Filmvermittlung und Filmpädagogik

Film Appreciation
Zur Frühgeschichte der Filmvermittlung in den USA

Von Volker Pantenburg

[1]Haidee Wasson: Museum Movies. The Museum of Modern Art and the Birth of Art Cinema, Berkeley: University of California Press 2005.

Haidee Wassons lesenswertes Buch »Museum Movies« trägt den Untertitel »The Museum of Modern Art and the Birth of Art Cinema.« [1] Es geht darin also vor allem um eine institutionelle und kulturgeschichtliche Rekonstruktion dessen, was das MoMa, seine Film Library und die Arbeit von Iris Barry und anderer in der Zeit bis 1939 für die Herausbildung der Verbindung von Kunst und Film bedeuteten.

Allerdings – und deshalb ist es hier von Interesse – sind die Vermittlungsbemühungen des MoMa, die sich in der Sammlung, der kuratorischen Rahmung und vor allem im Zeigen von Filmen äußern, auch Teil einer größeren Strömung, Kino und Bildungszusammenhänge miteinander zu verbinden. Die Geschichte dieser Annäherung, wie ich sie aus Wassons Buch kurz rekapituliere, spielt grob zwischen 1920 und 1940; sie begleitet, konterkariert und ergänzt die Politik der großen Filmstudios, aber sie macht auch einen linksliberal (und teils sozialistisch) inspirierten Austausch zwischen den europäischen Arbeiterbewegungen und den linksorientierten amerikanischen Filmzirkeln sichtbar.

Es ist die Geschichte der entstehenden Film Societies, die sich das Anliegen zu eigen machten, Film nicht nur zu verbreiten, sondern auch in Bildungszusammenhängen einzusetzen. In den USA gründeten sich die bekanntesten Film Societies (die »New York Film Society« und das »Film Forum«) im Jahr 1933. Sie standen im Kontext von Theodore Roosevelts New Deal und einer gesellschaftlich-politischen Öffnung. Insbesondere das »Film Forum« suchte offensiv den Austausch mit der europäischen Arbeiterbewegung und zeigte Arbeiterfilme aus Deutschland, der UdSSR und Großbrittannien. Dieser Impuls, Filme aus der Gegenwart und der noch nicht allzu alten Filmgeschichte zu zeigen, markiert einen wichtigen Vermittlungsschritt.

[2]Vachel Lindsay: The Art of the Moving Pictures (1915), zitiert bei Wasson auf Se. 49-50.

Es ist aber zugleich, medienhistorisch, die Geschichte des 16mm-Formats, das seit seiner Entwicklung in den 20er Jahren einen beispiellosen Siegeszug antrat und Film an zahlreiche Orte außerhalb der Kinos brachte: In Schulen, Museen, Wohnzimmer. Schon 1915 prognostizierte Vachel Lindsay: »The motion pictures will be in the public schools to stay. Textbooks in geography, history, zoology, botany, physiology, and other sciences will be illustrated by standardized films. Along with these changes, there will be available at certain centers collections of films equivalent to the Standard Dictionnary and the Encyclopedia Britannica… Photoplay libraries are inevitable, as active if not as multitudinous as the book-circulating libraries« [2] – eine Prognose, die im großen Stil erst mit der DVD umsetzbar wurde.

Die Bemühung, Film in Unterrichtszusammenhänge einzubeziehen, ist so alt wie das Medium selbst. Schon Edison hatte argumentiert, dass die Benutzung von Film es möglich machen könnte, auf die teuren Schulbücher zu verzichten. Aber das Schnittfeld von Film und Bildung ist auch bereits sehr früh der Schauplatz einer ambivalenten Durchmischung von kommerziellen und philanthropen Interessen; Filmbildung und Filmwirtschaft gehen von Beginn an Hand in Hand. Das lässt sich exemplarisch an den Versuchen erkennen, die der Unternehmer und Erfinder George Eastman (Kodak) seit 1923 unternahm, mit der »National Education Association« (NEA) bei der Produktion von Unterrichtsfilmen zusammenarbeiten; das Interesse am Thema Erziehung war hier, wie bei vergleichbaren Vorstößen Pathés in Frankreich, auch ein Interesse an einem Absatzmarkt und einem jungen Zielpublikum. Unter anderem sponsorte Eastman 16-mm Projektoren für Schulen und finanzierte 1927 einen Modellversuch, an dem etwa 10000 Schüler und Studenten teilnahmen.

In den 30er Jahren intensivierte sich das Interesse auch Hollywoods für Erziehungskontexte. Die Studios etablierten (nicht nur, aber auch mit dem Ziel der Auswertung ihrer Filme in Schulen) »nontheatrical departments«, Abteilungen für die Filmmärkte außerhalb der Kinos (»Universal« war 1929 das erste Studio). Auch die »Motion Picture Producers & Directors Association« (kurz: MPPDA) beteiligte sich an den Bemühungen, Filme ganz oder in Ausschnitten in die Schulen zu bringen. Bis 1948 besaßen Loew’s International, MGM, RKO Pictures, Paramount und Universal entweder Subunternehmen oder eigene Abteilungen, die sich der Produktion von »educational films« widmeten.

Diese Entwicklung ist Teil eines umfassenderen Interesses an Erziehung in den 30er Jahren, und sie wird schon in den 20er Jahren vorbereitet von publizistischen Organen. Neben Büchern sind hier auch Zeitschriften wie Educational Screen (1922-54), Visual Education (1920-24) und die International Review of Educational Cinematography (1929-34) zu nennen.

Bei der Einbettung von Film in die Curricula geht es dabei nicht, wie vielleicht zu vermuten wäre, ausschließlich um die Funktionalsierung des Mediums zur Vermittlung filmfremder Inhalte und Schulfächer (also beispielsweise Geographie, Biologie oder Physik). In die gleiche Phase pädagogischer Modernisierung fällt auch, wie Wasson beschreibt, die Erfindung des Begriffs »film appreciation«; eingeübt wurde also sehr wohl auch die Beschäftigung mit dem Medium Film als eigenständiger künstlerischer und kultureller Ausdrucksform. 1935 berichtet die NEA, dass rund 2000 High Schools Kurse anbieten, in denen ausschließlich »film appreciation« gelehrt wird. Auch hier attestieren die Titel von Buchpublikationen die Konjunktur des Themas: Photoplay Appreciation in American High Schools, How to Judge Motion Pictures: A Pamphlet for High School Students, Film and School: A Handbook in Moving-Picture Evaluation, Talking Pictures: How They Are Made, How to Appreciate Them.

Darüber, ob diese breit angelegten (und nicht zuletzt im Pragmatismus John Deweys fußenden) Initiativen einer Verbindung von Cinéphilie und Vermittlung eigene filmische Formen ausgeprägt haben, ob also diese Vorgeschichte von Film und Vermittlung auch bereits Filmvermittelnde Filme initiiert hat, sagt Wasson nichts. »There is little remaining evidence of how these films were actually used in classrooms. The overall effect they had is unclear, although one aspect of such exercises is apparent: students often disagreed about what they saw and what it meant.«