Filmvermittlung und Filmpädagogik

Ein Scherenschnitt entsteht
Lotte Reiniger bei der Arbeit

»Das Schönste ist die Unerforschtheit des Gebietes. Bei der Arbeit enthüllt sich eine neue Möglichkeit nach der anderen.« (Lotte Reiniger) [1]

Die Entstehung eines Scherenschnittfilms in 16 Minuten zeigen zu wollen, erscheint vermessen, bedenkt man, dass Lotte Reiniger in derselben Zeit vielleicht gerade einmal 16 Sekunden Film aufgenommen und die Herstellung ihres ersten abendfüllenden Silhouettenfilms Die Abenteuer des Prinzen Achmed (Deutschland 1923-26) drei Jahre gedauert hat. [2] John Isaacs Film über Lotte Reiniger führt exemplarisch die Techniken ein, die die Pionierin des Silhouettenfilms entwickelt hat, um ihre papiernen Figuren zu animieren. Der Film ist entlang von Reinigers Arbeitsschritten organisiert: Entwurf der Hauptfiguren, Entwicklung des Storyboards, Ausschneiden und Zusammenfügen jedes Einzelteils einer Figur, Prüfen der Beweglichkeit ihrer Glieder und schließlich die Filmaufnahmen am Tricktisch. Während wir Lotte Reiniger in ihrem Atelier über die Schulter blicken und ihren flinken Händen dabei zusehen, wie sie die Figuren ihres Films Papageno (Deutschland 1935) noch einmal animiert, erläutert ein Sprecher die einzelnen Arbeitsschritte aus dem Off. Auf diese Weise vermittelt sich vor allem die haptische Qualität des Animationsfilmschaffens, die man dem fertigen Film so nicht mehr ansieht.

Ein Scherenschnitt entsteht – Lotte Reiniger bei der Arbeit Ein Scherenschnitt entsteht – Lotte Reiniger bei der Arbeit Ein Scherenschnitt entsteht – Lotte Reiniger bei der Arbeit
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John Isaacs Vermittlungsfilm richtet seinen Fokus vor allem auf Reinigers Arbeit am Tricktisch. Zunächst wird die Grundlage der Animation vorgeführt: das millimeterweise Verschieben der Figuren in Einzelbildschaltung fotografiert, auch »Stop Motion« genannt. Und auch die Finessen bei der Arbeit am Tricktisch demonstriert Reiniger, etwa die Drehung einer Figur, die Variation von Einstellungsgrößen oder die Aufnahme eines Objekts (hier: einer Fledermaus), das sich aus der Tiefe des Raums in den Bildvordergrund bewegt.

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Der filmvermittelnde Film widmet sich auch dem, was vom Zuschauer meist nur als Hintergrund für eine vermeintlich vordergründige Handlung wahrgenommen wird: der Ausgestaltung des künstlichen Raums sowie der Arbeit an und mit Musik. Bei der Gestaltung ihrer Bildhintergründe arbeitet Lotte Reiniger mit mehreren Schichten von transparentem Papier, deren Schattierungen den Eindruck räumlicher Tiefe erzeugen. Um die Bewegungen der Figuren und den Rhythmus der Musik synchron zu halten, folgt Reiniger einer Partitur, in der sie die Anzahl der aufzunehmenden Bilder verzeichnet hat.

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Dass Lotte Reiniger zu denjenigen Regisseur/innen zählt, die selbst ihre besten Vermittler/innen sind, berücksichtigt der Film leider kaum. Nur an einer Stelle spricht sie selbst und beschreibt beinahe kokett, wie sich ein Esstisch leicht in einen Tricktisch verwandeln lässt:

»Das ist ein Tricktisch: Wenn Sie so einen Tricktisch nicht zu Hause haben, dann nehmen Sie Mutters besten Esstisch, schneiden ein Loch da herein, decken das Loch mit einer Glasplatte zu und über die Glasplatte ein transparentes Pauspapier, und dann tun Sie die Lampe unter dieses Pauspapier. Und wenn Sie dann das Licht im Flur ausschalten und das untere Licht anlassen, dann sehen Sie mit Entzücken, dass Ihre Figur nun wirklich eine Silhouette ist.«

Zur Vertiefung sei Lotte Reinigers Buch »Schattentheater, Schattenpuppen, Schattenfilm« [3] empfohlen, dem auch die hier abgebildete Illustration eines Tricktischs entnommen ist.

Ein Scherenschnitt entsteht – Lotte Reiniger bei der Arbeit    
[1]Lotte Reiniger: Lebende Schatten. In: Film-Pathos wie noch nie. Hrsg. von Edmund Bucher und Albrecht Kindt. Gießen 1929. S.45-46. Zitiert in: Lotte Reiniger. Eine Dokumentation. Hrsg. von der Deutschen Kinemathek. Redaktion: Werner Dütsch. Berlin 1969. S.8-9:8.
[2]Für diesem Film hat Reiniger etwa 300.000 Einzelbilder aufgenommen. Vgl. »Lotte Reiniger – Hommage an die Erfinderin des Silhouettenfilms« (Regie: Katja Rangelli, D 1999).
[3]Lotte Reiniger: Schattentheater, Schattenpuppen, Schattenfilm. Tübingen: Texte Verlag 1981.

Filmografie