Filmvermittelnde Experimentalfilme

Was ist der filmischste Film?

Ein Gespräch mit Martin Arnold

Unserer Ansicht nach haben viele Ihrer Found Footage-Arbeiten – PIÈCE TOUCHÉE, PASSAGE À L'ACTE, ALONE. LIFE WASTES ANDY HARDY, DEANIMATED – vermittelnde Aspekte. Man lernt etwas über das Kino. Inwieweit sind diese Arbeiten auch von Ihnen oder von anderen so aufgefasst worden?

Ich denke schon, dass man die Filme zu Vermittlungszwecken einsetzen kann, aber das war nicht mein primäres Ziel. Bei der Herstellung ging es einfach um die Frage, wie ich diese Filmszenen umschreiben kann. Ich weiß aber, dass diese Filme auch in Vermittlungszusammenhängen verwendet werden. Ich habe zum Beispiel drei Jahre lang in Binghampton gearbeitet, an einer amerikanischen Uni in Upstate New York. Bei der Begutachtung nach den drei Jahren waren zwei Leute als Außengutachter dabei – Maureen Turim und Tom Gunning. Gunning speziell hat darauf hingewiesen, wie wertvoll das für seine Studienanfänger ist. Für Klassen, die einen ersten Eindruck von Film bekommen. Er setzt diese Filme eben genau aus diesen Gründen ein, weil sich daran viel zeigen lässt, auch für Leute, die von Filmtheorie noch keine Ahnung haben.

Und Sie selber? Haben Sie so schon einmal vermittelnd mit diesen Filmen gearbeitet? In Vorträgen zum Beispiel? Oder ist das in dem Moment abgeschlossen, wo das Werk abgeschlossen ist?

Vorträge habe ich immer wieder gemacht. Ich war insgesamt sieben Jahre in den USA, und da kommt es sehr häufig vor, dass man an Universitäten eingeladen wird. Das passiert häufiger als hier. Und wenn dann Zeit war, bin ich ganz gerne da herumgereist mit den Filmen. Mein letzter Vortrag fand im Kontext der Bildenden Kunst statt – im Museum Moderner Kunst in Luxemburg im April – und da ging es um »Appropriation«. Candice Breitz war die Veranstalterin und hat verschiedene Künstler eingeladen, unter anderem mich als Filmemacher. Da habe ich dann eine Arbeit gezeigt und versucht zu erklären, worum es mir dabei ging.

Lässt sich das denn in Beziehung setzen, was passiert, wenn ein Universitätsprofessor Ihre Filme zeigt und die Art und Weise, in der sie entstanden sind und was dahinter steht? Was ist genau das Denken hinter Techniken wie Verlangsamung, Beschleunigung etc.?

Im Prinzip ging es bei den drei Filmen (Pièce Touchée, Passage à l'acte, Alone. Life Wastes Andy Hardy) damals darum, in diesem Vor- und Rücklauf einerseits Sachen sichtbar machen kann, die man eigentlich im normalen Durchlauf nicht sehen kann. Es passiert ja irsinnig viel an Details und man ist natürlich mit der Narration beschäftigt und hat keine Zeit zu verfolgen, was da jetzt gerade ein Finger macht oder wie der Blick läuft. Es ergibt sich auch eine ganz andere Rezeptionsweise, wenn man sich einen Film Bild für Bild anschaut. Früher hab ich das mit einem Filmstreifen und einer Lupe gemacht, heute macht man es einfach mit der DVD, die man anhalten kann und Bild für Bild durchschauen. Das war die eine Überlegung: Das Sichtbarmachen.

Wir haben uns zwischendurch gefragt, ob der Gedanke der »Vermittlung« für diese Tradition des Umgangs mit Material vielleicht weniger geeignet ist als der Begriff der »Forschung«. Man hat ein Interesse daran, etwas herauszufinden über Narration, über Material und so weiter, und dieses Forschende, was sich in den Filmen abbildet, ist natürlich – quasi in zweiter Hinsicht – für Vermittlungszusammenhänge interessant, weil man jemandem zuschaut, wie er etwas an diesem Material erforscht. Es gibt ein Ausgangsinteresse oder eine Ausgangsintuition... Wie kommt man genau zu dieser Szene am Essenstisch in PASSAGE À L'ACTE? Es gibt ja wahrscheinlich eine Ausgangsvermutung, und die muss man dann am Material überprüfen.

Man muss ausprobieren. Ich habe auch schon Hypothesen entwickelt, die falsch waren. Bei Pièce Touchée war es ein Zufall. Da hat ein Freund von mir einen Projektor gebaut und ihn mir vorgeführt. Das war ein 35mm-Projektor, sehr lichtstark, und den konnte man stufenlos runterschalten bis zu einem Bild pro Sekunde. Ein »analytischer Projektor«. Und er hat mir das zufällig mit der Szene von Pièce Touchée vorgeführt. Das war unheimlich spannend, weil wir den Film nicht kannten und immer gerätselt haben: Was wird da jetzt passieren. In der Anschlusseinstellung geht der Mann dann in die Küche, greift in die Schublade und nimmt ein Brotmesser raus. Wir haben das beide als bedrohlich erlebt, aber es war im Kontext des Films völlig harmlos; er hat sich da lediglich ein Stück Brot runtergeschnitten. Da war dann die erste Idee da. Und dann – in Passage à l'acte – habe ich es weitergesponnen von einem Paar hin zu einer Familie. Die Familie hat wiederum Sinn gemacht, weil ich den Ton mitnehmen wollte, und wenn Kinder am Tisch sind, ist das natürlich sehr dicht, was im Sound passiert. Beim Essen ohnehin, ein Löffel fliegt runter, irgendwas passiert immer. Natürlich braucht das Originalmaterial eine bestimmte Dichte, denn ich verlängere das Material ja durch Vor- und Rücklauf. Und wenn da nix passiert im Ton, dann ist die Stille noch viel länger als im Original. Das war schon eine Überlegung, wo ich es einerseits inhaltlich weiterspinnen wollte und andererseits formal Ton – Geräusch und Sprache – mitnehmen wollte. Bei Alone kamen es dann noch andere Ideen dazu. Zum Beispiel die Idee, den Mickey Rooney im Film altern zu lassen. Denn diese Serie ist über sehr viele Jahre gedreht worden. Aber das Problem ist: Das hat für mich nichts ergeben, und außerdem ist der Mickey Rooney ein Typ, der jetzt noch ausschaut als wäre er 17. Aber dann habe ich den Gesang im Vor- und Rücklauf sehr interessant gefunden und dieses ödipale Motiv, wie er zum Beispiel die Mutter küsst...

Man könnte doch vielleicht auch sagen, dass in diesen drei Filmen jeweils ein kinematographisches »Element« hinzukommt. Sei es in der Narration (vom Paar zur Familie), sei es auf der technischen Ebene (Ton und Musik). Es sind also einzelne Bausteine des Kinos, über die man etwas erfährt. Und bei DEANIMATED dann eine ganze Narration, ein ganzer Film.

Bei Deanimated ist es noch einmal anders. Die anderen Filme haben ein bestimmtes Timing, und bei Deanimated geht es ja eigentlich um Auslöschung. Da verschwinden die Leute. Für mich ergab sich die Frage, ob ich den Film im Kinokontext zeigen möchte. Ich wollte das eigentlich nicht machen, weil der Film sich sehr langsam entwickelt. Bei den anderen Filmen setzt man sich als Zuschauer hin, und dann gibt es einen bestimmten Anfang und ein bestimmtes Ende. Deanimated ist ein Loop, für ein Museum hergestellt, wo man weiß, dass die Leute kurz einmal vorbeischauen, dann etwas anderes ansehen und dann wieder zurückkommen. Es werden zum Ende hin natürlich weniger Personen, aber im Prinzip kriegt man sehr schnell mit, wie der Film funktioniert. Ich empfinde den Film stärker als Objekt, nicht so sehr als Film im Sinne eines Kinofilms.

In Ihren Arbeiten erfährt man auch etwas über Schauspielerinszenierung, und speziell in DEANIMATED auch über die Inszenierung des Raums – wie wird ein Dekor aufgebaut? Diese Arbeiten haben ja, möglicherweise über die Ursprungsidee hinaus, immer wieder zurückverweisenden Charakter aufs Kino. In diesem Zusammenhang wäre auch noch einmal die Frage interessant, auf welchem Weg Sie das Kino als Medium gewählt haben.

Auf Deanimated bezogen und wenn man die Vermittlungsaspekte herausstreichen will: Das Kino war ja zu Beginn nicht notwendigerweise narrativ. Jeder kennt die Lumière-Filme, wo sie die Kamera auf der Straße aufstellen und die Leute vorbeigehen. Später kommt die Inszenierung hinzu, und mit der Inszenierung auch das Narrative. Über Porter, Griffith und so weiter, kommt es zum narrativen Film mit bestimmten Schnittmustern und Erzählweisen; Schuss-Gegenschuss, das menschliche Schicksal: Eigentlich ist die Person immer das Zentrum des Bilds. Zu 90 Prozent ist das so im Spielfilm. Ich habe mir also gedacht: Was passiert eigentlich mit dieser Ästhetik und mit diesen Schnittfolgen, wenn jetzt das Zentrum, das diese Einstellungen zusammenhält, nicht mehr da ist. Wie bricht das auseinander? Wenn die Kamera in Deanimated eine Naheinstellung macht von einer Person und die ist weg, dann ist da nur der unscharfe Hintergrund, und dann kommt der Schnitt auf den Gesprächspartner, und da ist wieder nur ein unscharfer Hintergrund. Eigentlich ergibt das nichts mehr, das System bricht zusammen. Man kann das in Vermittlungskontexten sicher auch so thematisieren: Narration, Schnitt im Film und so weiter.

Diese Analyse bezieht sich dann aber fast notwendigerweise auf klassisches Hollywoodkino, sagen wir seit der Etablierung des Studiosystems in den 10er Jahren bis ca. 1960. Wenn man ein modernistisches Nachkriegskino anschaut – Antonioni beispielsweise, der in den letzten zehn Minuten von L'ECLISSE selbst quasi schon die Figuren rausretouchiert –, sähe es schon anders aus.

Im Prinzip ja. Wenn man mit etwas Modernistischem arbeiten wollte, müsste man sich wahrscheinlich eine andere Idee aussuchen. Man kann sicher etwas damit machen; bei bestimmten Genres jedenfalls.

Aber in Ihren Filmen geht es doch auch sehr stark um Funktionsweisen. Funktionsweisen von narrativen Codes, von Kinosystemen. Das Herauswagen in den zeitgenössischen Pornofilm folgt doch auch dem Gedanken: Wie funktioniert dieser Code, wie funktioniert das System dahinter? Dadurch, dass ich gezeigt bekomme, was unterhalb des Codes geschieht, kann ich den Code viel besser betrachten, den Schuss-Gegenschuss-Code zum Beispiel. Bei PASSAGE À L'ACTE und ALONE ist uns aufgefallen, wie sehr man als Zuschauer nochmal eine ganz archaische Erzählung der Körper sieht, die etwas tun. Die etwas tun, was den Köpfen der Leute fast entgeht. Wenn man sieht, wie John Waynes Körper oder Jean Gabins Körper Sachen macht, die im Film gar nicht erzählt werden sollen, aber doch erzählt werden. Guckt man dann auch anders auf Filmgeschichte?

Ich denke schon, dass man die Dinge durch diese Art des Filmemachens anders sehen kann. Man kann es ja auch zuhause quasi »nachspielen«. Inzwischen kann sich jeder einen Film Bild für Bild anschauen, weil es mit DVD und Computer so leicht ist. Ich komme ja vom klassischen Experimentalfilmbereich her. Das ist natürlich über die Figur Peter Kubelka vermittelt, der sich sehr früh vor allem für den amerikanischen Experimentalfilm interessiert hat. Er hat lang in New York gelebt und immer wieder Leute ins Österreichische Filmmuseum gebracht und die Sammlung aufgebaut. Was ich theoretisch interessant gefunden habe über die Figur Kubelka hinaus, zum Beispiel in Texten von Paul Sharits oder Sachen aus dem Experimentalfilmkontext der 60er Jahre: Die gehen sehr stark von einem Essentialismus aus. Ich habe den Eindruck, dass in Amerika dieser ›Greenbergism‹, wie die Amerikaner sagen, in der Luft lag. Clement Greenberg hat darüber geschrieben, was in der Malerei Kunst und was Kitsch ist. Alles, was an Darstellung orientiert war, wurde stark als Kitsch abgetan, weil sich die Malerei mit den grundsätzlichen Mitteln zu beschäftigen hatte: Stärke des Pinselstrichs, Farbton und so weiter. Das haben die Filmemacher auf ihr Medium übertragen. Die Frage bei Kubelka und anderen Filmemachern ist ganz stark: Was ist der filmischste Film? Er wollte dem Medium auf den Grund gehen. Und der erste Widerspruch oder der erste andere Ansatz von einem Filmemacher ist sehr bald gekommen, nämlich von Hollis Frampton. Frampton hat einen Text über eine Metageschichte des Kinos geschrieben. Darin hat er genau auf diese Idee angespielt: Beim Kubelka gibt es ein Ziel der Geschichte, nämlich den Filmischsten Film, und danach wird das Medium obsolet. Bei Frampton dagegen findet sich der Gedanke, dass man die Filmgeschichte neu erfinden kann, indem man sie umschreibt. Weil ja der nächste, der kommt, wieder etwas Neues daraus machen kann.

Jemand wie Ken Jacobs ist dafür eine wichtige Figur.

Mit Ken Jacobs sind meine Filme natürlich oft verglichen worden. Aber ich glaube, dass er sehr stark vom Visuellen ausgeht. Für mich geht es dabei um Ideen wie halluzinatorische Wahrnehmung, künstliche 3-D Wahrnehmung, also sehr stark um das optisch-mechanische Moment im Kopf, und in meinem Fall geht es viel stärker auch um soziale Gegebenheiten, wie sich die Geschlechter zueinander verhalten, wie es in dieser Familie zugeht... Das ist ein Unterschied in der Zielrichtung. Darum möchte Ken Jacobs auch immer, dass die Sachen sehr lang sind, damit sich die Wahrnehmung umstellen kann. Ich habe das Gefühl, dass es ihm im konkreten Fall dann nicht so wichtig ist, was da im Bild genau transportiert wird. Das ist bei mir schon wichtig, denn ich könnte auch im Vor- und Rücklauf in irgendeinem Western einen Cowboy vom Pferd fallen lassen, aber da läge für mich keine Spannung drin.

Uns fällt auf, dass die Vor- und Zurückspulgeste eine klassische Filmarbeitergeste ist, sprich: Schneidetisch, von der auf der Rezeptionsseite der klassische Kinozuschauer ausgeschlossen bleibt. Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten: Zum einen quasi eine Sehnsucht nach dem Buch, nach dem eigenen Rezeptionstempo – zurückblättern, sich vergewissern. Auf der anderen Seite fühlt man sich im Rückblick erinnert an die Zukunft der Medien Video und DVD. Heute hat jeder sein Schnittprogramm und kann den Film im Grunde genommen auch analytisch anschauen.

Ich habe den Computer in den letzten Jahren als Arbeitsmöglichkeit genutzt, was aber bei Pièce Touchée noch nicht möglich gewesen wäre. Natürlich ist dieses Bewusstsein über die Computer und die Schnittprogramme in die Haushalte gekommen, aber es ist auch interessant, dass Filmwissenschaftler und -theoretiker die Filme anders sehen als die Leute im Kino. Denn sie haben sich die Filme damals schon am Schneidetisch angesehen und zuerst einmal ihren eigenen Film geschaffen, indem sie das Material vor- und rücklaufen lassen. So haben sich schon damals ganz andere Wahrnehmungsmöglichkeiten als die des Rezipienten im Kino ergeben.

Es passt ja ganz gut, dass der Projektor, von dem Sie eben sprachen, »Analytischer Projektor« heißt. Oder habe ich das falsch verstanden?

Ich habe das Wort hier bei uns noch nie gehört und auch nie einen »analytischen Projektor« bei uns gesehen. Das kommt von den Amerikanern: Den ersten derartigen Projektor habe ich am San Francisco Art Institute gesehen, als ich dort für zwei Semester unterrichtet habe. Die haben mir eine Equipment-Liste geschickt, auf der ein »Analytical Projector« verzeichnet war. Das war ein Projektor, bei dem man Zeitlupe und per Knopfdruck auch Bild-für-Bild anwählen konnte. Das Problem mit dem Runterdrehen ist ja ein technisches. Die Lampe wird sehr heiß, und wenn ich einen normalen Projektor Bild für Bild vorlaufen lassen würde, würden die Bilder verkohlen. Beim analytischen Projektor schiebt er beim Einzelbild automatisch einen Graufilter rein, der die Hitze abschwächt. Das Bild wird zwar etwas dunkler, aber man kann Bild für Bild anschauen.

Wir haben jetzt viel über frühe Filme recherchiert. Wie wird frühes Kino – Early cinema bis ca. 1907 – in didaktischen Formaten repräsentiert? Beim Schauen Ihrer Filme ist uns immer wieder eine Analogie zu Muybridge aufgefallen. Zu den Phasenfotografien. Auch natürlich vom Aufwand her. Ich weiß nicht, wieviele Einzelkader für PIÈCE TOUCHÉE hergestellt wurden, aber vom Produktionsaufwand hat das ähnliche Dimensionen wie das, was Muybridge mit seinen Einzelfotografien betrieben hat. Und gleichzeitig besteht jetzt die Möglichkeit, die Einzelfotografien der hüpfenden Männer und springenden Katzen und das Unbewußte, das durch den Storyfilm hinzugekommen ist, sichtbar zu machen. Gibt es für Sie einen Bezug zu diesem »Vor-Kino«?

Ich bin da sicher sehr von Peter Kubelka und vom Wiener Filmmuseum beeinflusst gewesen. Ich habe die ersten Vorträge gehört, als ich noch in der Mittelschule war, mit ungefähr 17. Kubelka hat ja immer wieder sehr viel Wert darauf gelegt zu betonen, dass Film sich zwischen den einzelnen Bildern artikuliert. Er ist soweit gegangen, dass er Einstellungen als »schwache Artikulation« bezeichnet hat, weil da wenig zwischen den Bildern passiert, und wenn man die Sachen einzelbildmäßig schneidet, kommt die Sache zur Entfaltung. Kubelka hat sehr stark ein Bild-für-Bild-Denken gehabt, und er hat seine Vorträge immer mit Muybridge und Marey begonnen. Das war mir also schon früh bekannt und hat mich auch immer interessiert. Gegenwärtig spiele ich mit etwas herum – aber ich bin mit dem Galeristen da noch nicht übereingekommen. Was ich ihm gezeigt habe, würde in Richtung Muybridge gehen, oder eher sogar Marey. Ich habe zum Beispiel eine Szene aus Terminator genommen, wo Schwarzenegger am Schluss mit dem Gewehr aus dem Wolkenkratzer runterballert. In Photoshop hab ich dann jeden Schuss, repräsentiert durch die Feuerwolke vor der Waffe, rausgeschnitten und wieder reingeklebt. Das heißt, der Schwarzenegger verschwindet hinter seinen Schüssen, man sieht nur noch ein Stück von seinem Schopf ganz oben, und sonst ist das Ganze wie ein Action Painting, wie abstrakte Malerei. Das ist eine Fotoarbeit, eigentlich eine Marey-Arbeit, weil er das ja auch wieder in ein Bild zusammengefasst hat (anders als Muybridge). Und beim Schwarzenegger hat mich das amüsiert, denn erstens ist er ja der Action-Hero, und der Action-Hero hinterlässt ein Action-Painting. Und zweitens, ›The Terminator terminates himself‹: Er verschwindet hinter seiner eigenen Rauchwolke.

Das ist also eine Arbeit, die sich auf einen Farbfilm bezieht, während die übrigen Arbeiten, die wir kennen, fast immer mit Schwarzweißmaterial arbeiten. Ist das eine Entwicklung?

Die Sachen mit dem Vor- und Rücklauf habe ich nach den drei Filmen als abgeschlossen erlebt. Dann gab es die Idee zu Deanimated. Auch bei dieser Retouchier-Idee finde ich, dass man das einmal oder zweimal machen kann, aber dann muss man etwas anderes suchen. Meine letzten Arbeiten sind Videoarbeiten für Flatscreen-Monitore, aber eigentlich bin ich da noch ziemlich dabei ausprobieren, wohin das weitergehen soll. Da will ich verschiedene Sachen versuchen; unter anderem jetzt einmal diese Fotoarbeiten. Das hat aber natürlich auch etwas Analytisches. Ich habe zwei Sachen gemacht, nein, eigentlich drei. Die eine ist ist die mit Schwarzenegger, das andere ist eine Arbeit mit dem Titelhelden aus Forty Guns. Bei diesem Film habe ich von allen Schüssen, die gefeuert werden, den Rauch stehenlassen. Das Ergebnis ist natürlich ein ganz anderes, weil Schwarzenegger in drei Minuten das Bild zuballert, während im anderen Fall der Held ganz klar sichtbar bleibt, obwohl alle Schüsse im Bild bleiben.

Nur kurz zum Verständnis: Die Schüsse bleiben an der Stelle im Bild stehen, wo sie abgefeuert werden?

Ja, in dem Fall habe ich immer die größte Ausdehnung der Rauchwolke genommen und sie dann ins Bild zurückgesetzt, und zwar genau dort, wo sie entstanden ist. Das sieht dann teilweise so aus, als wären die Wolken vom Himmel gefallen.

Man hat also eine Andeutung, wo der Held gestanden hat, weil die Stellen ausgespart sind?

Als Basis habe ich das letzte Bild nach dem letzten Schuss ausgewählt. Dieses Bild ist der Hintergrund und drüber liegen alle anderen Schüsse, die irgendwann im Film gefallen sind.

Man sieht dann also – gerade in der Gegenüberstellung – dass das moderne Kino den Helden quasi vernebelt und das klassische ihn immer noch klar erkennbar hält.

Wie gehen Sie denn, rein technisch gefragt, die Rechtefrage an?

Es ist von Film zu Film unterschiedlich. Bei Deanimated mussten wir die Rechte klären, aber das war sehr leicht, weil keiner mehr an diesem Film Interesse gehabt hat. Die Rechte lagen bei zwei Horrorfilm-Freunden, die die Rechte für ihr eigenes Videolabel gekauft hatten. To Kill a Mockingbird ist public domain in Amerika, mit dem Film darf jeder machen, was er will. Und bei den anderen habe ich mich nicht gekümmert. Ich glaube die Rechtefrage wird jetzt eher relevant, wenn die Verkäufe über Galerien laufen und entsprechend größere Summen im Spiel sind. Im klassischen Experimentalfilm wurde ja eigentlich kein Geld damit verdient oder so wenig, dass es keinen Sinn hatte, einen Filmemacher zu belangen. In der Bildenden Kunst hat mich das sehr interessiert. Candice Breitz etwa, die sehr gut im Geschäft ist, kümmert sich eigentlich nicht um die Rechte und legt den Arbeiten eigene Schriften bei, warum sie glaubt, dass sie das darf. Sie holt sich auch Expertisen von Rechtsanwälten ein. Nur: Wenn irgendetwas passiert, dann kann das ganz tragische Folgen haben. Wenn sich das also jemand kauft – ich kann mir vorstellen, dass diese Arbeiten bei 100.000 Dollar oder 150.000 Dollar liegen – und es einen Copyright-Streit gibt, dann würde wohl zunächst einmal die Galerie verklagt, und die muss dem Kunden die Summe zurückzahlen. Mich hat es ehrlich gesagt sehr gewundert, dass sich Galerien dieser Größenordnung auf so etwas einlassen. Ich war verblüfft, dass die da ziemlich cool sind. Andererseits ist es auch bei Ankäufen durch Museen kompliziert. Es gibt solche Ankäufe, aber jedes Museum schaltet vorher Rechtsanwälte ein; das geht ewig hin und her, und es ist ewig auf der Kippe. Das ist oft auch ziemlich irrational. Candice Breitz hat in Chicago an der Uni studiert und war damals schon mit einem Rechtswissenschaftler befreundet, der sich auf Copyright spezialisiert hat. Der war auch eingeladen zu diesem Kongress in Luxemburg und hat einen Überblick gegeben. Er ist scheinbar vom Prinzip des »fair use« ausgegangen. Zwar hat er nie explizit den Kunstbereich angesprochen, wo es um größere Summen geht. Aber er hat erstaunliche Sachen erzählt. Zum Beispiel, dass irgendwelche Plattenfirmen Musterprozesse führen wollen, um die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen: Es wurde dann ein 12-jähriger verklagt, weil er auf youtube Bilder von seinem Hund mit Michael Jackson-Musik unterlegt hatte.

Eine Frage zum Musikalischen Ihrer Arbeiten: Wie treffen Sie Ihre konkreten Entscheidungen? Das erinnert ja an improvisierende Musik, wo es keine vorkalkulierten Effekte sind und sich jemand denkt: ›da muss ich so vorspulen, denn das gibt diesen und jenen Effekt‹. Auf der anderen Seite gibt es ein Echo aus der ganzen Kultur der Remixe. Damit hat Found Footage ja vielleicht generell zu tun. Man macht aus bestehendem Material etwas Neues. Wie würden Sie denn Ihre Verbindungen zur Musik einschätzen?

Ich interessiere mich zwar für elektronische Musik, aber was ich damals gemacht habe, ist ja sehr basic. Es ist eigentlich nur Vor- und Rücklauf, und die meisten elektronischen Musiker arbeiten ja mit unheimlich komplizierten Filtern und kennen sich sehr genau damit aus, wie man was verändern muss, um welchen Klang zu erzeugen. Ich dagegen habe das in einer sehr primitiven Art gemacht. Aber natürlich hat mich früher einmal Minimal Music interessiert, und mich interessiert auch Elektronik. Das war eher sehr intuitiv in dem was ich hör. Und vor allem war die Frage wichtig, ob es sich mit dem Bild schließt. Bei den beiden Arbeiten mit Ton bin ich ja immer zweigleisig gefahren. Ich habe zuerst Versuche gemacht, die auf das Bild abzielen, und dann habe ich mir angehört, was da gleichzeitig im Ton passiert. Und anschließend habe ich auch Sachen gemacht, die vom Ton ausgehen um dann zu sehen, was mit dem Bild passiert. Es war oft so, dass eine der beiden Ebenen geklappt hat und die andere nicht, und dann musste ich mir etwas Neues ausdenken.

Weil wir zuerst beim Frühen Kino waren: Es gibt ja enorm viele Vorläufer für diese Techniken, und eigentlich beginnt es mit der Geschichte der musikalischen Aufnahme und geht dann weiter bis zum Beginn der Filmgeschichte. Es ist ja zum Beispiel so, dass der Lumière-Vater, der im Grand Café projiziert hat, zwei Filme rückwärts laufen ließ; Zeitumkehr im Film war eigentlich bei der ersten kommerziellen Vorführung schon da. Es gibt auch Berichte – man weiß nicht genau, ob die stimmen oder nicht –, dass er die Leute geärgert hat oder Verwunderung schaffen wollte und daher nicht gleich zu kurbeln begonnen hat, sondern zuerst ein Standbild projiziert hat. Die Leute haben gedacht: Ah, ist das öd. Das, was dann später im Computer »Time Axis Manipulation« heißt, war schon sehr früh da. Und es gibt von Edison mit dem Phonographen Werbemaßnahmen in diversen Katalogen, bei denen er unter anderem gesagt hat, dass man sich Musik rückwärts anhören könne und dadurch vielleicht neue Ideen zur Komposition bekommt. Das ist 1877. Tom Gunning hat mir einmal eine lustige Geschichte erzählt: Früher gab es das Problem, dass beides handgekurbelt wurde, die Kamera und der Projektor. Die Leute wurden dabei natürlich häufig müde und konnten nicht so genau die Geschwindigkeit halten. In frühen Fachzeitschriften haben sich dann Vorführer selbst beworben und dabei angepriesen, dass sie ein sehr gutes Gefühl für Geschwindigkeitsschwankungen haben und die Fehler wieder beheben können. Manche von denen sind soweit gegangen zu sagen, dass sie auch Sachen akzentuieren können während der Projektion. Sie kurbeln bei Liebesszenen langsamer und bei Verfolgungsjadgden schneller.

Das habe ich tatsächlich einmal von jemandem gehört, der heute ab und an Stummfilme voführt. Er hatte dafür den Begriff des »Dynamischen Vorführens«. Ein sehr schöner Ausdruck. – Mich würde auch interessieren, wie Sie Ihre Arbeiten innerhalb eines »Denkens der Filmgeschichte« einschätzen. Den Rückgriffen auf frühe Kinotechniken und technische Möglichkeiten entsprechen ja auch gedankliche Möglichkeiten. Wie würden Sie Ihre Arbeiten in der Filmgeschichte einordnen?

Schwierige Frage. Die Arbeiten sind damals einige Male im Zuge der Zeit und im Zuge der philosophischen Interessen der Zeit als dekonstruktiv empfunden worden. Wo sie genau in der Filmgeschichte stehen, ist schwer zu sagen. Man kann natürlich sagen: Sie gehören zur Experimentalfilmgeschichte, weil es viele formale Sachen gibt, die aufgegriffen wurden, die schon vorhanden waren. Auch das ›Apparatus-Denken‹ ist im klassischen Experimentalfilm immer schon wichtig gewesen. Zudem ist es eine Untergruppe, ›Found Footage‹, das in den Sixties einmal Collage-Film geheißen hat, und was sich dann wieder verbindet mit Collagetechniken der Bildenden Kunst. »Appropriation«, Aneignung, war der Titel von dem Candice Breitz-Symposium. Ich glaube, meine Arbeiten stehen irgendwo zwischen all diesen Sachen.

Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen diesem Wiederholungsmoment und der Kindheit. Bei Kindern ist es ja auch so, dass sie bis zu einem bestimmten Alter eine Begeisterung haben, Sachen immer wieder zu sehen. Sie werden gar nicht müde, diese Dinge zu wiederholen.

Dann wäre ich ein bisschen wie ein Wiederholungstäter, der immer noch nicht glauben will, dass nichts passiert... Ich habe die Originale natürlich sehr oft angesehen, während ich an den Arbeiten gesessen habe. Und die Szene aus To Kill a Mockingbird zum Beispiel habe ich mir danach nie mehr angesehen. Als ich dann am Bard-College unterrichtet habe, gab es häufiger Einladungen an andere Schulen. Einer der Lehrer wollte es dann pädagogisch aufbauen und hat sich die DVD besorgt mit To Kill a Mockingbird, um zuerst einmal diese Szene im Original vorzustellen. Für einen Moment habe ich tatsächlich gedacht: Was haben die da mit meinem Film gemacht? Irgendwas stimmt da nicht. Ich war es inzwischen so gewohnt, diese Szene in meiner Bearbeitung zu sehen...

Naja, es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass jemand auf die meta-appropriative Idee kommt, aus Ihrem Film die Originalszene zu rekonstruieren...

Das hat ein Student in Kansas City gemacht und mir das dann geschenkt. Er hat das rückübersetzt.

Und das funktionierte?

Ja, es ist jedes einzelne Bild drinnen.

Das Gespräch führten Michael Baute, Volker Pantenburg, Stefan Pethke, Stefanie Schlüter und Erik Stein am am 2. Juli 2008 in Wien.