Filmvermittlung und frühes Kino

Before the Nickelodeon
Charles Mussers Film über das Kino Edwin S. Porters

Before the Nickelodeon. The Cinema of Edwin S. Porter dokumentiert die (Film-)Karriere von Edwin S. Porter, Angestellter Thomas Alva Edisons, als die eines der sogenannten »Pioniere« des frühen Kinos. 1991 veröffentlichte Musser sein gleichnamiges Buch zu Porter. [1]

[1]Charles Musser: Before the Nickelodeon. Edwin S. Porter and the Edison Manufacturing Company. Berkeley, Los Angeles und Oxford: University of California Press 1991. Das Buch ist auf den e-scholarship-Seiten des Verlags im Volltext zu lesen. (30.5.2008)

In mehreren durch Zwischentitel getrennten Kapiteln zeichnet der Film Porter als Protagonisten des frühen Kinos, der während der entscheidenden technischen Entwicklung der Apparaturen, der kommerziellen und vor allem erzähltechnischen Neuerungen des »frühen Kinos« zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sei. Zahlreiche von Porters Filmen, wie bspw. der legendäre The Great Train Robbery (1903), Jack and the Beanstalk (1907) und Life of an American Fireman (1903) sind währenddessen von illustrierender Musik und nachahmenden Toneffekten unterlegt zu sehen. Die Filme werden zudem aus dem Off kommentiert. Ein Text Mussers ist zu hören, den Blanche Sweet spricht, eine zur Zeit der Veröffentlichung des Films 86-jährige Schauspielerin. Hinzu kommen zahlreiche weitere Stimmen, die zumeist zeitgenössische Texte zur Rezeption und Produktion der Filme Porters zitieren. Unter ihnen finden sich ausnehmend Prominente, so bspw. Louis Malle (der mit französischem Akzent aus einem Bericht von Georges Méliès über seine Arbeitsweise zitiert), Milos Forman, Robert Altman. Wenn keiner der Filme Porters gezeigt wird, sieht man andere zeitgenössische Dokumente: Fotografien, Werbegrafiken, Zeichnungen.

Besonderen Fokus richtet der Film auf die Bedeutung Porters für die Entwicklung filmischer Erzähltechnik. Die »Erzählverfahren« in Porters Filmen werden von Musser hergeleitet aus Porters Arbeit als Kompilator von dokumentarischem (Nachrichten-)Material, dem das frühe Kino als »visual newspaper« seine erste Popularität verdankt. So war Porter in Edisons Company für die Zusammenstellung von dokumentarischen Aufnahmen aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) zuständig. Die einzelnen Aufnahmen verschiedener Kameramänner wurden von Porter in eine logische und nachvollziehbare Reihenfolge gebracht und in Kinos im ganzen Land verbreitet. Die kompilierende Organisation von aufeinander folgenden Sequenzen begreift Musser als eine (Vor-)Form des funktional erzählerischen Filmschnitts.

Die Popularität dieser visuellen Berichte von einem für das US-amerikanische Nationalempfinden wichtigen Ereignis führte dann auch zu filmischen Nachstellungen (re-enactments) von historischen und den Publikumserwartungen angemessenen Szenen. Aus diesen Bedürfnissen, so Musser, entstehe in Porters Filmen das Nebeneinander (»juxtaposition«) einzelner Einstellungen. Musser leitet die Filmen zugrunde liegende Erzähllogik aus der reichhaltigen visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts ab, so bspw. vom Comic Strip, indem er zeigt, wie Porter Szenen aus Bildgeschichten übernimmt. Ein weiterer Einfluss auf Porter ist in den Filmen von Georges Méliès zu finden. Aus Méliès' Film Le voyage dans la Lune werden Ausschnitte gezeigt. Die Ähnlichkeit zu Méliès' Sujets und Erzählweise zeigt sich u.a. in Porters Jack and the Beanstalk (1902).

Aus heutiger Sicht und mit der Gewöhnung an die Dominanz des Storyfilms ist das Problem, vor dem Porters Erzählverfahren steht, die ineinandergreifende Sukzession und die Simultaneität von Handlungen nachvollziehbar zu erzählen. Porter stehen dabei die erst einige Jahre später von David W. Griffith verwendeteten Verfahren match cut und Parallelmontage noch nicht zur Verfügung. Bei Porter überlappen sich daher die einzelnen Einstellungen von ein und derselben Szene, sie »wiederholen« sich sozusagen. Die Ungewöhnlichkeit dieser überlappenden Wiederholungen stellt Mussers Film aus, indem er eine »moderne« Version von Porters Life of an American Fireman mit Porters Version von 1903 kontrastiert. Die »moderne« Version arbeitet mit match cut und Parallelmontage, Handlungen erscheinen dadurch kontinuierlich und weich ineinander gleitend. In der Version Porters, der das gleiche Material zugrunde liegt, wirken die Handlungen dagegen wie verdoppelt.

Musser zitiert dazu u.a. aus einer Äußerung von Adolph Zukor, dem späteren Arbeitgeber Porters und Präsidenten von Paramount, der ihn als bedeutsamen Techniker, nicht als »Künstler« des Films ansah: »Porter was, I have always felt, more of an artistic mechanic than a dramatic artist.«

Der Film ist in der englischsprachigen Originalversion als DVD von »Kino International« als auch bei der britischen BFI erhältlich.