Filmvermittlung und Filmkritik

Katja Nicodemus über audiovisuelle Filmkritik

Fünf Fragen an Katja Nicodemus

Welches war Ihre erste filmkritische Arbeit in audiovisuellen Medien? Wie kam sie zustande?

Eine Filmkritik für den WDR, einen so genannten Filmtip, zu Abel Ferraras Vampirfilm The Addiction. Sie kam zustande, weil ich den Redakteur Helmut Merker auf Festivals kennen gelernt hatte. Er schlug mir Ferraras Film vor, weil er mitbekommen hatte, dass ich Ferrara als Regisseur mochte.

Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen dem Arbeiten für Print und dem Arbeiten in audiovisuellen Medien?

Das Argumentieren mit Sprache und das Argumentieren mit Bildern.

Beim geschriebenen Text ist das Schöne die absolute Freiheit der Argumentation, des Aufbaus, der Beschreibung.

Bei einer audiovisuellen Filmkritik sollte nur zur Sprache kommen, was von den Bildern einigermaßen belegt und »getragen« wird. Das schränkt die Komplexität ein, bietet aber die Chance, das Kino mit seinen eigenen Mitteln zu beschreiben und zu kritisieren.

Die geschriebene Filmkritik kann springen, rekurrieren, weit Entferntes evozieren, Exkurse unternehmen, in ihrer Länge einen eigenen Rhythmus und Sound entwickeln.

Bei einer filmischen Filmkritik muss sich die Sprache an den Bildern und am Rhythmus des Schnittes orientieren. Natürlich ist vorstellbar, auf einem Filmild im Fernsehen über Gott und die Welt zu sprechen, dann würde man die Bilder aber nur als »Trampolin« benutzen. (Wir sprechen hier ja nicht über einen assoziativen Essay, sondern über eine Filmkritik, die im Fernsehen versucht, etwas über Form und Inhalt eines Films zu vermitteln).

Ein weiterer, einfacher, aber doch entscheidender Unterschied ist die Arbeit alleine vor dem Bildschirm und im Schneideraum mit einem Cutter oder einer Cutterin. Bei einer Filmkritik fürs Fernsehen ist man schon bei der eigentlichen Entstehung/Produktion gezwunden, Ideen, Aufbau und Gedankenführung mindestens einer zweiten Person darzulegen.

Cutter/Cutterin ist nicht nur die Instanz des technisch Möglichen und Nichtmöglichen (wenn die Bildachse springt, der Rhythmus nicht stimmt, geht der Schnitt eben nicht und gegebenenfalls auch nicht der Filmauschnitt und der damit verbundene Text) – sondern auch schon der erste Zuschauer, der die Filmkritik mitformt, eigene Ideen eingibt und mit dem Autor ein Mini-Team bildet.

Welche Kriterien haben Sie für die Wahl der Ausschnitte? Wie greifen Sie in das Material ein?

Es gibt zwei Kriterien. Das eine ist: Material, das die inhaltliche, thematische Ebene des Films beschreibt: Welche Geschichte wird erzählt, welche Figuren gibt es, worum geht es überhaupt?

Das andere: Material, das zur Beschreibung der formalästhetischen Eigenheiten des Films dient. Also Ausschnitte, die eine bestimmte Kameraführung, einen Schnitttrhythmus, eine Farbdramaturgie, kurz: eine Ästhetik verdeutlichen.

Natürlich sind beide Arten des Zugriffs auf das Material nicht streng zu trennen, geht ein Kriterium ins andere über.

Der Eingriff ins Material besteht in der Auswahl von Ausschnitten und Standbildern. Möglichst sollte nicht innerhalb einer Szene geschnitten werden. Und das Material sollte so ausgewählt werden, dass nicht auf Dialoge gesprochen werden muss. Treffen Ausschnitte aus verschiedenen Filmen zusammen kann/sollte man das mit einer Schwarzblende markieren.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle erwähnen: Diese Antworten beziehen sich auf die filmkritische Arbeit beim WDR, initiiert von dem Redakteur Helmut Merker. Helmut Merker hat diese in der heutigen Filmkritik im Fernsehen absolut nicht selbstverständlichen Standards gesetzt und hielt es zum Beispiel auch für selbstverständlich, dass nur Filme besprochen werden, von denen der Autor das gesamte Material zur Verfügung hat, um frei argumentieren zu können und sich nicht zum verlängerten Arm eines Presseagenten zu machen, der Ausschnitte vorauswählt und verschickt.

Über welchen Film würden Sie gerne eine filmische Filmkritik machen? Wie sähe diese Filmkritik aus?

Christian Petzolds Film Jerichow. Petzolds Filmen liegen immer »Referenzfilme« zugrunde, die mehr oder weniger indirekt in die neue Arbeit einfließen. Schön wäre es, eine Fernseh-Filmkritik zu verfassen, in der man diese Referenzfilme, die Petzold zur Vorbereitung mit seinem Team anschaut, auch in Ausschnitten zeigt, bzw. vorführt, wie die Filme Szenen, Gestik, Schauspielerhaltung, eine Stimmung oder ein Licht geprägt haben. Man könnte also die »Vor-Bilder« zeigen – im Fall von Jerichow wären das unter anderem Ossessione und Wenn der Postman zwei Mal klingelt.

Welche Ihrer Arbeiten halten Sie für einsetzbar in pädagogischen Zusammenhängen von Filmvermittlung? Warum?

Ich denke, die beiden Porträtsendungen A prairie home companion (2007) und »Yiyi« – Ich sehe was, was du nicht siehst (2001) sind ganz interessant, da beide etwas ausführlicher in das Werk der Regisseure (Robert Altman und Edward Yang) eintauchen und auch auf frühere Werke Bezug nehmen.

Können Sie uns eine Auswahl von fünf Ihrer (liebststen) Arbeiten nennen?

Ich habe, ehrlich gesagt, keine liebsten Arbeiten unter den Filmtipps. Besonders viel Freude hat mir die Sendung Das Kino in der Wüste – von Roy Rogers bis George Clooney gemacht. In dieser Sendung wird die Geschichte des realen Las Vegas mit seiner Darstellung im Film verglichen: Was hat die Traumfabrik mit der Geldfabrik angestellt? Welche Mythen hat sie aufgenommen und weiter gesponnen? Es war einfach toll, zu sehen, wie sich der Wahnwitz dieser Stadt über die Jahrzehnte im Kino spiegelt.