Filmvermittlung und Filmpädagogik

Kino – Bildung – Politik

Ein Gespräch mit Eugène Andréanszky

Im Juni 2008 unterhielten sich Volker Pantenburg, Stefan Pethke und Erik Stein in Paris mit Eugène Andréanszky. Er leitet die Organisation »Les Enfants de Cinéma«, in deren Büro auch das Gespräch stattfand.

Eugène Andréanszky, was ist das genau für eine Struktur, die Sie hier derzeit leiten?

Das Projekt, das wir durchführen, nennt sich »École et cinéma« (»Schule und Kino«). Es entstand aus einer Untersuchung heraus, die das Kultusministerium 1993/94 in Auftrag gegeben hatte. Ziel der Untersuchung war, herauszufinden, wie die Kinos mit kleinen Kindern arbeiten, also mit Kindern aus den Vorschul- und Grundschulklassen. Die Untersuchung ergab, dass es in ganz Frankreich ungefähr 30 Orte und Kinos gab, die mit diesen Kindern regelmäßig arbeiteten. Ich war einer dieser 30 Kinobetreiber, denn damals kümmerte ich mich um ein Kino, das regelmäßige Vermittlungsarbeit mit Schulen anregte, vor allem mit den Lehrern. Es gab ein Zusammentreffen, dann wurde eine Arbeitsgruppe gegründet. Diese Arbeitsgruppe kam zunächst auf rein informelle Weise zusammen, daraus entstand schließlich das Projekt »École et cinéma«. Einer der Gründer war – natürlich: immer derselbe – Alain Bergala. Das Team setzte sich in der Anfangsphase zusammen aus ihm und Leuten wie Carole Desbarats und mehreren Kinobetreibern wie mir. Das Projekt »École et cinéma« hat seine Tätigkeit dann offiziell im September 1994 aufgenommen; das war wirklich ein Experiment, durchgeführt von diesen 30 über ganz Frankreich verteilten Kinos. Anfangs handelte es sich um ein sehr bescheidenes Projekt. Bis 1999 erreichte es sehr wenig Kinder und sehr wenig Lehrer. Aber Schritt für Schritt ist dann die Nachfrage vor Ort gestiegen. Also beschloss der Trägerverein »Les enfants de cinéma« (»Die Kinder des Kinos«), eine Vollzeitstelle einzurichten für eine Person, die sich ganz um das Projekt kümmern sollte. 2000 habe ich dann mein Kino verlassen, um diese Struktur zu leiten und das Projekt auszubauen. Seitdem hat das Projekt enorm an Gewicht gewonnen. Dabei haben wir von der Tatsache profitiert, dass ich als Vorsitzender eines Verbandes von Kinobetreibern das Netz der Filmauswerter gut kannte, ich kannte die Kinos in Toulouse, Marseille, Lyon, überall. Natürlich war 2000 auch das Jahr des Jacques Lang-Plans »Les arts à l‘école« (Die Künste an der Schule). Es stimmt, dass uns das sehr geholfen hat: Jetzt gab es auch das Geld, um das Projekt wirklich durchführen und weiterentwickeln zu können. Heute, im Jahr 2008, ist es das größte landesweite Vorhaben in Frankreich, noch vor Projekten wie »Collège au cinéma«, »Lycéens au cinéma«. Heute erreicht es fast 24.000 Lehrer und 500.000 Kinder. Zwischen 2000 und 2008, während meiner Amtszeit, hat das Projekt um 150% zugelegt. In der gleichen Zeit ist unser Budget allerdings nur um 2% gewachsen! Wir sind ein ganz kleines Team, wir sind hier nur zu viert. Auf der Verwaltungsebene der Départements verfügen wir über ein Netz von Mittlern, sowohl in Bezug auf die Schulen als auch im Hinblick auf die Kinos, denn wir arbeiten inzwischen mit 970 Kinos zusammen.

Wir können sehen, dass »École et cinéma« keine Riesen-Organisation ist. Aber es gibt eine präzise Idee, wie man diese cinéphile Vermittlung anzugehen hat. Dahinter steckt ein ganzes Wertesystem.

In Bezug auf »Les enfants de cinéma« und in Bezug auf das gesamte Projekt, dessen Träger wir sind, ist zunächst einmal unser Katalog von besonderer Wichtigkeit. Diesen Katalog haben wir aufgebaut, er umfasst heute 65 Filmtitel. Wir sind sehr stolz auf diesen Katalog, er definiert das Anforderungsprofil des Projekts und dessen künstlerische Linie. Es war von Anfang an die Leitlinie von »École et cinéma«, Filme zu sammeln, die Widerstand leisten, wie einige von uns das ausdrücken. Also nicht zwangsläufig die Meisterwerke der Filmgeschichte, nicht Filme, die illustrieren oder einem thematischen Vorwand untergeordnet werden, sondern Filme, die von einem filmischen Denken zeugen. In unserem Katalog sind genauso »Kinderfilme« enthalten wie Filme der Kinogeschichte. Moonfleet (Das Schloss im Schatten) ist kein wirklicher Kinderfilm, The Night of the Hunter (Die Nacht des Jägers) auch nicht, Singin‘ in the rain (Du sollst mein Glücksstern sein) genauso wenig. Das sind einfach Filme der Filmgeschichte. Wir treffen unsere Auswahl auf Grundlage der Frage: Welche Filme können wir Kindern zeigen?, im Gegensatz zu: Welche Filme zeigt man Kindern? Diese Unterscheidung haben wir bereits in den Arbeitsgruppen getroffen, als wir das Projekt gerade aus der Taufe hoben, also von Anfang an. Nicht: Welches sind die leicht verständlichen Filme, die wir für die Kinder aussuchen können?, sondern wirklich eher: Wie weit können wir gehen? Bis wohin erlaubt es unsere Auffassung, das Kind als ganzen, selbständigen Zuschauer zu betrachten? Denn das Kind ist kein halber Zuschauer, sondern ein im Werden begriffener Zuschauer und als solcher schon eine ganze, vollständige Person. Also kann man sehr weit gehen. Man kann ihm sogar Filme zeigen, die es nicht versteht bzw. nicht in all seinen Facetten versteht. Das Beispiel von Moonfleet beweist es: Die Geschichte eines Jungen, der sich einen Vater erfindet, ist für zehn, elf Jahre alte oder jüngere Kinder keineswegs leicht nachzuvollziehen. Wir legen die Messlatte sehr hoch. Das betreiben wir wirklich mit aller Ernsthaftigkeit weiter, denn auch zum nächsten Schuljahr (2008/2009) bringen wir neue Filme in das Programm von »École et cinéma« ein: Zéro de conduite (Betragen ungenügend) von Jean Vigo, King Kong von Cooper und Schoedsack, der alte King Kong. Wir nehmen auch einen zeitgenössischen Zeichentrickfilm auf, U von Serge Elissalde und Grégoire Solotareff (F 2005), ein großartiger Film über Heranwachsende.

Sie geben auch etwas heraus, das Sie »Notizhefte« (frz.: »Cahiers de notes sur…«) nennen. Wie werden diese Hefte konzipiert?

Es stimmt, dass die Notizhefte ebenfalls zum Fundament des Projekts von »École et cinéma« gehören. An erster Stelle steht die Liste der Filme. An zweiter Stelle steht dann schon dieses Instrument, das wir eben nicht pädagogisches Material nennen, sondern Begleitmaterial zum Film. Wie ist das konzipiert? Das Heft folgt der gleichen Logik, die schon der Filmauswahl zugrunde liegt: Unser Ziel ist es nicht, den Lehrenden eine Gebrauchsanweisung zur Verfügung zu stellen, sondern einen Standpunkt zum Film zu vermitteln. Das Herzstück des Begleitmaterials ist der Standpunkt eines Autoren, von jemandem, der sagt: Über einen ganz bestimmten Film denke ich dieses und jenes. Wenn ich heute Autoren suche, dann verlange ich von ihnen einen starken Standpunkt zum Film. In der Tat ist es von Vorteil, für das Schreiben eines Heftes, eine Person auszuwählen, die den Film sehr schätzt, statt einer Person, der demselben Film gleichgültig gegenübersteht. Das ist deshalb so wichtig, weil man überzeugt sein muss. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist unsere so genannte »Filmtour« (»Le tour du film«). Ich nehme das Beispiel von Hayao Miyazakis Le Voyage de Chihiro (Chihiros Reise ins Zauberland:film) (Japan 2001), zu dem Hervé Joubert-Laurencin einen Artikel über die Ghibli-Studios und über das japanische Animationskino im Allgemeinen beigesteuert hat. Dann haben wir einen weiteren wichtigen Teil, der sich mit Bilderarbeit befasst. Es gibt in jedem Heft eine Bilderstrecke. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Photogrammen aus dem Film. Dann haben wir natürlich noch unsere »Sequenzanalyse«. Wir fordern von all unseren Autoren eine solche Bilderstrecke und eine Sequenzanalyse. Das betreiben wir systematisch. Und schließlich gibt es die so genannten pädagogischen Spaziergänge: Hier geben wir den Lehrenden Hinweise. Wie gesagt: Wir geben ihnen keine Gebrauchsanleitung, vielmehr sagen wir: »Sie könnten zu diesem oder jenen Aspekt arbeiten.«, beispielsweise zu dem, was wir »Image ricochet« nennen – ein Bild, das an einen anderen Film erinnert oder an ein Gemälde usw. Über solche Dinge können die Lehrer recht einfach mit ihren Schülern arbeiten. Allerdings haben wir solche pädagogischen Spaziergänge nicht in jedem Heft, denn im Allgemeinen verlange ich von einem Autor nicht allzu Spezifisches zu pädagogischen Fragestellungen. Ich ziehe es vor, dass Lehrer selbst auf Grundlage unserer Hinweise ihre eigenen Gedanken entwickeln. Schließlich ist noch die Bibliographie ein wichtiger Bestandteil unserer Hefte: Wo lassen sich diese und weitere Informationen finden? Welche Websites kann man im Zusammenhang mit einem bestimmten Film aufsuchen, im Zusammenhang mit Gene Kelly oder Singin‘ in the rain, oder etwa zum Übergang von der Stummfilmzeit zur Tonfilm-Ära? Genauso sieht unser Grundaufbau aus, der ist immer derselbe seit 14 Jahren. Dabei handelt es sich im Übrigen erneut um eine Schöpfung, die zu 100% Alain Bergala zugeschrieben werden muss!

Wissen die Pädagogen die Dienstleisung dieser Hefte zu schätzen?

Nicht alle und nicht immer, aber wir befragen die Lehrenden regelmäßig, schicken ihnen Fragebögen: Was mögen Sie an den Notizheften? Einige antworten: Das Heft ist uns zu kompliziert, zu gut geschrieben...

Wie geht die Kontaktaufnahme zwischen einem Lehrer und Ihrer Struktur vonstatten?

Ein Lehrender, der schon mal von »École et cinéma« gehört und Lust hat, ein Film-bezogenes Projekt durchzuführen, besorgt sich eine der von uns herausgegebenen Publikationen. Im hinteren Teil dieses Dokuments findet er ein Verzeichnis mit der Telefonnummer derjenigen Person innerhalb des Bildungsministerums, die sich in seinem Département um das Projekt kümmert. Aufgrund der festgelegten Hierarchien läuft alles über das Bildungsministerium. Wir haben als Relaisstationen die so genannten »Inspektionen« mit Personen, die das Projekt für die Lehrenden auf der Ebene der Départements betreuen. Diese Personen nennen wir entweder Inspektoren oder pädagogische Berater. Ein solcher Korrespondent der akademischen Inspektion wird dann unserem lehrenden Kandidaten erklären: »Sie können sich anmelden, allerdings müssen Sie ein Kino als Partnerinstitution nachweisen.« Dabei können wir dem Lehrenden helfen. Wir finden ein Partner-Kino für ihn, wenn das Projekt in seinem Département noch nicht existiert. Es geht also um eine ganzen Prozess, den der Kandidat durchmachen muss. So muss er der örtlichen Schulbehörde, der o.g. akademischen Inspektion, normalerweise eine Schulprojektbeschreibung schicken. »Ich melde mich kurz an, dann bin ich angemeldet« – so läuft das nicht! Er muss sich quasi mit einem Projekt bewerben. Die Bewerbung braucht nicht mehr als zehn Zeilen zu umfassen, aber sein Inspektor muss diesem Antrag zustimmen. Das klingt vielleicht ein wenig kompliziert, aber die Lehrer in Frankreich sind daran gewöhnt: Sie müssen für sämtliche Vorhaben solche Zehn-Zeilen-Anträge schreiben. Wenn nun »École et cinéma« in einem Département bereits aktiv ist, dann ist es relativ leicht, einzusteigen, denn dann existiert bereits eine Partnerschaft mit mindestens einem Kino. In Paris beispielsweise arbeiten 15 Kinos mit »École et cinéma« zusammen.

Welche Kinos sind potentielle Partner für »École et cinéma«?

Die Kinos, mit denen wir zusammenarbeiten, stellen wirkliche Partner dar, weil sie die Kinder ernsthaft willkommen heißen. Denn manchmal verhält es sich so, dass gerade die kleinen Kinder das erste Mal in ein Kino kommen. Die brauchen dann beispielsweise Sitzkissen, damit sie überhaupt auf die Leinwand schauen können! Manchmal kommt es zu Führungen in die Vorführkabine oder man stellt den Kindern den Film mit einigen sehr einfachen Kontextinformationen vor. Beispielsweise erläutern wir den Unterschied zwischen Fernsehen und Kino, usw.

Fahren wir fort mit dem Verhältnis zwischen den Lehrern und Ihrer Organisation.

Wir haben in Frankreich 91 Départements. Jedes einzelne davon wählt sich ein ganzjähriges Filmprogramm aus. Und jedes Jahr gibt es ein neues Filmprogramm, das für das gesamte Département gilt. Das ist kein Wunsch-Programm. In Paris beispielsweise gibt es fünf Filme pro Jahr. Eine gewisse Anzahl von Lehrern sieht also fünf Filme. Es gibt aber auch ein abgespecktes Angebot von drei Filmen. Sagen wir also, dass diese Lehrer ungefähr alle zwei Monate mit ihrer Klasse ins Kino gehen. Normalerweise schauen die Lehrer den Film erstmal alleine, noch vor den Kindern, ebenfalls schon im Kino. Wir organisieren die Vorführung für sie, und das ist wichtig, denn viele Lehrer kennen die Filme nicht. Und es ist wirklich wesentlich, dass die Lehrer den Film wenigstens einmal vorher gesehen haben.

Man könnte also von einem gewissen Programm-Dirigismus sprechen. Wie nehmen die Lehrer das Angebot auf?

Manchmal bekommen wir Probleme, denn einige Lehrer sagen: Diesen Film kann ich nicht mit meiner Klasse anschauen, da ist zuviel Gewalt drin. Wir haben zum Beispiel viele Probleme mit The Night of the Hunter. Den zeigen wir eher den Zehn- bis Elfjährigen bzw. in den letzten Jahrgängen der Grundschule. Und da sagen uns dann Lehrer, die den Film zum ersten Mal sehen: »Also wirklich, man kann denen doch keinen Film über einen Serienmörder zeigen!« Oder es ist das Thema, das Probleme schafft: Wir haben einen Dokumentarfilm im Programm, in dem es um krebskranke Kinder geht. Viele Lehrer sagen da: »Ich kann nicht über den Tod oder die schwere Krankheit eines Kindes sprechen.«

Wie geht der Prozess weiter, nachdem die Lehrer den Film gesehen haben?

Sobald die Lehrer den Film gesehen haben, arbeiten sie entweder direkt an den Filmen oder an selbst gewählten Fragestellungen: die Entstehung des Kinos, die Filmgeschichte, die Gewerke des Kinos, die Beziehung zwischen Literatur und Film usw.: Jeder Lehrer führt sein Vorhaben so durch, wie er es will. Wir sagen ihnen nur eins: »Sehen Sie sich den Film auf jeden Fall an. Selbst wenn Sie ihn schon einmal auf DVD angeschaut haben, sollten Sie ihn sich noch einmal in einem richtigen Kino ansehen. Wenn Sie dann den Film gesehen haben, sollten Sie das dazugehörige Begleitheft lesen und darin umherschweifen. Dann sehen Sie den Film gemeinsam mit den Kindern. Anschließend denken Sie sich Fragen zum Film und um ihn herum aus.« Das ist es, was wir die »gewerkschaftliche Mindestanforderung« nennen. Viele Lehrer machen genau das und kein bisschen mehr. Die führen dann mit ihren Schülern eine Diskussion auf der Grundlage von: »Das mochte ich, jenes nicht«, »Das war interessant, jenes weniger« usw. Dafür ist das Projekt zwar nicht gedacht, aber das lässt sich auch nicht vermeiden.

Wie sieht die Qualitätskontrolle vor Ort aus?

Wir sehen unsere Rolle darin, die Messlatte immer höher zu legen. Um das zu erreichen, sind wir auch vor Ort unterwegs, treffen wir die Verantwortlichen in den Départements und fragen sie: »Wie arbeiten Sie zu den Filmen? Was machen die Lehrer in den Klassen mit unserem Programm?« Wir versuchen, auch die Lehrer zu treffen, um nachzuschauen, ob sie sich nicht verrennen. Auch wenn uns das gelegentlich der Fall zu sein scheint, spielen wir nicht gleich den Vater mit der Peitsche, sondern wir versuchen dann, ein kleines bisschen zu helfen: »Verschaffen Sie sich doch Informationen zu jenem Film, der steht in einer gewissen Beziehung zu diesem Film.« Wir haben wirklich die Rolle inne, die Philosophie des Projekts hochzuhalten und den Lehrenden zu sagen: »Sie müssen auch selbst ein wenig forschen und nicht einfach nur den Film benutzen. Ein Beispiel: Wenn Sie anschaulich machen wollen, was ein Musical ist und Sie zu diesem Zweck nichts anderes tun als Singin‘ in the rain zu zeigen, dann reicht das nicht ganz. Versuchen Sie, ein wenig weiterzugehen.« Wir respektieren die Arbeit der Lehrer sehr. Wir gehen nicht in die Klassen, um den Lehrern zu sagen: »Was Sie da machen, ist nicht gut.« Unsere Rolle ist eher die der pädagogischen Berater.

Sind die französischen Lehrer besonders cinéphil?

Die neue französische Lehrergeneration verfügt über eine schwächere Kinobildung als ihre Vorgängergeneration. Schullehrer in Frankreich lernen heutzutage in ihrer Ausbildung nichts mehr über Film. Also versuchen wir, kleine Zusatzausbildungen einzurichten und den Lehrern ergänzende Instrumente zur Hand zu geben, Arbeitshefte, aber auch DVDs, die dann von »Eden Cinéma« oder anderen Verlegern herausgegeben werden. Wir versuchen, Regisseure und Techniker für Einsätze an den Schulen zu gewinnen. Aber da wird es komplizierter und das kostet auch sehr viel Geld. Heute sind in Paris 1.200 Schullehrer für das Projekt »École et cinéma« eingeschrieben. Von diesen 1.200 Registrierten belegen 20 Lehrer einen viertägigen Kurs über das Kino. Das heißt: Wir bekommen es mit Lehrern zu tun, die nicht einmal wissen, wer Fritz Lang ist. Die wissen gerade einmal, wer Jacques Demy ist oder François Truffaut. Aber wenn sie nicht wissen, wer Fritz Lang ist, dann wissen sie nichts!

Wie ordnen Sie Ihr Projekt im internationalen Maßstab ein? Was bringt Ihnen ein Gedankenaustausch mit Ihren europäischen Kollegen?

Zu allererst muss ich sagen, dass wir nicht besonders häufig einverstanden sind mit unseren europäischen Kollegen. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich unser Projekt in Bremen vor angehenden deutschen Lehrern präsentiert. Dem folgte im Anschluss eine Diskussion, während der man mir erklärte, dass es in Deutschland wirklich nicht möglich sei, Kindern Schwarz-Weiß-Filme, Stummfilme oder untertitelte Filme zu zeigen. Man sagte mir: »Das lehnen die Kinder ab, das interessiert die nicht, das ist zu weit weg von ihnen.« Ich habe denen gesagt, dass das bei uns sehr, sehr erfolgreich läuft! Natürlich lieben auch die französischen Kinder Walt Disney, Shrek und Kung Fu Panda, der sogar in Cannes lief. Aber sie schwärmen auch für andere Filme, für Kiarostami, für Chaplin, für Buster Keaton. Sie sind bereit und offen für alles. Zumindest bis zum Alter von elf, zwölf Jahren. Danach wird es wirklich schwierig. Gerade deshalb muss man so früh beginnen. Man muss diese Filme wirklich zeigen: Wenn man The Circus oder Goldrush vorführt, dann klappt das wirklich sehr, sehr gut!

Auf der anderen Seite haben wir in Deutschland den Eindruck, dass sich die größeren Produktionsfirmen verstärkt einer sehr jungen und lukrativen Zielgruppe zuwenden. Doch diese Unternehmen verwandeln die Vermittlung von Cinéphilie in Werbung.

In Frankreich haben sie auch begriffen, dass die jungen Zuschauer eine wichtige Zielgruppe darstellen, geradezu ein Traumpublikum. Es stimmt, dass die Herstellung von französischen Filmen, die sich an ein junges Publikum richten, stark angewachsen ist. Die Mittelmäßigkeit aber auch; es gibt immer weniger gute Filme – und auch in Frankreich werden Reden geschwungen, wonach es sich rentieren muss. Wir kämpfen, weil wir davon ausgehen, dass der Ansatz, Kino als Kunst zu betrachten, die Entwicklung des Individuums fördert. Je früher es die Kinder mit Kunst zu tun bekommen – gleichgültig, ob Kino, Theater, die Bildenden Künste oder Musik –, desto offener werden sie sich der Welt zuwenden. Zum Glück wird diese Haltung in Frankreich zurzeit noch sehr respektiert.

Wir sind während unserer Recherchen auf das CNDP gestoßen, das zuvor Institut National de la Pédagogie (Nationales Institut für Pädagogik) hieß. Dieses INP taucht dann auch als Co-Produzent einer filmanalytischen Sendung von Eric Rohmer über die Gebrüder Lumière auf. Danach wird aus dem INP das CNDP, wiederum später das Scéren-CNDP. Es wäre interessant, die Geschichte dieser Verwaltungsstruktur zu rekonstruieren, die ja ebenfalls eine Verbindung herstellt zwischen Schule und Kino, unter anderem indem sie alle erdenklichen Vermittlungsmaterialien herstellt.

Das CNDP ist eine unserer Finanzierungsquellen, denn das Projekt hängt vom Bildungsministerium ab. Es gibt das Bildungsministerium mit einer Abteilung, die die Schulprogramme leitet. Dann gibt es das CNDP – unseren Verlag für Lehrmittel. Das ist eine sehr alte Geschichte: Das CNDP ist mit der Vorstellung entstanden, die Lehrer dabei zu unterstützen, wenn sie sich mit den Künsten in ihren praktischen und technischen Aspekten beschäftigen wollen. Mit der Zeit verkümmerte das CNDP allerdings zu einem unreflektierten Hersteller von Lernwerkzeugen. Als Anfang der Nuller Jahre die Jack Lang-Mission ihre Arbeit aufnahm, gab es den politischen Willen, die Dinge wieder neu auszurichten und darüber nachzudenken, was den Lehrern wirklich nützliche Dienste erweisen könnte. Man begann auf‘s Neue, das Kino, das Theater, den Tanz zu reflektieren und neue Instrumente wurden ersonnen. Das Instrument schlechthin für das Kino war natürlich die Reihe »Eden Cinéma«, eine Sache von ziemlich unschätzbarem Wert – nur dass das wohl aus finanziellen Gründen auslaufen wird. Heute muss man das Scéren-CNDP wieder kritischer betrachten, denn dort arbeiten zwar enorm viele Leute, aber es wird nur sehr wenig Interessantes publiziert. Man kann schon sagen, dass die Reihe »Eden Cinéma« beinahe eine Ausnahme für sich darstellt.

Können Sie uns noch von anderen Leuten berichten, die wie Sie dafür sorgen, dass in Frankreich Schule und Kino zusammenkommen?

Carole Desbarats habe ich vorhin schon einmal erwähnt: Sie ist heute Studienleiterin an der FEMIS. Sowohl von ihrer jetzigen Tätigkeit her als auch von ihrem Werdegang – sie ist selbst Lehrerin; später hat sie an einer Filmschule in Toulouse unterrichtet und sie ist unserer Institution sehr verbunden. Denn sie ist die Verantwortliche der konzeptuellen Planungsgruppe und war auch Mitglied der Arbeitsgruppe zur Pädagogik. Sie ist wirklich eine sehr anerkannte Persönlichkeit. Dann gibt es da noch ihren Ex-Ehemann Francis Desbarats. Der ist auch sehr, sehr gut! Er lebt in Toulouse, glaube ich. Eine weitere ziemlich besondere »Aktivistin« in unserem Arbeitsfeld ist Christine Juppé-Leblond, die ehemalige Frau des Ex-Premierministers unter Chirac, Alain Juppé. Sie ist die einzige General-Inspektorin des Bildungsministeriums für Film. Sie betreut beispielsweise seit langen Jahren den Preis des Bildungsministeriums, der in Cannes vergeben wird. Sie war auch einmal Direktorin des »Maison du Geste et de l'Image« (Haus der Geste und des Bildes) in Paris. An der FEMIS war sie auch für eine Weile. Christine hat enorm viele Dinge für das Kino in Frankreich getan, auch für den Film an den Schulen. Dabei ist sie aber sehr auf das Gymnasium konzentriert, sie neigt dazu zu behaupten, dass die Grundschüler nicht in der Lage seien, sinnvoll mit dem Kino umzugehen. Mir fällt es schwer, so etwas anzuhören, angesichts von 23.800 Lehrern, die schon seit langem in unserem Programm mitmachen und ziemlich schöne Ergebnisse mit den Kindern erzielen! Juppé-Leblonds Hauptfunktion als General-Inspektorin für das Kino besteht darin, die so genannten Kino-Sektionen an den französischen Gymnasien zu organisieren. In den letzten beiden Gymnasialjahren kann man nämlich ein Wahlfach Film belegen, genauso wie man sich für die Theater-Sektion, also das Wahlfach Theater entscheiden kann. Christine organisiert die Kino-Sektionen für die 11. und 12. Klasse, was eine Prüfung beim Baccalauréat, dem französischen Abitur, im Fach Film einschließt. Sie ist wirklich eine sehr kompetente Person.

Seit wann gibt es dieses Film-Abitur?

Immerhin schon seit 15 Jahren. Heute gibt es in Frankreich über 100 Gymnasien, die diese Wahlmöglichkeit anbieten. Die Sache existiert, sie ist finanziert, und zwar sowohl vom Kultus- als auch vom Bildungsministerium. Aber momentan haben wir ein echtes Problem: Es werden Kino-Sektionen geschlossen, weil Einsparungen gemacht werden sollen. Anscheinend will das Kultusministerium sein Engagement zurückfahren. Das Bildungsministerium kämpft darum, die Kino-Sektionen zu erhalten und ich denke, Juppé-Leblond führt die Schlacht an. Und da sie einen guten Posten innehat, wird sie schon eine wirkungsvolle Methode des Widerstands finden...

Wir haben in der Tat den Eindruck, Paris in einer für die Cinéphilie schwierigen Phase zu besuchen: Wir treffen Bernard Eisenschitz – dem haben sie seine Zeitschrift zugemacht. Wir sprechen mit Bergala – die Zukunft der »Cahiers du Cinéma« scheint alles andere als gewiss. Wir diskutieren mit Douchet über die Arbeit an DVD-Boni – er sagt, das sei vorbei. Heute erfahren wir, dass »Eden Cinéma« möglicherweise bald seine Pforten schließen muss und dass das Film-Abitur gefährdet ist...

Wohl wahr: Nur gute Nachrichten! Eine Trauerreise!

Ja, ein Besuch auf der Titanic!

Nicht doch, wir werden weitermachen! Aber es stimmt schon, dass es zurzeit sehr hart ist. Wir sind zu 80% vom Kultusministerium finanziert und zu 20% vom Bildungsministerium. Das Problem, das wir momentan haben, besteht darin, dass die neue Kultusministerin und der neue Bildungsminister gemeinsam entschieden haben, dass von heute bis 2009, also innerhalb des nächsten Jahres, doppelt soviele Lehrer und Schüler mit unserem Projekt in Kontakt zu kommen haben. Wir können schlecht »nein« sagen, aber zugleich wissen wir, dass das praktisch unmöglich ist. Es sei denn, wir schrauben die Qualität herunter! Natürlich haben wir nichts dagegen, das Projekt weiter auszubauen. Aber man kann nicht alle Lehrer und Schüler dazu zwingen, an dem Projekt teilzunehmen. Das Projekt verlangt nunmal jährlich drei bis sechs Kinobesuche und auch, dass über die Filme als eigenständige Werke gearbeitet wird. Das betrifft im heutigen Frankreich fast 24.000 Lehrer und 500.000 Schüler, 970 Kinos machen da mit. Das sind bereits enorm große Zahlen! Und wir tun uns jetzt schon schwer. Ich erinnere daran: Wir sind mit vier Leuten ein ganz kleines Team.

Die Kontaktzahlen verdoppeln innerhalb eines Jahres ohne zusätzliche Mittel?

Wie gesagt: In meiner bisherigen Amtszeit zwischen 2000 und 2008 ist das Projekt um 150% gewachsen bei gleichzeitigem Budgetanstieg von 2%. Das heißt, die Kluft ist jetzt schon riesig. Die Angelegenheit bleibt kompliziert, selbst wenn sie uns mehr Geld geben sollten, was zurzeit noch nicht einmal vorgesehen ist. Wir wissen gerade gar nicht, wie wir das schaffen sollen. Außerdem ist das tatsächlich nicht nur eine Frage der Gelder: Das Projekt entwickelt sich nicht automatisch weiter, nur weil wir hier vielleicht zwei Mitarbeiter mehr bekommen oder eine zusätzliche Kraft in jedem Département.

Wie reagieren Sie auf die ministeriellen Anforderungen?

Wir stellen ein Dossier mit Zahlen zusammen, um auch quantitativ argumentieren zu können: Eine Steigerung von 25% hätte die und die Auswirkungen auf nationaler Ebene, die und die Auswirkungen auf Ebene der 91 Départements; eine 50%-Steigerung bedeutet dieses, eine 100%-Steigerung jenes. Kurz: Wir stellen ein umfangreiches Zahlenwerk zusammen, womit wir nachzuweisen versuchen, dass man so nicht vorgehen sollte. Ich habe das aber auch der Ministerin persönlich gesagt, gleich nach ihrer Erklärung, die sie in Cannes abgegeben hat: »Sie haben die Tragweite Ihrer Ankündigung nicht erkannt.« Was uns Sorge bereitet ist: Es scheint, dass sie das Projekt in eine andere Richtung lenken wollen, wo das Kino stärker wie ein reines Konsumprodukt behandelt würde. Für uns ist das genau das, was wir nicht wollen! Wahrscheinlich muss man das vor dem Hintergrund allgemeiner Bestrebungen hin zum leicht verdaulichen Film, zum Konsens-Kino, zum weniger »künstlerischen« Kino betrachten. Wir dagegen finden, dass man im Rahmen einer Filmerziehung – wenn man das mal so nennen darf – bei den Qualitätsstandards keinesfalls nachgeben darf. Gleichzeitig weiß das Bildungsministerium die Arbeit, die wir hier seit vielen Jahren leisten, wirklich sehr zu schätzen. In Cannes haben sie »École et cinéma« während der Verleihung des Preises des Bildungministeriums lobend erwähnt, als beispielhafte Einrichtung. Momentan stehen wir eigentlich noch ganz gut da, wir schlagen uns durch. Gleichzeitig ist jemand wie Bergala, der einmal Teil der Lang-Mannschaft war, inzwischen zu anderen Dingen übergegangen. Wir waren schon vorher da, wir sind auch heute noch präsent und wir versuchen einfach, unsere Arbeit fortzusetzen.

Wie interpretieren Sie diese Forderung nach Verdoppelung der Teilnehmerzahlen? Welche politischen Motive stehen hinter einer solchen Forderung?

Unser Eindruck ist, dass diese Ankündigung ein reines Zahlenspiel (juste une volonté de chiffres) ist, mit dem Zweck, in einem Jahr sagen zu können: »Wir sind an der Regierung und uns ist es zu verdanken, dass jetzt eine Million Kinder mit ›École et cinéma‹ zu tun haben.« Gegen die Absicht lässt sich nichts sagen, das ist eigentlich sehr gut! Aber gleichzeitig blicken wir den Tatsachen ins Auge: Beispielsweise wurde das Programm für das kommende Grundschuljahr (premier degré) geändert. Jetzt haben die Lehrer zwei Stunden weniger. Samstag vormittags gibt es keinen Unterricht mehr. Auf der anderen Seite wurde ein neues Fach eingeführt: Geschichte der Künste, ein allgemein gehaltenes Curriculum über alle Künste. Außerdem gibt es neue Pflichten, man hat den Lehreren zusätzliche Französisch-Stunden und zusätzliche Mathematik-Stunden auferlegt; mit den Kleinsten müssen sie mehr Lesen und Schreiben üben. Wir fragen uns also: Wie sollen sich diese Lehrer jetzt noch für ein Projekt wie das unsere anmelden? Werden sie überhaupt noch die Zeit haben, mit ihren Schülern das Klassenzimmer zu verlassen? Das bereitet uns wirklich Sorgen für das kommende Schuljahr. Wir kämpfen weiter und wir haben das Glück, dann doch ein bisschen anerkannt zu sein. Wir haben auch vor einigen Monaten, gemeinsam mit anderen, eine Bewegung ins Leben gerufen, die sich die »Kollektive filmkultureller Aktion in Frankreich« nennt. Denn wir haben gemerkt, dass die Kultusministerin, entgegen ihrer eigenen Verlautbarungen, Gelder streicht. Sie streicht den Schwächsten, den ärmsten Kinobetreibern Subventionen in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro. Auf Grundlage dieses Widerspruchs haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet. Mehrmals sind wir mit der Ministerin zusammengetroffen und versuchen ihr zu erklären, dass man die Sparziele nicht bei den Ärmsten und Bescheidensten erreicht, sondern bei denen, die eh‘ schon viel haben. Seit 30, 40 Jahren hat man in Frankreich an der Entwicklung der Kinosäle gearbeitet. Deshalb gibt es heute in Frankreich enorm viele Kinos. Aber wenn man denen nicht mehr hilft, werden sie langsam, aber sicher verschwinden. Was den Übergang in das digitale Zeitalter anbelangt, so hat der französische Staat bisher keinerlei Hilfen versprochen für die Kinobetreiber, um sich umzurüsten, beispielsweise. Und das wird sehr, sehr teuer! Es ist richtig, dass es in Frankreich schon lange einen politischen Willen gibt, schon vor Jack Lang, im Grunde seit dem Krieg, als das Kultusministerium und all die anderen Strukturen überhaupt erst gegründet wurden. Heute gewinnen wir den Eindruck, dass der Staat die Kulturpolitik aufgeben will. Ein anderes Beispiel erscheint uns dramatisch: Die Bildungsministerin möchte den Film aus den Kompetenzen ihres Amtes herauslösen. Sie will also den Film isolieren. Die anderen Künste würden im Verantwortungsbereich des Kultusministeriums verbleiben, die Musik, das Theater, die Bildenden Künste usw. Wir haben ganz stark den Eindruck – die Ministerin bestreitet das –, dass sie das Kino einzig als Wirtschaftsgut behandelt wissen will. Für Projekte wie das unsere wäre das das Ende.

Frankreich war lange Zeit das einzige Land, das die so genannte kulturelle Ausnahme für das Kino verteidigt hat, beispielsweise in den entsprechenden GATT-Debatten. Schließt sich die neue französische Regierung jetzt der vorherrschenden internationalen Meinung an?

Auf jeden Fall schließt sich die neue Regierung der herrschenden politischen Meinung in Europa an – und die hat eindeutig einen falschen Kurs eingeschlagen. Wir haben beispielsweise eine Diskussion über die Rolle des Kinos in Deutschland geführt. Bei Euch wird das Kino unter »Medien« geführt, während bei uns Kino, Medien und Fernsehen getrennt voneinander gesehen werden. Ich glaube, dass diese Tendenz, alles unter das Dach des Sammelbegriffs »Medien« zu stellen, zwangsläufig auf Kosten des Kinos gehen wird. Das wird zwangsläufig dazu führen, dass man die Politik der »kulturellen Ausnahme« langsam aber sicher aufgeben wird. Wir werden dagegen nicht müde zu sagen, dass Kino kein gewöhnliches Geschäft ist. Man sagt uns: »Der Staat steht zu seiner Verantwortung gegenüber der Kultur und gegenüber dem Kino.« Gleichzeitig gibt es, nach bereinigten Zahlen, 30% weniger Geld für die Kultur. Das ist von einer Doppelzüngigkeit, die nur schwer auszuhalten ist, und darin liegt auch der Grund, weshalb wir uns mit mehreren anderen Organisationen zusammengeschlossen haben: Wir wollen einem Kultusministerium mit größerer Stärke gegenübertreten können, das seinerseits glaubt, am längeren Hebel zu sitzen. Durch diesen Zusammenschluss fühlen wir uns also ein bisschen stärker und ein bisschen mehr beachtet, man hört uns mehr zu. Dabei versuchen wir lediglich zu sagen: »Sie können nicht behaupten, für die Kultur und für das Kino zu wirken, wenn Sie gleichzeitig tun, was Sie tun und den kleinsten Kinos, den schwächsten Vereinen die Subventionen streichen. Wir haben großes Glück in Frankreich, dass wir solche Kinos, die von Vereinen betrieben werden, überhaupt noch haben.«

Wir waren bisher der Auffassung, dass die so genannten »Arts-et-Essais«-Kinos vergleichbar mit unseren so genannten Arthouse-Kinos wären, also ebenfalls privatwirtschaftlich organisiert sind.

Um es ganz klar zu sagen: Wir haben heute 1.000 »Arts-et-Essais«-Kinos in Frankreich. Davon liegen 90% in öffentlicher Hand. Und genau darin liegt das Problem: Mit den heutigen Schwierigkeiten im Kinogeschäft setzen sich die wenigen Privaten, die es überhaupt gibt, für die Beseitigung dieser vereinsmäßig geführten oder auf Gemeindeebene betriebenen Säle ein; wenn es nach denen geht, sollte das alles dem gewöhnlichen Handel, dem Privatsektor zugeschlagen werden. Auch das ist Teil der Schlacht, die wir führen. Wir sagen: »Man kann diese Kinos nicht aufgeben, die seit 40, 50 Jahren daran arbeiten, verschiedene Arten von Publikum auszubilden.« Wenn man sie aufgeben will, wenn es nur noch privat betriebene Kinos geben soll, deren einzige Logik – und das ist normal! – eine Logik des Geldes ist, das in ihre Kassen kommt und kommen muss, damit rentabel gewirtschaftet werden kann, dann wird das bedeuten: Kein Mensch wird bei der Programmgestaltung noch irgendein Risiko eingehen; niemand wird mehr Filme in Originalfassung zeigen oder mit einer speziellen Hinwendung zu einem jüngeren Publikum arbeiten. Diese Kinos aufzugeben, hieße, eine ganze Kette zu schwächen und damit die gesamte Cinéphilie. Dann wird es nur noch Mehrheitsproduktionen geben. Ein Projekt wie das unsere hätte seine Daseinsberechtigung verloren, denn es gäbe kein Publikum mehr dafür.

Kann denn die Situation in einem Land, das viele als DIE Filmnation ansehen, wirklich so dramatisch sein?

Es stimmt, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern privilegiert sind. Aber meinen Mitstreitern sage ich immer: Was wir in 50 Jahren aufgebaut haben, darf nicht innerhalb von ein, zwei, drei Jahren zerstört werden. Wir müssen weitermachen. In Frankreich werden ungefähr 200 Filme pro Jahr produziert. Und wenn man so sieht, was da alles hergestellt wird, dann läuft es einem ziemlich kalt den Rücken herunter. Es kann nicht angehen, dass man 200 Filme produziert und dass von diesen 200 Filmen gerade mal zehn es Wert sind, aufbewahrt zu werden. Ich finde, in Frankreich ist das Verhältnis zwischen der Anzahl der hergestellten Filme und deren Qualität mittlerweile erschreckend! Wenn ich zum Beispiel an 2007 zurückdenke, dann weiß ich nicht, ob wir überhaupt auf zehn Filme kommen, die diese Bezeichnung als schöpferische Werke verdienen. Im Vergleich zwischen dem Jungen Deutschen Kino und dem Jungen Französischen Kino empfinde ich das deutsche momentan als das wesentlich mutigere! Jedenfalls finde ich, dass es dort eine Strömung von Filmemachern gibt, die sich etwas trauen. Sicher, lange Zeit gab es nichts. Aber derzeit sieht man in Deutschland junge Filmemacher auftauchen, die wirklich miteißend sind.

Einverstanden, aber in Deutschland bleibt dieses Kino marginalisiert.

Eine solche Entwicklung zeichnet sich für Frankreich leider ebenfalls ab. Die Kultusministerin – noch haben wir ein Kultusministerium, aber wie lange noch? – hat in ihrem Aufgabenbereich eine Abteilung eingerichtet, die sich so ähnlich nennt wie »Direktion der Kulturunternehmen«. Sie hat also die Privatwirtschaft bereits in die Kultur eingeführt. Ich glaube zu wissen, dass noch vor wenigen Monaten innerhalb der Regierung an die Abschaffung des CNDP gedacht wurde. Ich weiß, dass Sarkozy mehrmals Einsparungen an dieser Stelle verlangt hat, das heißt: man will den Teil der verlegerischen Tätigkeit abwickeln. Der Struktur ist es bisher gelungen, durch interne Kraftakte den Fortbestand zu sichern, allerdings mit wesentlich bescheideneren Mitteln. Aber hier liegt eine echte Herausforderung.