Filmvermittlung und frühes Kino

»Le grand Méliès« von Georges Franju

Le grand Méliès ist ein kleiner nostalgischer Film, eine melancholische Hommage. Die Anfangssequenz zeigt die Witwe von Georges Méliès, Madame Georges Méliès, erst von außen, dann von innen an einem Fenster eines freistehenden Hauses aus dem ersten Stock hinaus blickend auf einen Park, wo es regnet und herbstlich neblig ist. Ein Kind war auf einem Steg über einen Bach dort draußen gehuscht; eine Erscheinung. Ein Blick auf die vorbeigehuschte Jugend, getragen von schwermütiger Musik, und im Gegenschuss dreht Madame Georges Méliès sich um zum Klavier, an dem, ihr und der Kamera den Rücken zugekehrt, ein Mann einen kleinen Walzer spielt. Der Mann am Klavier, das sei Georges Méliès... aber..., nur fast..., sagt der Off-Kommentar: Es ist der echte Sohn, der den toten Vater für diesen Film und den Gegenschussblick der echten Witwe darstellt. Georges Franju, der die Cinématheque Française mitgründete und tolle Filme in vielen Genres machte, hat diesen Film 1952 inszeniert. »Orly Herbst 1937« sagt der Eingangstitel. Ein Jahr vor Méliès' Tod.

Die Art, in der die folgenden Epsioden zur Kunst- und Künstlererzählung verklammert werden, ist bisweilen den Verfahren der Filme von Méliès entlehnt. Wenn zwei Jungs 1928 in der Bahnhofsstation von Montparnasse vom vergessenen Méliés verzaubert, die Treppenstufen durch Filmtrick rückwärts herauflaufen. Wenn am Ende des Schwenks fort vom klavierspielenden Sohn das Interieur der Wohnung der Witwe gezeigt wird – Kissen, Stühle, Objekte, überladene Möbel des 19. Jahrhunderts –... allesamt verschwinden sie nach Überblendungen und übrig bleiben kaum mehr die Umrisse der Wandbilder, die sich als verblichene Spur abzeichnen auf den Tapeten.

George Franju, »Le grand Méliès« (F 1952)

George Franju, »Le grand Méliès«

In dieser Vanitas-Szene ist die Bestimmung des Films von Franju eingesenkt. Es geht um das Verhältnis zu vergangenen Zeiten. Deshalb, weil die Zeit so weit zurückliegt, braucht es auch noch eine weitere Etappe, einen herleitenden Übergang, ins Jahr 1928, kurz vor der Wiederentdeckung der Filme von Georges Méliès durch die Surrealisten, bevor der Film sein Ziel erreicht, in der Zeit landet, aus der heraus Méliès agiert, dem Ende des 19. Jahrhunderts. Ohne den Kinematographen, ohne Méliès, sagt der Film implizit, blieben davon nur sich verblichen abzeichnende Spuren auf Tapeten.

»On sent derrière chaque image la tendresse, l'émotion du cinéaste qui se souvient du premier enchanteur du cinéma. Franju en replaçant Méliès dans un cadre d'époque plutôt que dans un décor, a volontairement fait une oeuvre attendrissante et désuète, comme une photo de famille.« (F. Porcile)

Dieser episodisch strukturierte Film setzt diese kleinen Zeitinseln als zweifachen Prolog vor sein Hauptgeschehen, dem er sich nun in einer kontinuierlich beherzten und der Gegenwärtigkeit dieses Vergangenen sicheren Erzählbewegung widmet. Die Schaffenszeit von Méliès wird gezeigt in einer kontinuierlichen Abfolge von stummen Szenen, die aus dem Off kommentiert werden. Dokumentarisches wird mit Erklärendendem wird mit Inszeniertem wird mit Ausschnitten aus den Filmen von Méliès verklammert. Méliès' Sohn als der Zauberer Georges Méliès in seinem Theater. Méliès spricht mit Louis Lumière. Méliès bastelt sich seinen eigenen Projektor. Méliès erfindet Filme. Méliès betrachtet die Zuschauer, die seine Filme betrachten.

Filmografie