Kino im Fernsehen: WDR

Ich bin eher Minimalist

Gespräch mit Sven von Reden über die Arbeit an Beiträgen zum »Kinomagazin« von 3sat

Am 26. März 2008 trafen wir Sven von Reden in Köln, um mit ihm über seine Arbeiten für die Sendereihe Kinomagazin zu sprechen. Das Kinomagazin ist die regelmäßige Sendereihe zum Kino bei 3sat, produziert vom WDR in Köln. Den Reihentitel gibt es seit 1990. Von 1990 bis 1993 wurde das Kinomagazin bei 1 Plus, seit 1993 wird es sechsmal jährlich bei 3sat ausgestrahlt. Die Sendungen sind zwischen 30 und 60 Minuten lang und beschäftigen sich mit aktuellen Filmen, Filmschaffenden oder Themen aus der Filmgeschichte; in den letzten Jahren auch häufig mit Grenzgängern des Kinos aus der Bildenden und audiovisuellen Kunst. Bis heute wurden über 100 Sendungen produziert. Redakteur der Sendung ist seit 1990 Reinhard Wulf. Sven von Reden lebt in Köln und arbeitet als freier Filmkritiker und -redakteur für Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen und Festivals. Das Gespräch führten Michael Baute und Stefan Pethke.

Du kommst eher vom Schreiben. War dein erster Film fürs »Kinomagazin« auch dein erster Film? Oder hast du so was schon vorher gemacht?

Ich bin durch Zufall dazu gekommen. Ich habe Reinhard Wulf in Wien bei der Viennale kennen gelernt. Es gab dort eine Retrospektive von Emile de Antonio, über den ich meine Magisterarbeit geschrieben hatte. Auf der Viennale habe ich Einführungen in die Filme gegeben und eine Diskussion geleitet. Dann saß ich irgendwann neben Reinhard Wulf. Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, für ihn zu arbeiten. Ich habe dann ein Praktikum bei ihm gemacht, um überhaupt mal die Grundlagen zu erhalten. Das erste Projekt mit Christian Petzold [1] kam dann auch zustande, weil ich ebenfalls mal ein Praktikum bei Christian Petzold gemacht hatte und ihn daher ein bisschen kenne. Petzold hat Reinhard Wulf und mir zwei Tage lang mit Engelsgeduld als Interviewpartner zur Verfügung gestanden. Das waren dann 6 oder 7 Stunden Interview mit ihm; nur ein kleiner Teil davon ist jetzt in der Sendung.

[1]Passagen – Der Filmemacher Christian Petzold, 27. September 2005

Der Ansatz von Reinhard Wulf hat mir sofort zugesagt. Es ist ja wichtig, dass man diesen Minimalismus auch selber mag. Es ist ja nicht so, dass ich mir die Form des Kinomagazin ausgedacht hätte, die steht im Prinzip. Auf Kommentar wird verzichtet und oft gibt es einen einfachen Wechsel von Interview und Filmausschnitten. Seltener dokumentieren Sendungen Drehbesuche oder sind eher dokumentarische Porträts der Filmemacher. Ich habe Spaß daran entwickelt, diese simple Form so genau wie möglich zu machen. Das ist auch der Anspruch von Reinhard Wulf. Wenn man viele DVD-Extras schaut, die formal ähnlich scheinen, dann merkt man schnell, wie schlecht das meist gemacht ist. Das fundiert zu machen und die Sachen bis in die kleinste Kleinigkeit genau abzustimmen, hat sich als verdammt schwierig herausgestellt.

Bei den schlechten Beispielen fällt das besonders auf. Das schlechte Licht, das Verhältnis zwischen dem Gesagten und dem, was man zeigt. Was sind das für Punkte, an denen sich entscheidet, ob etwas genau oder nicht genau ist?

Ich finde nicht so gut, wenn ein Filmemacher konkret über eine Szene redet, weil es dann immer eine Dopplung gibt. Der Filmemacher erzählt dann immer zwangsläufig etwas, was man sowieso sieht. Wenn der Filmemacher aber ganz abstrakt etwas sagt, was sich dann wirklich konkret in einer Szene festmachen lässt, ist das immer am schönsten. Das hat mit der Eigenleistung des Zuschauers zu tun. Dem Zuschauer wird es einerseits leichtgemacht, weil er auf etwas hingewiesen wird. Aber er muss trotzdem auch selber etwas erbringen: die Vermittlungsleistung zwischen dem Abstrakten, was gesagt wurde, und dem konkreten Bild. So etwas versuche ich herzustellen.

[2]Import Export. Das Kino des Ulrich Seidl, 23. Oktober 2007 und Die heitere Apokalypse. Der Filmemacher Roy Andersson, 26. Februar 2008
[3]Bruderkrieg. Ken Loach und sein Film »The Wind That Shakes the Barley«, 19. Dezember 2006

Es gibt Filmemacher, bei denen sich das sehr gut verwirklichen lässt. Die letzten beiden Sendungen habe ich über Ulrich Seidl und Roy Andersson gemacht. [2]. Da ging das super. Beide haben sich sehr gut für das Kinomagazin geeignet. Während es bei Ken Loach zum Beispiel schwierig war [3]). So toll er als Interviewpartner ist – die Filme eignen sich nicht wirklich gut für diese Art von Sendung. Da ist zuviel Plot. Man muss ständig Inhalt erklären. Es sind einfach nie Bilder da, die für sich stehen könnten, sondern alles ist immer in einen Kontext eingebettet. Es ist schwierig, so etwas mit so einer Sendung zu vermitteln ohne einen eigenen Off-Kommentar. Wenn der Zuschauer sieht, dass da ein Streit zwischen zwei Figuren ist, dann interessiert ihn ja nicht, wie der Ort dargestellt ist. Da muss man dann über diesen Konflikt reden. Das geht bei einem Filmemacher wie Ulrich Seidl viel besser. Da sind viel mehr freie Flächen, die visuell und nicht nur über die Geschichte funktionieren.

Kann man sagen, dass es ein Kino gibt, das einfacher zu vermitteln ist? Ein Kino, das vielleicht stärker in einer »künstlerischen« Tradition steht. Während das Kino von Ken Loach als Kino schwieriger zu vermitteln ist, weil es stärker in einer narrativen Tradition steht?

Es kommt natürlich immer auf die Art der vermittelnden Sendung an. Mit dem Kinomagazin ist so was Narratives schwieriger zu vermitteln. Das geht leichter beim WDR-Filmtip, bei dem ja eine visuelle Filmkritik geliefert wird, und wo der Kritiker, der etwas analysiert, viel mehr im Mittelpunkt steht. Beim Kinomagazin dagegen steht der Filmemacher im Mittelpunkt und alles muss sich aus sich selbst heraus erklären.

Du kommt aus der Uni und aus der Print-Filmkritik. Welche Unterschiede siehst du handwerklich zwischen dem Schreiben und dem Filmemachen? Was ist anders, wenn man fürs Fernsehen arbeitet?

Das hat fast gar nichts miteinander zu tun. Die Interviews sind zum Beispiel völlig anders, was auch an den Bedingungen des Printjournalismus liegt, wo ein Filmemacher oft nur für 20 Minuten zur Verfügung steht und das manchmal für zehn Journalisten gleichzeitig. Beim Kinomagazin sitzt man jemandem gegenüber und hat mindestens zwei, drei Stunden Zeit. Das ist schon mal was ganz anderes. Es unterscheidet sich aber natürlich auch die Art, wie man fragt. Wenn ich ein Interview mit einem Filmemacher für eine Zeitung mache, könnte ich das Ergebnis niemals für ein Kinomagazin verwenden. Und umgekehrt genauso. Ich habe versucht, das Petzold-Interview in ein Printinterview umzuwandeln und bin daran gescheitert. Zum einen ist die Masse schwer zu kondensieren. Zum anderen ist die Art des Fragens eine ganz andere. Man muss immer im Hinterkopf haben: Der Regisseur sagt etwas und danach muss ein Filmausschnitt zu sehen sein! Und wenn er irgendwas sagt, wo ich kein passenden Ausschnitt zeigen kann, oder wenn ganze Geschichten erzählt werden, die man nicht in eine Einstellung fassen kann, geht das alles nicht.

Wenn ich die Interviews vorbereite, stelle ich mir bei jeder Frage, die ich aufschreibe, selber die Frage, was für einen Ausschnitt man dazu zeigen könnte. Das muss ich bei Printmedien ja nicht. Beim Print hat man den Luxus, dass man völlig frei mit dem Material umgehen kann. Beim Fernsehen ist das anders. In der einen Antwort sagt der Befragte den Darstellernamen, in der anderen sagt er den Namen der Rolle oder den Figurennamen, dann kann man unter Umständen plötzlich die ganze Aussage nicht mehr benutzen – egal wie gut sie war.

Man korrigiert dann den Interviewpartner?

Man müsste. Aber man will auch den Fluss des Interviews nicht unterbrechen. Man muss das abwägen. Ich bin eher jemand, der das Gespräch fließen lässt. Ich denke, wenn die Chemie stimmt, kommen auch die besten Sachen raus. Man ärgert sich allerdings oft hinterher, nicht mehr nachgehakt zu haben.

Wie ist die Arbeit, die beginnt, wenn das Interview im Kasten ist? Wie wirkt die Redaktion mit rein? Wie sind die Strukturen der Zusammenarbeit?

Das Interview wird abgetippt. Dann schaue ich es mir an und überlege mir schon mal eine grobe Struktur. Und dann geht es in den Schneideraum. Beim digitalen Schnitt wird am ersten Tag alles eingelesen. Am zweiten Tag geht es richtig los und man schneidet einen Anfang. Reinhard Wulf schaut dann rein, er hat ja in dem Moment noch einen ganz unbefangenen Blick. Und dann heißt es vielleicht: »Ist ja fürchterlich! Alles noch mal neu!« Und dann macht man das neu. Wenn aber die ersten paar Minuten stehen, ergibt sich meistens von selbst, wie es weitergehen muss.

Wie kommt man auf den Anfang?

Ich finde, es müssen Aussagen sein, bei denen man das Gefühl hat, dass in diesen Sätzen im Prinzip schon der ganze Filmemacher zusammengefasst ist. Natürlich ist es auch gut, direkt ein starkes Bild für den Anfang zu finden.

Auch eine starke These?

Im Prinzip schon. Man sollte selber das Gefühl haben – und darin liegt dann auch die eigene interpretatorische Aufgabe –: Das fasst diesen Filmemacher besonders gut zusammen. Das stelle ich an den Anfang. Man hat natürlich auch im Hinterkopf, wie man von da aus thematisch irgendwo anders hinkommt. Es ist eine Puzzlearbeit, aber zugleich auch der schönste Teil an dieser Arbeit. Man weiß, dass das Material da ist und man muss es jetzt so zusammenbauen, dass es Sinn ergibt und einen Rhythmus hat.

Und das Verhältnis zwischen dem Interviewtext, den du ja teilweise schon grob auf dem Papier schneiden kannst, und den potentiellen Bildern? Beim Film über Christian Petzold verwendet ihr Ausschnitte aus »Gespenster«, aber auch aus vorherigen Filmen von Petzold. Wie entscheidet man, welche Ausschnitte man nimmt? Das fand ich beim »Kinomagazin« immer schlagend, welcher Ausschnitt genommen wird und wie lange er gezeigt wird und wie er im Austausch mit dem Interview funktioniert.

Es ist trial and error. Bei der Sendung über Petzold hatten wir zuerst einen ganz anderen Rhythmus. Alles war viel kürzer, sowohl die Ausschnitte als auch die Interviewpassagen. Viel mehr war auch ins Off gelegt. Wir waren eigentlich fast fertig, hatten es schnell hintereinander weggeschnitten. Und dann haben wir uns das Ergebnis ganz angeschaut. Da war dann erst mal Stille. Und dann haben wir im Prinzip komplett von vorne angefangen.

Bei der Petzold-Sendung ist mir klar geworden, dass der Filmemacher mit seinen Filmen eine gewisse Länge der gezeigten Ausschnitte vorgibt. Der Rhythmus der Sendung wird durch die Einstellungslänge im Film vorgegeben. Zudem hat Christian Petzold eine sehr interessante Redeweise: Er fängt immer an mit einer These, dann kommt eine Abschweifung, aber am Ende landet er wieder genau da, wo er angefangen hat. Man kann seine Antworten schlecht zusammenkürzen, es sei denn, man legt viel ins Off. Am Anfang hatten wir seine Aussagen zu sehr zerstückelt. Sobald wir den etwas langsameren Rhythmus hatten, hat es funktioniert.

Am liebsten behandele ich immer das ganze Werk eines Filmemachers. Aber obwohl wir bei Petzold das lange Interview hatten, waren nur 25 Minuten in diesem Stil möglich: Also zu jedem Thema immer Beispiele aus verschiedenen Filmen zu zeigen. In der letzten Viertelstunde haben wir nur noch mit Gespenster gearbeitet. An der Sendung finde ich die ersten 20 Minuten am stärksten. Ich hätte es gerne weiter so durchgezogen, aber das Material hat das nicht hergegeben. Weil der Anlass Gespenster war, war es aber auch völlig in Ordnung, die letzte Viertelstunde nur zu dem Film zu machen.

Bei der aktuellen Sendung über Roy Andersson habe ich es geschafft, im Prinzip immer drei Filme parallel laufen zu lassen. Das mag ich eigentlich am liebsten. Es geht dann nicht um die Vermittlung eines Films, sondern eines Regisseurs.

Wie bringt man die Leute dazu, etwas zu sagen, was sie noch nie gesagt haben? Ist das ein Ehrgeiz?

Es ist ja eigentlich eher gut, wenn man schon vorher weiß, was der andere sagen wird. Man kann dann viel besser planen und hat daher ein Sicherheitsgefühl. Ich frag jetzt das, und dann wird schon etwas in diese Richtung kommen – und dann bin ich auf der richtigen Seite. Wenn man das zu häufig macht, kann das für einen selber frustrierend sein, weil man sich nur wie ein Stichwortgeber vorkommt und auch ein bisschen falsch oder verlogen, weil man selber die Antwort ja schon weiß. Wobei es immer Überraschungen geben kann. Bei Roy Andersson hatte ich vorher in einem Interview von einem Schlüsselerlebnis gelesen. Als Dreijähriger war er mit seiner Mutter in einem Fischgeschäft, in dem die Verkäuferinnen alle geweint haben. Erst viel später hat er verstanden, dass in den Zeitungen, in die sie ihre Fische einwickelten, Fotos aus Bergen Belsen abgedruckt waren. Das war 1945. Als Kind hat er sich die ganze Zeit dafür schuldig gefühlt, dass die Frauen geweint haben. Wenn man seine Filme sieht, dann geht es in ihnen immer auch um den Holocaust. In seinem Büro war alles voller Bücher über den 2. Weltkrieg. Mir ist vor Ort erst richtig klar geworden, wie zentral das für ihn ist. Ich hatte die Geschichte also schon mal gelesen, und ich wollte sie auch für die Sendung von ihm erzählt bekommen. Aber als er sie dann erzählt hat, war das dennoch sehr ergreifend. Insofern kann es schon etwas anderes sein, wenn man live hört, was man schon weiß. Aber man versucht natürlich auch immer noch eigene Themen, die man als Kritiker mit sich rumschleppt, reinzubringen.

Was sind deine Themen?

Orte interessieren mich sehr. Ich würde gerne mal eine thematische Sendung machen. Zum Beispiel etwas über Drehorte: Wie gehen Filmemacher mit Räumen um? Dazu könnte man aus dem ganzen Material, das im Archiv liegt, eine tolle Sendung machen. Außerdem finde ich die Frage nach dem Verhältnis von Realismus und Künstlichkeit interessant. Gerade bei Seidl war das sehr spannend. Dieser Wechsel bei ihm zwischen totalem Realismus und der totalen Ästhetisierung. Wie das aufeinander prallt. Ich interessiere mich für Filmemacher, die sich über die Form viele Gedanken machen und da sehr auffällig sind.

Wie kommt es dann dazu, einen Film über Ken Loach zu machen?

Reinhard Wulf hat angerufen. Er sagte: Kurz vor Weihnachten ist eine Sendung, die noch nicht vergeben ist...

Wann war der Anruf?

Das war sehr kurzfristig, im November. Wir sind also die Liste der Kinostarts durchgegangen und Loach schien uns der geeignetste Kandidat. Für eine Sendung sind 1 1/2 Stunden Interviewmaterial eigentlich das mindeste, was man braucht. Bei Loach hatte ich eine Stunde und 40 Minuten. Einen Hollywood-Regisseur bekommt man nicht so lange. Deshalb geht es in den Sendungen auch meist um europäische Filmemacher. Loach ist natürlich auch schon ein großer Name. Aber wir haben einfach mal angefragt. Und das hat geklappt. Sein Film war mitfinanziert von der Filmstiftung NRW, was sicherlich geholfen hat.

Als ich The Wind That Shakes the Barley dann zum ersten Mal gesehen habe, fand ich ihn schön, aber er lag mir nicht sonderlich am Herzen. Je länger ich mich mit dem Film beschäftigt habe, desto begeisterter war ich, besonders von der Regie. Die Auseinandersetzung mit dem Film hat meinen Respekt vor Loach noch mal erhöht. Das ist das Tolle bei der Arbeit fürs Kinomagazin: Die Durchdringung des Materials ist intensiver, als wenn ich etwas schreiben würde. Man würde denken, das sei umgekehrt. Aber um sich auf ein so langes Interview vorzubereiten, schaut man die Filme drei-, viermal und sieht dann einzelne Szenen im Schnitt noch öfter. Das ist etwas ganz anderes als der journalistische Alltag.

Man macht sich mit dem ganzen Werk vertraut. Bei Ken Loach hat man da eine ganze Menge zu tun.

Deshalb haben wir da auch schon zu Anfang gesagt: Nur der eine Film. Ich habe zwar noch 5 oder 6 weitere Filme aus allen Phasen geschaut und kurz überlegt, ob man die auch noch einbezieht. Aber bei einem so kurzen Interview ist es besser, sich auf den einen Film zu konzentrieren. Und das Interview lief auch super: Genau als ich meine letzte Frage gestellt hatte, kam die Betreuerin und sagte: Ende, aus.

Inwiefern spielen bei solchen ökonomistischen Argumenten die Rechtefragen mit rein?

Da bin ich eigentlich erstaunt, wie unproblematisch das bisher war. Bei einem aktuellen Film wird dem Produzenten oder Verleih vorher klar gesagt, dass die Sendung nur zu Stande kommt, wenn der ganze Film zur Verfügung steht. Normal ist ja heute, dass man nur die Ausschnitte kriegt, die die Verleiher auswählen. Das wird also vorher geklärt. Bei Andersson war das gar kein Problem. Sein letzter Film war eine ZDF/arte Produktion, der aktuelle ist von WDR/arte produziert worden. Auch bei Ulrich Seidl war unproblematisch, weil er die Sachen selber produziert.

Wie ist dein Verhältnis zum Umgang mit Kommentartexten?

Kommentartexte sind selten gut: Besser gar nicht damit anfangen! Es gibt so wenig Leute, die das können. Mich nerven zum Beispiel auch die neueren Filme von Godard. Mich überfordert das, wenn man ein Bild sieht und den essayistischen Text hört und noch Texteinblendungen liest, alles zugleich. Ich mag das nicht. Ich bin eher Minimalist. Mir ist es lieber, ich kann mich auf das Bild konzentrieren und ich muss nicht noch 35 Sachen parallel verarbeiten. In dem Genre sind auf jeden Fall tolle Sachen entstanden, aber ich bin da meistens kritisch.

Ich bin da hin- und hergerissen. Manchmal gibt es Sachen in diesen »komplizierten« Filmen, die mich direkt angehen. Ich verstehe sonst vielleicht nichts davon, aber da ist dann diese eine Sache, von der aus ich weitermachen kann, die mich kickt. Die restlichen Frustrationen sind mir dann egal. Aber oft ist man auch nur gelangweilt von den Autorenbemühungen. Vom Posieren.

Im WDR sind ja der Filmtip und das Kinomagazin die beiden Gegenpole. Beide haben ihre Berechtigung. Ich fände es interessant, die Sendungen, die über den gleichen Film gemacht wurden, nebeneinander zu stellen. Wenn man sie hintereinander guckt, sieht man, wo die Stärken und Schwächen der jeweiligen Form liegen.

Passt es in das Konzept des »Kinomagazin«, auch andere »Filmarbeiter« und nicht nur Regisseure zu porträtieren?

[5]Nuancen des Lichts. Der Kameramann Eduardo Serra, 15. Januar 2005

Sicher, es gab zum Beispiel eine schöne Sendung von Gerhard Midding über den Kameramann Eduardo Serra [5]. Da ist es ein bisschen aufgelockert. Serra zeigt Skizzen, die er für Beleuchtungen gemacht hat. Er sitzt auch teilweise am Fernseher und kommentiert Filmszenen. Das ist etwas abwechslungsreicher. Aber es ist so, dass auch diese ganz simple Form schon genügend Herausforderungen bietet. Man könnte sie sein ganzes Leben praktizieren.

Gibt es eigentlich Vorgaben oder Vorlieben, wie ein Interview gefilmt wird?

Da bin ich mir mit Reinhard Wulf einig: Ich finde es schlimm, wenn Leuten auf die Pelle gerückt wird. Keine Zooms, keine Ransprünge. Es bleibt im Prinzip immer eine feste Einstellung. Ich mag es, wenn man die Hände der Leute sehen kann. Daher werden die sitzenden Interviewpartner ungefähr bis zur Hüfte gezeigt. Dass man weiß, die können sich nach vorne beugen, die können gestikulieren und man muss die Cadrage nicht ändern, weil der Ausschnitt groß genug ist. Ich will nicht die Pickel und Poren im Gesicht sehen. Zuhause habe ich nur einen sehr kleinen Fernseher und dann denke ich manchmal, dass das dann doch ein bisschen weit weg ist. Man hätte es da dann gerne wieder etwas näher. Aber dann fehlen mir die Hände.

Der Unterschied zwischen Print und Fernsehen ist ja auch das Performative des Interviews. Ein abgedrucktes Interview gibt überhaupt keinen Eindruck davon, wie jemand wirklich wirkt. Ich habe amerikanische Geschichte studiert. Da wurde immer davon gesprochen, dass 1960 beim Rededuell zwischen Kennedy und Nixon im Fernsehen Kennedy gewonnen hat und im Radio Nixon, weil man im Radio nicht sehen konnte, dass Nixon total geschwitzt hat und Kennedy blendend aussah. Im Radio kamen immer die Argumente durch. Da war Nixon anscheinend besser. Genauso ist es bei diesen Sendungen. Man hört das Interview ab oder liest es und ist ganz beim Inhalt. Und dann sieht man es, und es ist etwas völlig anderes. Jemand kann recht banale Dinge sagen, aber wenn er gut rüberkommt, denkt man: Wow – da hat er aber wirklich was Profundes gesagt. Oder genau umgekehrt: Jemand sagt was ganz Tolles, es kommt aber einfach durch die Betonung überhaupt nicht rüber. Wichtig ist also, wie jemand wirkt. Roy Andersson zum Beispiel wirkt so wahnsinnig sympathisch, dass er eigentlich sagen kann, was er will. Bei Ulrich Seidl war es so, dass ich beim Lesen des Interviews seine Sätze gar nicht so bemerkenswert fand. Aber er hat sie sehr fundiert, ruhig, klar formuliert und in der Sendung kommt er sehr gut rüber . Deswegen kann man eigentlich auch nur mit dem Bild vor Augen schneiden. Der gedruckte Text kann das nicht wirklich wiedergeben.

Wie suchst du die Hintergründe für das Interview aus?

[6]Neue deutsche Welle. Die Filmemacher Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg, 2. Mai 2006

Das ist immer schwierig. Man muss sich an die Gegebenheiten vor Ort halten. Der übliche Bücherschrank ist dann meistens das Beste, was man finden kann. Es ist immer die Frage, ob man den Hintergrund so auswählt, wie auch die Filme sind. Bei Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg [6] haben wir das so gemacht: Hochhäusler wohnt in einem Plattenbau. Die Wände waren alle ganz karg abgeschabt und super minimalistisch. Ich dachte, dass das super zu den Filmen passt. Mittlerweile finde ich es eigentlich besser, wenn es da einen Kontrast gibt. Es ist immer gefährlich, wenn man versucht, die Form der eigenen Sache dem Gegenstand anzugleichen. Da kommt man schnell in die Bredouille. Das ist auch bei Texten so. Das können nur ganz wenige, in der sprachlichen Form die des Films nachzuahmen. Da finde ich es besser, wenn man seine eigene Form nimmt. Die kann ruhig anders sein als der Film.

Arbeitest du immer mit den selben Technikern?

Man arbeitet mit freien Leuten vor Ort. Sonst müsste man die Reisen mitbezahlen. Bisher hatte ich mit den Kameramännern kein Problem. Ich habe aber gehört, dass sie manchmal irritiert sind, dass sie nicht rumschwenken und zoomen sollen: »Wie, nur eine Einstellung? Ist doch langweilig.« Damit hatte ich bisher keine Probleme. Beim Dreh ist es anstrengend. Man sitzt da und hat den Monitor neben sich stehen. Man muss Fragen stellen und gleichzeitig noch im Auge behalten, was der Kameramann macht. Es gibt ja keinen zusätzlichen Regisseur, der da hinter dir steht. Du musst während des Interviews alles im Kopf haben.

Gibt es für die Interviewführung Vorbilder für dich?

Ich bin kein gelernter Journalist. Ich habe bei Interviews daher immer das Gefühl, etwas falsch zu machen. Letztlich ist die Erfahrung der beste Lehrmeister.

Ich versuche eigentlich immer, ein konfrontatives Element einzubauen, weil mir im Kulturjournalismus insgesamt zu viele Fans sind, die mit ihren Idolen reden. Ich fände es grundsätzlich gut, wenn auch Streit möglich wäre. Nur ist es halt schwierig, wenn der Interviewpartner dann zumacht. Man muss so was vorsichtig antesten. Jemand wie Ulrich Seidl ist das gewohnt. Der legt gewisse kritische Fragen so nah und hat sie schon so oft beantworten müssen, dass das kein Problem ist.

Ein konfrontatives Interview kann man auch besser für eine Zeitung machen als für das Kinomagazin. Die Sendung funktioniert nur bei einem totalen Austausch. Wenn man sagt, »ich finde das und das aus folgenden Gründen schlecht«, und der Regisseur reagiert dann mit, »ja, aber ich finde das gerade gut«, dann ist es schon deshalb schwierig, weil der Zuschauer die Frage ja in der Sendung nicht hört. Es wird also auf eine Kritik reagiert, die der Zuschauer nicht kennt. Ich sage zwar den Interviewten vorher, dass sie die Frage noch mal in der Antwort wiederholen sollen, aber das machen sie bei den ersten zwei, drei Fragen und dann ist es vergessen.

Außerdem ist bei Kritik ja das Problem, dass man über etwas redet, das nicht existiert. Und wo ist dann das Bild dafür in dem Film, über den man redet? Man kann schlecht darstellen, dass etwas nicht funktioniert. Bei den »Filmtips« ist das oft so. Diese Rhetorik: Dieser Film ist ›nicht‹ konventionell, ›nicht‹ psychologisch… Und man fragt sich die ganze Zeit: Ja, gut, aber was ist er dann?

Das ist das Problem: Wenn man minimalistisch arbeitende Regisseure nimmt. Es hat keinen Zweck darüber zu sprechen, was sie nicht machen. Am Anfang habe ich den Fehler gemacht, nach solchen Sachen zu fragen, weil das auch sehr konstitutiv ist und wichtig ist. Aber man kann das halt nicht bebildern. Das ist ein Nachteil dieser Art von Sendung.

Gleichzeitig ist es eine Übung in der Beschreibung dessen, was da ist. Das Bild ist ja da. Und wenn da wenig passiert, weil das ein minimalistischer Regisseur ist, dann wird sich das auch in der Beschreibung niederschlagen. Das mag ich daran. Das ist ein Punkt, der für diesen Ansatz spricht. Man kommt zum Reden über einen Gegenstand. Die Machart. Was viele Inhaltisten komplett ignorieren: Die Machart ist das, was entscheidet. Diese Ignoranz ist verblüffend. Das berühmteste Filmbuch aller Zeiten, »Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?«, hat auch eine Wie-Frage zum Titel. Zumindest im Deutschen.

Beim Kinomagazin ist es so, dass man aufpassen muss, nicht zu sehr in die Wie-Frage abzugleiten. Also: Wie es jetzt technisch gemacht wurde, welche Linse der Kameramann genommen hat, usw. Da sagt der Redakteur dann zu Recht, dass man das dem allgemeinen Zuschauer nicht vermitteln kann. Es ist schon wichtig, dass es kein Gespräch auf der rein technischen Ebene wird.

Das Wie ist aber nur eine andere Form des Warum.

Die Grenzen sind fließend. Für Roy Andersson ist zum Beispiel Tiefenschärfe unglaublich wichtig. Zu dem Thema habe ich interessante Sachen mit ihm besprochen, viel ist aber in der fertigen Sendung rausgefallen. Er fing an mit André Bazin, usw. – das wurde zu speziell.

Weil es nicht verankert ist. Es gibt hier keine Tradition, darüber zu sprechen.

In Frankreich würde so was vielleicht gehen. In Deutschland ist das schwierig.

In Frankreich würde man wissen, dass der individuelle Umgang mit der Tiefenschärfe wichtig ist. Jeder Zuschauer würde das wissen. Es ist aber nicht nur eine Frage des ›Was‹ und des ›Was nicht‹. Es hat auch einen medientechnischen Hintergrund. Denn viele Fernsehbilder sind flach. Wenn die Leute also keine Alternativen kennen, kann man auch keine Alternativen diskutieren.

Wieso kommt denn Kino im Fernsehen eigentlich immer weniger vor?

Kino im Fernsehen gilt als Quotenkiller. Warum? Eigentlich würde man sagen, dass das Fernsehen perfekt zur Kinovermittlung ist.

Meine Generation hat das noch anders erfahren. West 3 und seine Filmreihen, das war wie eine Kinemathek.

Grundsätzlich ist in Deutschland ja die Menge an ausgestrahlten Spielfilmen immens. Wenn man mal nach Spanien oder Italien geht: Da gibt es so was nicht, die haben den ganzen Tag nur ihre Shows mit Showtreppe. In Deutschland dagegen ist der Anteil von Kino am Fernsehen hoch.

Was heißt das mit der Quote eigentlich?

Die Kinomagazin-Sendung über Christian Petzold hatte 70.000 Zuschauer, das bedeutet einen Marktanteil von 0,4 Prozent. Da lief vorher auf 3Sat ein Film von ihm und gleich hatte die Sendung auch eine höhere Quote, weil viele Leute nach dem Spielfilm drangeblieben sind. Wenn man so etwas öfter machen würde, gäbe es vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit für das Format.

Wir möchten ja mit unserem Projekt auch versuchen, eine Geschichte dieser Formen und Formate zu schreiben. Das fängt irgendwann in der Breite an mit dem »filmkundlichen« Film in den 1950ern als Vorfilm im Kino. Dann passiert es seit den 1960ern im Fernsehen und entwickelt sich besonders im WDR, dem finanzstärksten Sender mit der starken Filmredaktion, wo sich sehr viele Formen ausprägen.

Euer Projekt hat ja auch was von einer Musealisierung von etwas, das in den letzten Zügen liegt. Ich frage mich immer, wie lange es das Kinomagazin noch geben wird. Wenn Reinhard Wulf nicht mehr da ist, dann bestimmt nicht mehr ...

Ist das sicher?

Reinhard Wulf behauptet die Sendung weiterhin. Und 3sat ist ja noch nicht so durchformatiert wie arte mittlerweile. Ich halte das für eine Sache von ein paar Jahren, bis die Senderleitung denkt: Das ist uns alles zu heterogen. Wir müssen sehen, dass wir das auf eine Schiene bringen. Dann gibt es vielleicht noch eine Kinosendung, aber die wird dann sicherlich anders aussehen. Was die Kontinuität des WDR anbelangt: Ich hatte ja vorher nicht viel mit dem WDR zu tun. Seltsamerweise ist Köln ja trotz des WDR keine große Kinostadt. Und der WDR ist eine Welt für sich. Richtig viel habe ich da eigentlich nie mitbekommen.

Bekommt man dann nachher eine Ahnung? Mythen?

Man sieht, was früher für bahnbrechende Sachen gemacht worden sind. Ich habe Werner Dütsch [Anmerkung: ehemaliges Mitglied der WDR-Filmredaktion] persönlich nie kennen gelernt. Das ist vielleicht so eine mythische Figur. Mit ihr verbindet man die glorreichen Siebziger. Wenn man dann sieht, mit wem der alles zusammen gearbeitet hat, und einem bewusst wird, dass das alles in Köln passiert ist, dann denkt man: Warum gibt es heute so was nicht mehr oder nur noch an den Rändern?

Die Kinogeschichte geht natürlich auch anders weiter, mit anderen Energieströmen und Verbindungen zu gesellschaftlichen Strömungen. Das Kino hat sich verändert und damit müssten sich auch die Formen der Reflektion über es verändern. Da ist aber auch eine Kontinuität, auf die man zurückgreifen können müsste und sie anzapfen für neue Produktionen und Perspektiven. Das »Kinomagazin« beispielsweise steht ja in einer eher dokumentarischen Traditionslinie. Kulturpolitisch versuchen wir mit unserem Projekt zu sagen: Arbeitet doch weiter an diesen Linien. Die Frage ist: Wo könnte das stattfinden, wenn das Fernsehen sich kaum noch dafür zu interessieren scheint? Im Internet, bei youtube?

Hier beim WDR sind die Produktionsbedingungen ja noch hervorragend. Man hat einen guten Cutter, um sein Material zu schneiden. Man hatte vorher einen guten Kameramann und man kann sich auch leisten, zum Interview mit Roy Andersson nach Stockholm zu fahren. Das hat man auf der youtube-Ebene nicht. Da gibt es bestimmt auch fähige Leute, aber sie haben nicht diesen Apparat hinter sich. Aber es wird immer schwieriger, solche Ressourcen, die da sind, für so was aufzubringen.

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