ich denke, die ist etwas extrem Wichtiges in meinem Leben und ich stelle mir vor, in ihrem ebenso usw. Es lohnt sich schon, in Erwägung zu ziehen, dass auch meine Arbeit Kino ist. Ich bin also auf der einen Seite sehr bescheiden, bedaure aber gleichzeitig, dass diese Arbeit kein sehr breites Publikum erreicht, was mir wirklich sehr leid tut und was ich auch niemals verstehen werde.

De Palma und Godard habe ich für einen Privatsender analysiert, in Form von jeweils 52-minütigen Sendungen. Der Godard ist interessant geworden, ich bin sicher, dass es den in Deutschland nicht gibt, was Schade ist. Eine gute Idee ist: sich sowohl der DVD-Verlage als auch der Fernsehsender zu bedienen. »Ciné Cinéma« und »Studio Canal« gehören zur selben unternehmerischen Struktur, zu »Canal+«. »Ciné Cinéma« ist ein Kabelsender, der zu »Canal+« gehört. »Studio Canal« hatte also seit langem die DVD-Rechte der Godard-Filme inne und wollte sehr hübsche Editionen um sein Werk herum veröffentlichen. Für die Dokumentation, die sowohl auf DVD erscheinen, als auch auf »Ciné Cinéma« gesendet werden sollte, wurden die Produktionsanstrengungen gebündelt, mit dem Effekt, dass wir gutes Geld zur Verfügung hatten. Wir verfügten über genug Mittel, um etwas Gutes machen zu können. Wir bekamen noch Geld vom CNC hinzu, also öffentliche Gelder, was dem Film eine weitere Verbreitung ermöglichte. Er wurde also gleichzeitig im Fernsehen ausgestrahlt, was es Ihnen erlaubt, sich an eine beinahe zufällig zusammengesetzte Zuschauerschaft zu wenden, und außerdem auf DVD präsentiert, womit die Arbeit sich quasi auf alle Zeit eingeschrieben hat. Dagegen ist die Arbeit im Fernsehen frustrierend. Für »Kurzschluss« hätten wir gerne etwas Ähnliches gemacht, aber die Erfahrung war frustrierend. Wir haben 300 Sendungen für »Kurzschluss« produziert, gerne hätte ich sie alle gesehen, aber wir konnten nur sehr wenig anschauen. Schlussendlich werden wir eine Art Best-of anfertigen, das kann aber nur ein partielles werden. Trotzdem: Diese Art von Projekt, das Fernsehen und DVD zusammendenkt, wäre das Ideal. Auch wenn die Fernsehausstrahlung, da es sich um einen Kabelsender handelt, leider nicht besonders viele Menschen erreicht. Denn damit wenden Sie sich gleichzeitig an all die Cinephilen reinsten Wassers UND an ein breiteres Publikum. Darüberhinaus verfügt »Studio Canal« über eine derartige Marktmacht, dass sie den Film anschließend an Criterion verkaufen, der Film also über die Criterion-Ausgabe der DVD ein internationales Publikum findet. Daraus entwickelt sich so langsam eine globale Cinephilie im besten Wortsinn. Im Allgemeinen machen mir die Globalisierungsprozesse eher Angst. In diesem Fall bin ich einverstanden: Globalisierung in einem ganz bestimmten geschlossenen Kreislauf, doch darin können sich die wenigen cinephilen Nischen zusammentun und gemeinsame Vorhaben realisieren. Das ist jetzt eher eine optimistische Zukunftsvision, aber keine vollkommen verrückte. Als ich für MK2-DVD über »Panzerkreuzer Potemkin« arbeitete, konnten wir all so etwas nicht machen. Das ist schon schmerzhaft, denn plötzlich wird man sich bewusst, dass man sich an vielleicht 2000 Menschen wendet, die diese DVD vielleicht kaufen werden. Diese Arbeit ist wesentlich härter, wenn man weiß, dass man sich an wenig Leute wendet.

III. Ökonomie

Über Geld zu sprechen ist immer interessant, denn da wird es konkret. Ich kann einiges sagen zu meinen Honoraren: Für die Bonus-Materialien zum »Panzerkreuzer Potemkin« hat man mir 2000 Euro bezahlt, das hat mich praktisch einen vollen Monat in Anspruch genommen, man kann also wirklich nicht von einem phantastischen Gehalt sprechen. Für den Godard gab es ein Budget von 7000 Euro (bezogen auf mein Honorar). Das ist nicht übel. Aber ich habe drei Monate daran gearbeitet. Natürlich nicht Vollzeit, aber es ist sehr wichtig, Budgets zu haben. Ich habe noch nie einen 52-Minüter für arte gemacht, aber da bekommen Sie ein Budget von 30.000 Euro. Das meint jetzt nur die Gage für die Regie, 30.000 bis 40.000. Ich habe das noch nie gemacht, hoffe aber, dass sich so etwas für »Nouvelle Vague« ergeben wird. Für einen Sender wie arte hieße das aber, dass Sie auf eine andere Ebene gelangen. Im Gegensatz dazu ist die Sache mit den DVD-Boni wirtschaftlich sehr schwach. Auf der Ebene der Archivrecherche: Weitere Ausschnitte aus dem Eisenstein-Film kommen nicht in Frage, das käme zu teuer. Das ist ein großes Problem. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland läuft, in Frankreich ist das der absolute Horror, was die Rechteinhaber an Geld verlangen. Genauso wie ich für Mindest-Autorenrechte bin, genauso bin ich gegen Autorenrechte, die einen daran hindern, Sachen zu machen. Bei »Kurzschluss« waren das tägliche Schlachten um Rechte an Kurzfilmen von David Lynch, von Gus van Sant, da kriegt man schnell mit, dass das unmöglich, dass das zu teuer ist. Bei Rechten für Hitchcock wird es ganz schrecklich! Wie soll man eine Sendung über das Kino machen oder eine Dokumentarfilm, der glaubwürdig ist, wenn Ihnen die Bilder nicht zur Verfügung stehen? Das geht einfach nicht.

IV. Copyright / Bildrechte

Godard ist interessant, weil er sagt : Plündern Sie mich, denn ich plündere andere... Wenn Sie sich dann allerdings daran machen, Godard plündern zu wollen, bekommen Sie es mit »Studio Canal« und »Canal+« zu tun, die sich die Rechte bezahlen lassen. Der Regisseur ist gar nicht der Rechteinhaber (außer im Experimentalfilm). Ich habe mehrmals bei De Palma angefragt, ob er mir nicht dabei behilflich sein könne, leichter an die Rechte einiger seiner Langfilme zu kommen, worauf er mir sehr freundlich geantwortet hat: »Kommt nicht in Frage!« Denn selbst wenn er zum Telefon greift und bei Paramount anruft, was wird man ihm dort antworten? Sie werden sagen: Nein! Das bringt also gar nichts. »Hören Sie, Sie sind ja ganz nett, aber...« Die Filmemacher können da gar nichts machen, es sei denn, es handelt sich um Leute wie Jonas Mekas, Brakhage, Tscherkassky und so weiter. Interessant ist das Internet. Seit Jahren schon werden alle ganz aufgeregt, wenn es um das Internet geht, da wird es Sie sicher interessieren, dass zum Beispiel die Produzenten anfangen, bei mir anzurufen, weil sie Projekte für das Internet entwickeln wollen. Das Geld wandert gerade vom Fernsehen zum Internet. Das ist phantastisch! Damit bin ich absolut einverstanden. Wir befinden uns in einer Zeit, wo niemand mehr weiß, was man machen soll. Das ist genau der richtige Zeitpunkt für Leute wie mich, für Leute wie Sie, sich in die Arbeit zu stürzen. Ein idealer Zeitpunkt: es zeigen sich überall Risse, es gibt ein bisschen Geld... Um es nochmals ganz deutlich zu sagen: Wenn ich von Geld rede, dann nur im Zusammenhang mit der Filmherstellung und nicht im Sinn von Profiterzielung usw. Die Leute wissen noch nicht, wie sie das Internet benutzen sollen. Sie wissen lediglich, dass das CNC Gelder verteilt, dass die Fernsehsender Gelder verteilen. Ein Format wie die Themenabende auf arte haben wenig Aussagekraft, wenn Sie nicht parallel zur Ausstrahlung Inhalte für das Netz entwickeln. Toll ist, dass momentan Unklarheit herrscht, was die Bildnutzungsrechte im Internet angeht. Wenn Sie gesehen habe, was ich in meinem Blog mache, diese kleinen Montagen über Augen oder Hände im Film usw., dann sind das alles Dinge, für die ich keine Rechte bezahlt habe und das kommt mir auch vollkommen normal vor. Autorenrechte für einen 10-sekündigen Ausschnitt? Geht’s noch?! Dabei handelt es sich doch eher um ein Zitat, man zitiert Ausschnitte, dabei entsteht eine künstlerische Unschärfe, die momentan bewirkt, dass alle Welt einverstanden ist zu sagen: »Hören Sie, machen Sie einfach mal. Sollte es Probleme rechtlicher Art geben, nehmen wir den Clip einfach von der Seite.«

Auch auf meinem Blog ist das alles im Grunde illegal: Man steckt die DVD in den Computer, es ist auch noch eine schwarz gebrannte, und selbst arte sagt mir: »Mach’ es. Wenn es ein Problem gibt, nehmen wir das Video wieder runter.« Bei der Fernsehausstrahlung können sie nicht so verfahren, auch nicht bei einer DVD. Eine bereits veröffentlichte DVD aus dem Handel zurückziehen zu müssen, ist eine Katastrophe. Wenn im Fernsehen eine ungeklärte Ausstrahlung erfolgt ist, wird finanziell nachverhandelt, da kommt automatisch die Forderung: »Geben Sie mir Geld!« Im Internet dagegen, auf youtube beispielsweise... Youtube und Dailymotion machen das zur Zeit so: Solange nur ein wenig künstlerischer Eingriff in die ursprüngliche Montage zu erkennen ist, akzeptieren die das. Noch ziehen sie die Hommage-Bilder von Roy Scheider oder Charlton Heston, mit Photos und Filmausschnitten, nicht zurück, sondern behalten sie. Was sie dabei sind, auszumerzen, ist die Verfügbarkeit ganzer Filme in zehn Teilen. Eine kleine Montagearbeit akzeptieren sie dagegen meistens. Das wird noch ein, zwei Jahre so weitergehen können, man muss sich also beeilen. Wie Wenders mit Cézanne sagen würde: »Man muss sich beeilen, denn alles ist im Verschwinden begriffen.« Das stimmt. Wir müssen uns beeilen und in solchen Zeiten, in denen eine solche Unklarheit in Sachen Inhaltsproduktion herrscht, müssen sich Leute wie ich durchsetzen. Bei »Kurzschluss« haben sie auch nicht immer gewusst, wie man über den Kurzfilm sprechen sollte. Ich habe denen gesagt: »Hören Sie, das ist genauso wie beim langen Film, nur kürzer.« So läuft das. Ich stelle mir vor, dass manche Filme der großen Studios ähnlich zufällig entstehen. Als Tim Burton 1982 den Kurzfilm »Vincent« fertigstellt, steckte Disney gerade ganz schön in der Klemme. Das ist interessant. Staffelstabübergabe, der Übergang von einer Generation zur nächsten, und in dieser Gemengelage machen junge Filmemacher Sachen wie Tim Burton bei Disney, der 1982 etwas so Unglaubliches wie »Vincent« drehen kann. Ich glaube sehr an diese Risse, an Zeiten, wo alles rissig wird, aufreißt, denn vielleicht sind es diese Momente, die solche glücklichen Unfälle möglich machen. Zur Zeit ist das Internet der Ort, an dem solche glücklichen Unfälle passieren werden. Ich habe zum Beispiel für »Ciné Cinéma« einen Internetbeitrag über De Palma konzipiert, denn »Ciné Cinéma« plant eine ganze Werkschau, und dazu wird es also einen Dokumentarfilm von 52 Minuten geben. Dafür schlage ich eine Art Glossar mit 26 Buchstaben vor, zu ebensovielen Schlüsselwörtern, 26 einminütige Clips zu Themen wie »Fahrstuhl«, »Bahnhof«, »Hitchcock«, »Film noir«, »Nouvelle Vague«, »New York«, »Oper«, jeder Clip eine Montage von Filmausschnitten, von Szenen, von Einstellungen De Palmas. Das Ganze ohne Kommentar, also der Versuch einer Filmkritik bzw. Filmanalyse ohne Kommentar, ausschließlich mit Bildern. Ich denke schon, dass denen das gefallen wird, denn es passt ganz gut zum Internet, es ist gegliedert, es ist aufgelöst, und um genau solche Dinge muss es in den kommenden Jahren gehen, wenn man sich Gedanken zum Internet machen will, denke ich. Ich habe auch arte einen Projektvorschlag unterbreitet, das Vorhaben hieß »presqu’arte« und sollte sich mit dem aktuellen Kino-Geschehen befassen, und zwar mit der Aktualität des gesamten Kinos (oder fast). Ich glaube, ich werde das als Blog machen, ganz allein, unter meinem Namen, von hier aus. Hier ist sozusagen mein Studio, mit meiner Katze usw. – ein wenig das, was ich zur Zeit mit meinem anderen Blog auch tue. Und so bekommt man einen Überblick über das Kino aus einer wirklich sehr singulären Sicht. Das Badezimmer, mein Schlafzimmer usw., mein Treppenhaus. Das sollte eigentlich ganz lustig werden. Solche Dinge sind jetzt möglich geworden, das war vor zwei oder vor einem Jahr noch nicht so. Ich glaube, sie werden auch in einigen Jahren nicht mehr möglich sein, wenn sich die Türen wieder geschlossen haben werden.

V. Vorbilder und Kinoerziehung

Mein Vorbild wäre nicht unbedingt »Cinéma, de notre temps« oder »Cinéastes de notre temps«; da gibt es eigentlich nur eine Dokumentation, die mich für immer geprägt hat, das war der Film über Cassavetes von Labarthe, den ich absolut außerordentlich finde. Genau so, der typische Film über einen Filmemacher. Die ganze Labarthe-Reihe mag ich nicht, aber Labarthe bleibt für mich eine Referenz. Ich war auf der Universität Paris III: Drei Jahre Filmstudien, ich verfolgte einen eher generalistischen Kurs, mit ein bisschen Kino und viel Literatur. Parallel versuchte ich, an der FEMIS aufgenommen zu werden, ohne Erfolg. Da habe ich mir gesagt: »Na gut, dann tauche ich eben in die Filmkritik ein, den Versuch, Cineast zu werden, gebe ich hiermit auf.« Heute glaube ich, das war eine sehr gute Entscheidung, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich so ein Truppenführer-Typ bin, wenn es um Dreharbeiten geht und solche Sachen. Neben der Uni – da gab es nicht so viel zu tun – habe ich mich intensiv mit dem Horrorgenre beschäftigt, mit »Shining«, Romero, Carpenter usw. Ich habe ein paar Texte an eine Zeitschrift namens »L’écran fantastique« gesandt, die haben das genommen. In der Zeitschrift gab es Jean-Baptiste Thoret. Gemeinsam haben wir John Carpenter ein Buchprojekt vorgeschlagen. Carpenter kannte die Leute von »L’écran fantastique« und willigte ein. Da hat alles angefangen, in dieser Zeit, als wir das Buch über John Carpenter machten. Wir haben Carpenter in Los Angeles besucht, das war der Zeitpunkt, wo man begann, die Filmemacher persönlich zu treffen. Das war eine Gemeinschaftsarbeit mit Jean-Baptiste Thoret, der heute für die Cahiers du cinéma schreibt. Bei arte suchten sie damals einen jungen Redakteur für Kurzfilme, denn: »Kurzfilm = junges Kino«. Die wollten jemanden, der eben nicht aus der alten Garde stammte und der die Kurzfilmszene kannte. Da passte ich ganz gut, denn ich hatte schon mehrere Sachen veröffentlicht, in »Repérages«, in »Bref«, in anderen Zeitschriften. Von da an wurde ich ein echter Filmkritiker, spezialisiert auf das Audiovisuelle und das Bild.

In meiner Generation gibt es jede Menge Leute, die das Gleiche sagen wie Jean Douchet: das Fernsehen als das absolute Böse. Für mich war die Spezialisierung auf den Kurzfilm ein Glücksfall. Wir haben den Kurzfilm zum Anlass genommen, Umwege einzuschlagen und Sachen zu machen. In meiner Generation habe ich den Eindruck, mit meiner Begeisterung für die Medien eher eine Ausnahme darzustellen. Ich treffe eigentlich nur Leute, die auf das Fernsehen spucken, die meinen, es lohne die Mühe nicht. Ich denke, diese Leute irren sich. Man muss alles machen: Internet, Handy (leider ist das sehr klein).

Anfangs bei »Kurzschluss« hatte ich noch die naive Vorstellung, dass wir jetzt Zugang zum Weltgedächtnis haben würden, ohne Rechteproblematik usw., so naiv habe ich damals gedacht. Schnell habe ich bemerkt, dass die Sache nicht so einfach ist. Es gibt moralische Rechte, die sind meiner Meinung nach viel wichtiger als die finanziellen Rechte. Man hat nicht das Recht, einfach nur irgendein Zeug über die Filme zu sagen. Aber die Hollywood-Studios machen, was sie wollen. Einige französische Rechteinhaber machen auch, was sie wollen. Fragen Sie bloß nicht »Studio Canal« nach den Filmen der Nouvelle Vague, die machen, was sie wollen. Die nennen Preise, die ausdrücken sollen: Wir haben keine Lust, lasst uns in Ruhe, wir haben keine Zeit für sowas. Das Gleiche mit den Hollywood-Studios, die fragen dann: Was genau haben Sie vor? Und dann wollen sie 1000 Euro pro Minute. Welches Dokumentarprojekt kann sich das schon leisten? Ich habe schon an vielen Diskussionen über Kinosendungen im Fernsehen teilgenommen. Warum gibt es denn keine Sendung über das Kino in Frankreich, die diesen Namen verdient? Ich glaube, das ist ein journalistisches Problem. Ich denke, die Journalisten haben schuld. Die haben keine Lust, aufregende Sachen zum Kino zu machen. Das ist sicher auch ein Fehler der Sender, die darauf ebenfalls keine Lust haben. Aber auch die Filmbranche macht hier Fehler: Weil ich mit »Kurzschluss« auf arte nach Mitternacht lief, haben die einfach meine Anfragen abgelehnt, wenn ich zum Beispiel Gus van Sant haben wollte, als der gerade auf Promo-Tour in Paris war. »Nein, du kommst erst nach ›Tele5‹, nach ›Orange‹, nach ›France2‹, nach den Jungs von ›Libération‹« usw. »Du bist als letzter dran und wenn dir das nicht passt, kannst du auch gleich wieder nach Hause gehen.« Das heißt: Man verweigerte mir den Zugang zum gesprochenen Wort eines Filmemachers, weil meine Sendung nach Mitternacht lief und sich mit Kurzfilmen befasste. In diesem Sinne sind sie alle mitschuld daran, dass der Diskurs über das Kino uniformisiert wird: die PR-Dame, der Filmemacher, die diversen Assistenten, die Verleiher usw. Es wäre die Aufgabe der PR-Abteilung zu sagen: »Ich erkenne an, dass Sie eine gute Arbeit machen, Sie machen dieses cinephile Ding.« Wir erreichen vielleicht weniger Menschen als die »Libération«, aber sie müsste uns trotzdem eine halbe oder dreiviertel Stunde Gesprächszeit mit dem Filmemacher einräumen. Oft war das ein unmögliches Unterfangen. Da tut es mir dann leid: Das ist weder die Schuld des Senders, noch die Schuld der Journalisten, das ist die Schuld der PR-Abteilung und das liegt daran, dass in der PR-Abteilung unglücklicherweise Leute arbeiten, die andere Prioritäten haben als die Cinephilie oder einen wie auch immer gearteten künstlerischen Diskurs. Mit den Rechteinhabern ist es genauso. Die meisten Leute wollen keine Kritik, die wollen Werbung.