Filmvermittlung auf DVD

Was die Disc vom Film weiß
Zwei oder drei Dinge zur DVD

Von Jan Distelmeyer

[1]Mitchell, Elvis: Everyone‘s a Film Geek Now, in: The New York Times, 17.8.2003
[2]Slansky, Peter C.: »Geschichte und Technologie des bewegten Bildes«, in: Ders. (Hrsg.): Digitaler Film – digitales Kino, Konstanz, 2004, S. 35

Noch dominiert die DVD das Heimkino-Geschäft, und ob sie dereinst als Datenträger von der Blu-ray tatsächlich abgelöst wird, weiß niemand. So unsicher jedoch die Zukunft der DVD auch ist, so sicher scheint der Umgang mit ihr zu gelingen. Nicht nur in praktisch, sondern auch theoretisch. Vielleicht lassen sich seit Ende der 1990er Jahre zwei Positionen zur DVD unterscheiden, die besonders auf sich aufmerksam gemacht haben:

Da ist zum einen der Ausruf einer »Revolution«, die Sensation des radikalen Bruchs, des Paradigmenwechsels in der Filmgeschichte: »Has there been a single technological advance – even the advent of sound – that has changed movies as quickly and thoroughly as the DVD has?« [1] Wer würde sich nicht für das »erste erfolgreiche digitale Abspielmedium für Video« interessieren, als das die DVD seit Jahren gilt? Auch wenn damit der nicht eben kleine asiatische Markt ausgeblendet wird, auf dem die so leicht zu kopierende Video-CD (sehr zum Ärger der Hollywood-Studios) diesen Titel etwa seit Mitte der 1990er beanspruchen darf [2].

Auf der anderen Seite dieser Euphorie steht die distanziertere Haltung, derzufolge man es hier erst einmal mit dem nächsten Schritt in der Verwertungskette zu tun habe, der als solcher zwar etwas Neues sei, aber ansonsten »die Filme« weitgehend unberührt lasse. In dieser stillen Übereinkunft scheinen auch die meisten DVD-Rezensionen in deutschen Tageszeitungen geschrieben bzw. bestellt, in deren (durch den sehr begrenzten Zeichenraum geradezu vorprogrammierten) Fokus in der Regel eben »der Film« steht.

[3]alle Zitate: Bordwell, David: „New media and old storytelling“, in: David Bordwell’s website on cinema, 15.5.2007, davidbordwell.net (Stand: 18.5.2007)

Während der Revolutionsruf dazu tendiert, die Bezüge zwischen der DVD und früheren Medien wie VHS, Laserdisc, CD-ROM, Video-CD, CD-i und auch der Filmpräsentation im Kino oder Fernsehen zu vernachlässigen, betont die dem entgegengesetzte Haltung eine medienhistorische Beruhigung:. Keine Sorge, der Film bleibt. Als prominentester Vertreter dieser in besonderer Weise auf Film zentrierten Perspektive versteht David Bordwell die DVD als ein Werkzeug, das bestätigt, was seine Analysen schon immer gezeigt haben: sein auf bleibende (narrative) Prinzipien und Stabilität der filmischen Produkte ausgerichtetes Plädoyer postuliert, die DVD böte im Wesentlichen nichts Neues, belasse »the films« ebenso wie bei Präsentationen »on TV, in drive-in theatres, on airline screens, on computer monitors, and now on iPods« – »remarkably stable«. Mit der DVD, fasst Bordwell zusammen, »you can pause the film, run fast forward, skip to a particular second, shuffle chapters, even play the thing in reverse«. Doch die daraus resultierende Frage – »Does the new flexibility of use allow us to experience the film in new ways?« – wird mit Hinweisen auf etablierte Medien (»DVD interactivity is familiar from other media, particularly books«) und »the craft of fictional filmmaking« verdrängt bzw. verneint. Das neue Medium («a booklike object«) diene vielmehr dem besseren Verständnis der alten Strategien: »[T]he DVD serves not as a unique format for the film but as a tool that makes analyzing the plots a lot easier than would several visits to the theatre.« [3]

[4]Böhnke, Alexander: »Mehrwert DVD«, in: Navigationen, Heft 1/2 (Fragment und Schnipsel), 2005, S. 216. Im Netz hier zu lesen.
[5]Alexander Böhnkes Anmerkung in seiner Fußnote 18 – »Man sollte jedoch in Erwägung ziehen, dass die dispositive Struktur unsere Wahrnehmung beeinflusst und daher auch an der Konstruktion der Geschichte durch den Zuschauer beteiligt ist.« – deutet die Richtung an, die Böhnke nicht weiter verfolgt. (Böhnke, »Mehrwert DVD«, S. 216)
[6]Vgl. dazu: Kiefer, Bernd: »Die Unzuverlässigkeit der Interpretation des Unzuverlässigen. Überlegungen zur Unrealiable Narration in Literatur und Film, in: Fabienne Liptay /Yvonne Wolf (Hg.): Was stimmt denn jetzt? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film, München, 2005, S. 87

Ähnliche Sicherheit im Umgang mit der DVD führt z.B. Alexander Böhnke zu dem Schluss, »der Film auf DVD« werde zwar durch Bonusmaterial gerahmt, doch er unterscheide sich »üblicherweise nicht großartig von dem Film im Kino«, wenn man den Wechsel »vom großen auf den kleinen Schirm und den damit einhergehenden Qualitätsverlust bei der Auflösung« außer Acht lasse [4] . Was auch immer an Innovationen zum Film hinzukommen möge, bleibt Bereicherung bzw. Rahmung eines weitgehend unveränderten Kerns [5] , zu dessen Analyse die DVD aber ganz besonders beitrage [6] .

In diesen Gewissheiten und Einordnungen droht viel von dem übersehen zu werden, was zu sehen und zu hören ist: die spezifische Ästhetik der DVD, jenes Spiel der Erscheinungen, das an Bedingungen gekoppelt ist, die das Dispositiv der DVD (technisch-apparativ und diskursiv) ausmachen. Hier bleibt unter dem Radar, was mir wie Zugang zu Filmen verschafft und Filme in ihrem Erscheinen zu bestimmen hilft. »The Films« – das würden Experten angesichts der heiligen Hallen (Muss man im Kino gesehen haben!) immer zugestehen – sind keine unabhängige Größe. Um die DVD ernst zu nehmen, gerade für eine kritische Distanz dem Hype ihr gegenüber, wäre zu untersuchen, wie ihre audiovisuellen Inhalte zum Erscheinen kommen und wie dabei überhaupt noch »the Films«/»der Film auf DVD« auszumachen wären, über die wir uns dann streiten oder möglichst unmissverständlich austauschen könnten.

»It’s more than just the movie!«

Besonders interessant scheint mir hier die Entscheidung zu sein, bei der Gestaltung der DVD durchgängig und mit steigendem Aufwand auf Menüs zu setzen, die sich damit zum ersten Mal in der Geschichte der industriellen Auswertung von Kinofilmen als Filmzugang und Präsentationsform durchsetzen. Was Anfang der 1990er von Voyager bzw. Philips auf CD-ROM und CD-i erprobt worden war und auf Video-CDs keine Rolle gespielt hatte, wird ab 1996/97 auf DVD zum Standard: Menüs waren das erste Pfund, mit dem die DVD als ostentativ digitales Medium wucherte, um sich als zeitgemäß = digital = interaktiv zu erweisen.

Kein Zufall, dass bei der US-Markteinführung der DVD im März ’97 auf dem Cover von z.B. BLADE RUNNER – THE DIRECTOR‘S CUT, TWISTER, SPACE JAM oder BATMAN (alle: Warner Home Video, 1997) unter dem (Plus-)Punkt »Special Features« oder »Bonus« als erstes die »Interactive Menus« geführt wurden. »Interaktive Menüs« lautet die entsprechende Übersetzung, die vor allem 1998/99 auf den Film-DVDs in Deutschland angepriesen wurden. Sie sind die Basis, auf der sich das Versprechen erfüllen soll, das ebenfalls seit März 1997 als Versprechen dem Cover der New Line Home Video-DVDs zu lesen ist: »It’s more than just the movie!«

Nach dem Einlegen der Disc begrüßen uns Menüs mit dem Interaktivitätsversprechen, dass nun nichts mehr (oder wenig) so bleiben soll, wie es im Kino gewesen ist.

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(Abb.: Startmenü aus STIRB LANGSAM – JETZT ERST RECHT. SPECIAL EDITION (Buena Vista Entertainment, 2002)

Und weil hier Interaktivität eigentlich Selektivität ist, soll das auch ganz einfach gehen: Wahlmöglichkeiten in Sachen Untertitel oder Sprache/Ton (und ganz besonders durch Audiokommentar) zielen auf Veränderung dessen, was wir als »der Film auf DVD« diskutieren könnten:. Hier erst entsteht »der Hauptfilm« – wodurch die DVD mit uns als tatkräftigen Komplizen eine der bleibenden Bedingungen von Film transparent macht: Die Illusion eines filmischen Originals, der Wunsch nach einem autorisierten und damit einmaligen, referenzfähigen Werk hat die Geschichte des Films ebenso begleitet wie die jederzeit zu habende Enttäuschung.

[7]Seeßlen, Georg: »Das Verschwinden des Originals«, in: epd Film, 21. Jhrg., Nr. 8, 2004, S. 22

Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz ist wahrscheinlich das berühmteste Zeugnis dieses befreienden Verlusts von Einzigartigkeit, der nicht zuletzt die Filmstudios befreit, indem sie z.B. die prinzipielle Veränderbarkeit des Films mit Testvorführungen und zu Exportzwecken nutzen. »Ein Film ist immer veränderbar gewesen. Was die Filmindustrie gemacht hatte, das konnte immer von der Filmindustrie auch manipuliert werden.« [7], ruft Georg Seeßlen den anti-originalen Charakter des Films in Erinnerung, indem er die ersten beiden Sätze des Kunstwerkaufsatzes variiert. Auch wenn der Flüchtigkeit des Films, der die Kinos traditionell als Kopie erreicht, mit Vorstellungen von Autorschaft begegnet wird, bleibt das Wissen um die prinzipielle Variabilität bestehen. Jeder Director‘s Cut verweist ja notwendig auf mindestens eine andere Version.

[8]Altman, Rick: »General Introduction: Cinema as Event«, in: Ders. (Hg): Sound Theory/Sound Practice, New York / London, 1992, S. 6
[9]Ebd.

Rick Altmans wichtiger Appell zu Beginn der 1990er Jahre, den Kinofilm als Ereignis (Cinema as Event) zu denken, basiert zu weiten Teilen auf der Erkenntnis seiner Instabilität, Heterogenität und Multi-Diskursivität: »Rather than recognize the legitimate existence of multiple versions of a film, based on diverse social and industrial needs (censorship, standardized length, colonization, foreign-language dubbing etc.), critics have made a regular fetish of locating the ‚original‘ version.« [8] »Der Film« existiert nur als ein Konstrukt zur Zeit, als eines unter potentiell vielen, das sich in dem Augenblick, in dem es sich vor unseren Sinnen entwickelt, den Bedingungen dieser augenblicklichen Materialisierung unterwerfen muss. Die lange Geschichte der die Aufführung »störenden« Kinobesucherinnen und -besucher erzählt davon, dass uns Filme unter diversen Einflüssen erscheinen, zu denen auch die (Inter-)Aktivitäten seines Publikums gehören. Hier lebt eine Materialität des Kinos, Räume und Töne, mit denen sich die Filmräume und -töne messen müssen: die quatschenden Sitznachbarn, fummelde Pärchen, kommentierende Rufe, Lacher und Beifall, schmatzende Popcorn-Verzehrer, (zu) große Vor-Sitzende, das Brummen der Klimaanlage, Straßengeräusche, der Ton aus dem angrenzenden Multiplex-Saal, Fusseln im Projektor und »a hundred of other sounds that […]constitute an important component of cinema‘s social materiality« [9].

[10]Vgl. Taylor, J. / Johnson, M.R. / Crawford, C. G.: DVD demystified (Third Edition), New York, 2006, S. 4/3 (zum Buch gibt es eine online gestellte DVD-FAQ-Seite, die v.a. für jede Art von technischen Fragen rund um die DVD sehr empfohlen werden kann: dvddemystified.com

Die Anti-Originalität des Films findet eine bedienungsfreundliche Konsequenz auf DVD. Sich z.B. für eine bestimmte Sprache, für Untertitel, für einen Audiokommentar oder für andere Einflussnahmen durch Soundtracks oder alternative Versionen zu entscheiden, bestimmt den »Hauptfilm«, der uns erscheint. Der DVD Video-Standard erlaubt bis zu acht Tonspuren »to support multiple languages and supplemental audio« sowie bis zu »32 subpicture tracks for subtitles, captions, and more« [10].

Es ist interessant, dass auf dieser technischen Grundlage ein Filmexperiment, das im Kino noch in gewisser Weise scheitern musste, auf DVD (anders) realisiert werden konnte:

Mike Figgis:person:’ Splitscreen-Film TIMECODE (USA, 2000), der mit einem viergeteilten Filmbild vier parallel laufende Geschichten erzählt, hält die Gleichzeitig- und Eigenständigkeit der vier Filme im Kino nur visuell durch. Der Freiheit des Auges sollten die Ohren nicht folgen: Auf der Tonspur lenkte die geregelte Lautstärke des je betonten einzelnen Erzählstrangs die Aufmerksamkeit auf das betreffende Leinwandviertel. Erst mit der Wahl unterschiedlicher Tonspuren auf DVD und mit den möglichen Wechseln zwischen ihnen während des Filmverlaufs, erfüllt sich das Versprechen von TIMECODE. Mike Figgis hat diese Audio-Option der TIMECODE-DVD (Optimum Releasing, 2003) als »interactive version where you can listen to any one of the four movies in isolation« bezeichnet.

Was somit auf TIMECODE unter Special Features als »interactive audio mix« vorgestellt wird, ist das Ausspielen der in Menüs und auf Covern in der Regel ungenannten Möglichkeit, zwischen Sprachen, Audiokommentaren oder einem Isolated Musical Score im Filmverlauf zu springen. Das unausgesprochene Angebot eines »interactive audio mix« besteht z.B. auf VERTIGO. DIE HITCHCOCK COLLECTION (Universal, 2003) darin, sich beim »Hauptfilm« fortlaufend zwischen fünf Sprachen, zwischen der englischen, deutschen, französischen, italienischen und spanischen (Synchron-)Fassung entscheiden zu können. Tonschnitt mit dem Audio-Knopf der Fernbedienung: Ein Mischen der VERTIGO-Tonspuren fügt also potentiell den auf der DVD gespeicherten Sprach- bzw. Synchronfassungen eine aktiv zu kreierende sechste hinzu, quasi die (vermutlich nervtötende) Babylon-Fassung.

Wie Synchronfassungen durchaus andere Versionen jener Filme präsentieren, die sie vermeintlich nur übersetzen, hat u.a. Joseph Garncarz in seinem Buch Filmfassungen gezeigt. Eines der berüchtigsten Beispiele, die entnazifierte CASABLANCA-Synchronfassung der Dt. Mondial, kam 1952 nicht nur mit anderen Stimmen, sondern auch mit einer anderen Geschichte, anderen Charakteren (ohne Nazis, ohne Widerstandskämpfer Viktor Laszlo, dafür mit einem skandinavischen Erfinder Viktor Larsen) und um knapp zwanzig Minuten gekürzt ins Kino. Ähnliches dokumentiert die von Kinowelt 1999 produzierte DVD zu Roberto Rossellinis ROMA, CITTA APERTA. Sie bietet unter dem Menüpunkt »Dokumentation: Deutsche Synchronfassung im Vergleich zur italienischen Originalfassung« eine Gegenüberstellung von vier Szenen, eingeleitet mit: »1950 wurde die Aufführung des Films ‚`Rom, offene Stadt`:film:‘ in Deutschland verboten. Erst 1961, 15 Jahre nach seiner Premiere, gelangte der Film in einer deutschen Synchronfassung in die deutschen Kinos. Anhand ausgewählter Szenen soll hier gezeigt werden, wie eine bewusst verfälschende Übersetzung die Untaten der Deutschen verharmlosen soll.«

Ein spezieller Fall von Film-Vermittlung: Was hier in einem eigenständigen Extra vorgeführt wird, ist jederzeit ebenso durch die Wechsel der Tonspuren im laufenden Film zu erfahren – und auf besonders drastische Weise auch durch die wählbaren deutschen Untertitel, die somit die deutsche Synchronfassung im Moment ihres Erscheinens gleichsam re-zensieren. Die Kommentare zu einer unsichtbaren Folter, die in der deutschen Synchronfassung zu »Unsere SS-Leute tun das nur um ihrer Ideale willen.« – »Ja.« hingebogen werden, sind in den Untertiteln als Übersetzungen der italienischen Sprachfassung zugleich so zu lesen: »Wie diese Italiener immer schreien!« – »Stimmt.« Ein Ringen um den Dialog: Außergewöhnlich klar demonstrieren hier Synchron- und Untertitelfassung ihre Eigenständigkeit als ein je anderer Film, der im Zusammenspiel von Synchronisierung und Untertitel ein paradoxer dritter wird.

Anti-Originalität und Informationspolitik

Ich verstehe solche Angebote von Variabilität als eine Zuspitzung der anti-originalen Eigenschaft des Films – jener Eigenschaft des Films, an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises zu setzen, und dabei stets für Veränderungen offen zu bleiben. Selbst wenn wir als »den Film« oder »the main text« auf DVD der Einfachheit halber das verstehen wollen, was sich nach dem Menübutton »Play« oder »Film starten« zeigt: Welche Tonspur oder Untertitel wollen wir dabei als »main text« gelten lassen? Mehrere oder nur eine? Jene Ton- oder Untertitelspur, die sich dank des entsprechend unter Language Setup eingestellten DVD-Players zeigt? Jene Ton- oder Untertitelspur, die wir (wer?) im Kino gesehen haben? Hier öffnet sich unweigerlich die Diskussion um das filmische Original – der Rückzug auf »den Film auf DVD« beendet diese Diskussion nicht, er entfacht sie neu.

[11]Cover-Angabe der TWISTER-DVD; Warner Home Video, 1997

Die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Bildformaten eines Films bedeutet – wie z.B. auf TWISTER, einer der ersten DVDs vom März 1997 – eine Wahl zwischen zwei Filmen unterschiedlichen (Bild-)Inhalts: Film eins präsentiert sich im Breitwand-Format, als »Widescreen Version« mit den berühmten schwarzen Balken ober- und unterhalb des Filmbildes, »[p]resented in a ‚letterbox‘ widescreen format preserving the 2.35:1 ‚scope‘ aspect ratio of the original theatrical exhibition«; Film zwei hingegen läuft als »Standard Version«, als 4:3-Fassung, »formatted from its original version to fit your screen« [11]. Für die letztere der beiden Versionen ist der Film nach dem Prinzip des Pan-and-Scan für das 4:3-Fernsehformat bearbeitet worden, indem vom linken und/oder rechten Bildrand eben soviel gestutzt wird, dass ein Ausschnitt im Verhältnis von 1,33:1 übrig bleibt. Wie sollte also ein Bildverlust von fast 50%, wie im Fall von TWISTER und ERASER, nicht zu einem zweiten, anderen »Hauptfilm« führen?

Auf TWISTER wird z.B. bei der »Standard Version« (1,33:1) nach 26 Minuten und 50 Sekunden Laufzeit in einer Einstellung mehrfach zwischen Helen Hunt und Bill Paxton zunächst hin- und hergeschwenkt und später auch -geschnitten. Die gleiche Szene in der »Widescreen Version« (2,35:1) kennt weder Schwenk noch Schnitt. Sie zeigt Hunt und Paxton lange an den beiden äußersten Bildrändern. Fast nicht mehr in einem Bild. Damit erzählt die Mise en scène, so könnte man denken, von einem räumlich distanzierten Beisammensein, von Trennung und Miteinander, wovon die Schnitte und Schwenks der »Standard Version« so nicht handeln können oder wollen. Das Pan-and-Scan-Verfahren schwenkt mithilfe des von 20th Century Fox entwickelten Finder Frame innerhalb des zu kopierenden Filmbildes und schneidet during the printing operation, um für den kleineren Rahmen eben jene Teile des Breitwandbildes zu retten, die man (wer eigentlich?) als wesentlich (was wäre das?) erachtet. Das Filmbild ist ein Selbstbedienungsladen. Eine zweite, »kleinere« und auch sonst mehrfach andere Version wird hergestellt, ein auf anscheinend unbekümmert technokratische Weise zensierter bzw. re-inszenierter Film entsteht.

So gewinnt die Differenz zwischen Letterbox- und Pan-and-Scan-Versionen, die John Belton in Widescreen Cinema diskutiert hat, neue Brisanz auf DVD, weil hier beide Formate und damit beide Filme zum ersten Mal in der Filmgeschichte auf einem Datenträger, auf einer Disc, verkauft werden. Eine Vermittlung von Film und Filmgeschichte nach den Möglichkeiten des neuen Mediums: Die Differenz wird lebendig, indem sie als Wahlmöglichkeit (im Menü) vor uns tritt und wir uns zwischen beiden Formaten entscheiden müssen.

Was auf/durch DVD erscheint, vermittelt so auch, dass »der Film auf DVD« weder eine fixe Größe ist noch unbedingt identisch mit einer Fassung, die an irgendeinem Ort zu einer bestimmten Zeit in einem Kino gezeigt worden ist. Stattdessen zeigt sich unser »Hauptfilm« (in der Regel) ausdrücklich abhängig von zu treffenden Entscheidungen derer, denen dieser Film als in programmierten Grenzen zu formender Inhalt einer DVD verfügbar gemacht wird.

[12]Plank, Uli / Köke, Thomas: DVDs produzieren und gestalten, Bonn, 2002, S. 337
[13]Hu, Brian: »DVD Deleted Scenes and the Recovery of the Invisible'«, in: Continuum: Journal of Media & Cultural Studies, Vol. 20, Nr. 4, 2006, S. 501

More than just the movie war die DVD damit von Beginn an auf mindestens zweierlei Weise: Erstens indem zusätzliches audiovisuelles Material auf der Disc gespeichert ist – und zweitens, indem »der Film« auf genau dieser Grundlage zur Disposition gestellt wird. Er ist unter bestimmten Bedingungen variabel, eine im mehrfachen Sinne verhandelbare Größe. Zu den wesentlichen technischen Grundlagen dieser Variabilität gehört das Multiplexing, jener Prozess, »bei dem mehrere Signale oder Datenströme zusammengefasst werden, […] insbesondere das Zusammenfassen der Video-, Audio- und Subpictureströme« [12]. In diesem Sinne wäre Brian Hus Hinweis zu lesen, die DVD sei kein lineares Medium, vielmehr ein Datenspeicher »not measured in terms of time, but in terms of capacity: gigabytes« [13].

Aber was ist in diesem Speicher vorrätig? Dass zahllose Features – vor allem Making Of-Filme und Audiokommentare – vom Filmemachen handeln, die uns als »film school in a box« darüber Auskunft versprechen, was wer wie in der Filmproduktion geleistet hat, erzählt noch eine andere Geschichte: Diese handelt nicht nur von paradoxen Insider-Gesten, offenen Geheimnissen, Experten-Expertisen, Gags, spannenden Beobachtungen und von jeder Menge PR. Die Features stellen; auch eine Antwort auf das dar, was man die Dringlichkeit der Flexibilisierung nennen könnte: Was passt besser zu den Anforderungen einer »Informationsgesellschaft«, zum Aufruf permanenter Weiterbildung und dem politischen Programm »Lebenslanges(!) Lernen« als ein Angebot, mit dem auch die unverdächtigste Unterhaltungsware per Knopfdruck in eine Art Bildungsquelle verwandelt werden kann! Was Michael Loebenstein »Informationszugangs-Phantasma« [#Phantasma« _ genannt hat, führt auf den unterschiedlichsten DVDs eine modellhafte Existenz. Diese Informationspolitik ist und verdient eine ganz eigene Form von Filmvermittlung.