Filmvermittlung und Filmpädagogik

Jeanne Crépeau – Jouer Ponette

Dass es den Film Jouer Ponette von Jeanne Crépeau gibt, verdankt sich einem Zufall, den man zugleich als Glücksfall bezeichnen muss.

Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Universität Paris III interessierte sich Crépeau für die Frage, wie Filmregisseure mit Schauspielern arbeiten. Sie stieß in diesem Zusammenhang – beinahe zwangsläufig, könnte man denken – auf Jacques Doillons Film Ponette, dessen Hauptdarstellerin Victoire Thivisol zum Zeitpunkt der Dreharbeiten vier Jahre alt war. Doillon gilt seit jeher als jemand, der besonders intensiv mit seinen Schauspielern arbeitet, und jeder, der Ponette einmal gesehen hat, weiß, dass dies in diesem Fall mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein musste.

Crépeau richtete sich darauf ein, das Shooting Script und einige andere Dokumente auszuwerten, als sie von der Produktionsfirma eine Tasche mit 50 unbeschrifteten Videokassetten zugeschickt bekam. Es stellte sich heraus, dass darauf alle Aufnahmen von allen Einstellungen des gesamten Films enthalten waren; schwarz-weiß aufgenommen von einem Monitor der 35mm-Kamera. 50 Stunden Material, das erstaunlicherweise nicht weggeworfen oder überspielt wurde. »Ich fing an, die Kassette vom ersten Drehtag anzusehen. Zwei Stunden purer Beklemmung. Nichts klappt. Das Mädchen kennt seinen Text nicht und interessiert sich nicht dafür, was man es zu sagen bittet. Es schaut andauernd die Leute aus dem Drehteam an und fragt sich, was die dort machen. Es gähnt, spielt mit seinem Gipsarm statt mit seinem Schauspielpartner, zupft ihn am Bart... Auch wenn ich Ponette zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Mal gesehen hatte und den Film wunderbar finde, wurde ich von einer beinahe unerträglichen Spannung gepackt, weil ich nicht wusste, wie Victoire Thivisol und Jacques Doillon aus dieser Situation herausfinden würden.« (Crépeau in einem Text im Beiheft der EDEN CINÉMA-DVD)

Als sie dann Aufnahmen eines späteren Drehtags ansieht und merkt, wie das Mädchen ihren Text für mehrere Einstellungen wiederholt und in den Absprachen ganz souverän das gleiche professionelle Vokabular benutzt wie normale Schauspieler, wird Crépeau klar, was das Besondere (und filmhistorisch Exzeptionelle) an diesem Material war. »Ich war die privilegierte Zeugin eines Vorgangs, den bis dahin nur die wenigen Leute aus dem Drehteam von Ponette mitverfolgt hatten. Einstellung für Einstellung, Tag für Tag nahm ich daran Teil, wie aus einem vierjährigen Mädchen eine Schauspielerin, wenn nicht sogar die Darstellerin einer Tragödie wurde.«

[1]Einiges Material aus dem Film befindet sich auf dieser Website

Diesen Prozess zeichnet der Film Jouer Ponette nach, zu dem Crépeau die 50 Stunden Material verdichtet hat. [1] In 94 Minuten – das ist beinahe exakt die Länge von Ponette – zeigt sie den Verlauf der Dreharbeiten in chronologischer Abfolge. Nach den zahlreichen Testdurchläufen, an denen Crépeau durch Texteinblendungen auf Besonderheiten hinweist, wird die tatsächlich genommene Einstellung gezeigt. Sie stammt dann aus dem endgültigen Film und sticht schon allein deshalb – bunt und ohne die Hilfslinien der Kadrierung, die das Monitormaterial kennzeichnen – aus dem übrigen Film heraus.

Zwischendurch gibt es immer wieder Texteinblendungen, die eine spezifische Technik auf ein allgemeines Schauspielprinzip beziehen. Oft ist das überraschend, etwa wenn es über Victoires Technik, den Daumen in den Mund zu stecken, heißt: »Sie wendet hier einen Trick an, den Marlon Brando entwickelt hat: Auf etwas kauen«.

Der Beitrag kommuniziert auf sehr einleuchtende Weise mit den anderen Elementen der DVD »L'Acteur«. Mit den historischen Testaufnahmen zu Renoirs Partie de Campagne, aus denen Alain Bergala die Eigenheiten von Renoirs Arbeit mit Schauspielern herauspräpariert und mit dem kurzen Film La Direction d’Acteurs de Jean Renoir von 1968, der Renoir bei der Textarbeit mit der Schauspielerin Gisèle Braunberger zeigt.

In JOUER PONETTE ist man dabei, wie ein Kind zugleich das Kino und das Schauspiel kennen lernt.

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