Filmvermittlung und Cinéphilie: Alain Bergala

»Du coq à l’âne – Des mains et des objets«
Anne Huet und Alain Bergala im Gespräch mit Agnès Varda

[1]Diese Mise-en-Scène dürfte eine Anspielung auf den Vorspann von Vardas Spielfilm Cléo de 5 à 7 sein.

»Was für eine Mise-en-scène!« –, so eröffnet Agnès Varda das Gespräch mit Anne Huet und Alain Bergala. Varda, Huet und Bergala sind um einen Tisch versammelt, der einzig aus der Aufsicht zu sehen ist. Die Kadrage hält ihre Körper und Gesichter aus dem Bild heraus, sodass ihre Stimmen auf der Grenze zwischen On und Off angesiedelt sind. Gezeigt werden nur die Hände und Gesten der Sprechenden und das, was diese Hände darüber hinaus noch mit auf den Tisch bringen. Die Gesprächspartner bilden ein Dreieck und Varda sitzt an dessen Spitze, die uns, dem Zuschauer, nahe ist. Ihr gegenüber: Alain Bergala und Anne Huet. Aus der Aufsicht betrachtet wirkt die Tischfläche wie ein Tableau. Die Handlungen, die sich innerhalb dieses Tableaus vollziehen, erscheinen aus ihrem Zusammenhang herausgelöst, so, als führten sie etwas vor: Mit den Händen sprechen und mit Objekten denken, das ist das Prinzip des Films, das durch die einfache Operation der Mise-en-Scène ins Bild gesetzt wird. [1] Der Filmtitel Du coq à l’âne – Des mains et des objets (»Gedankensprünge – Von Händen und Dingen«) spricht von diesem Prinzip.

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Ein paar Banknoten und ein Scheck sind die ersten Dinge, die Bergals Hände auf den Tisch legen. Geld auf grünem Untergrund, das lässt an einen Roulette-Tisch im Casino denken, nur dass hier kein buntes Plastikgeld zum Einsatz gebracht wird, sondern Dollar- und Euronoten. Varda fächert die Scheine auf dem Tisch auf, um sie kurzerhand beiseite zu legen und auf Bergalas Frage nach den Produktionsbedingungen ihrer Kurzfilme einzugehen. Varda führt aus: Auf ihren ersten Kurzfilm Ô saisons, ô châteaux (1957), eine von Pierre Braunberger produzierte Auftragsarbeit, folgte mit L’Opéra-Mouffe (1958) ein völlig freier, mit eigenen Mitteln finanzierter Film. Wenn dann in einem Filmausschnitt aus Ô saisons, ô châteaux sechs Hände von drei Figuren gezeigt werden, greift die Bildmontage von Du coq à l’âne das in der Mise-en-Scène angelegte Prinzip wieder auf: Drei Paare von Händen, die sich aneinander reiben und klatschen; Hände und Arme, die durch die Kadrage vom Körper abgetrennt sind; Hände von Landschaftsgärtnern, die es gewohnt sind zu arbeiten. Als von L’Opéra-Mouffe, Vardas Film über eine schwangere Frau, die Rede ist, schiebt Varda ihre vor dem Bauch zusammengehaltenen Hände über den Tisch ins Bild hinein, um zu zeigen, dass sie selbst während der Dreharbeiten zu diesem Film hochschwanger war. Und wenn sie über die geliehene 16mm-Kamera spricht, mit der sie die Aufnahmen für diesen Film gemacht hat, führen Vardas Hände vor, wie man eine kleine Handkamera bedient. Hände bei der Arbeit auch hier: Hände, die vormachen, wie man einen Film ohne professionelles Equipment schneidet. Dann wieder Bergalas Hände, die zur Veranschaulichung ein Godard-Foto ins Bild schieben: Godard beim Prüfen von Mustern, einen Filmstreifen senkrecht ins Licht haltend. Vardas Hände auf das Foto von Godard deutend und das Schneiden von Filmstreifen simulierend. Einen Film zu machen, das war im materiellen Sinne Handarbeit. L’Opéra-Mouffe, der auch ein Film über das Begehren (»le désir«) ist, steht in Vardas filmischer Biografie wie kein anderer für ihr Verlangen, Filme spontan und frei zu realisieren. Die kurze Form, so lässt sich das zusammenfassen, was Agnès Varda in Du coq à l’âne erzählt, ermöglicht ihr die Spontaneität im Schaffen, die es braucht, um eine Idee schnell umzusetzen. Kleine mobile Kameras, früher 16mm-, heute Digitalkameras, schaffen die technische Voraussetzung dazu. Die Geschwindigkeit, von der Varda hier spricht, schlägt sich auch in Du coq à l’âne nieder, nicht zuletzt weil diesem Film der Gedankensprung als Strukturprinzip zugrunde liegt.

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[2]Auch Birgit Kohler bleibt in diesem Bild, um Vardas Stil zu beschreiben: Unter »W wie Witz« schreibt sie in ihrem »Abécédaire« zu Les Glaneurs et La Glaneuse, Varda käme »vom Hundertsten ins Tausendste«. Vgl.: Birgit Kohler: Die Zeichen der Zeit. In: Frauen und Film 64/2004. S. 73-87: 85.

Du coq à l’âne arbeitet mit mehreren Bildebenen. Da ist zuerst der Tisch: Gut ausgeleuchtet und aus der Aufsicht gefilmt, dient er als Spielfläche für Hände und Dinge; das grüne Tischtuch erinnert auch an einen Billardtisch, auf dem eine Kugel eine andere in Gang setzt, so wie hier ein Gedanke, den Anstoß zu einem weiteren gibt – Assoziationsketten. Dazu passt auch die Verteilung der Sprecherrollen: Bergala und Huet sind Stichwortgeber und spielen Varda Fragen und Gegenstände wie Bälle zu. Varda kommentiert, assoziiert oder verwirft. Die Tischfläche stellt auch die Unterlage für eine weitere Bildebene dar, die für Fotografien, Postkarten und Gegenstände reserviert ist. Das grüne Tischtuch rahmt diese Bilder und Objekte wie ein Gänsefüßchen ein Zitat. Auf einer anderen Bildebene werden Filmausschnitte aus Vardas Kurzfilmen gezeigt. Diese Ausschnitte füllen das ganze Bild aus und sind durch die zusätzlich ins Bild gesetzten Filmtitel als Zitate markiert. Wenn Ausschnitte zu sehen sind, nutzt der Film unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs mit Ton: Es gibt Kommentare aus dem Off, die Varda über den Originalton ihres Films spricht, und es gibt Filmausschnitte, die ohne Kommentar einzig mit Originalton gezeigt werden. Einmal kommt es in Du coq à l’âne zu einem schönen Übergang zwischen Originalton und Kommentar. Zu einem Ausschnitt aus Elsa la Rose (1965) erzählt Varda aus dem Off von der Entstehung des Kurzfilms über das Künstlerpaar Louis Aragon und Elsa Triolet. In ihrer Erzählung nimmt sie einiges von dem vorweg, was Triolet kurz darauf im Film Elsa la Rose sagen wird. Wenn Triolet dann spricht, klingt es so, als ob Vardas indirekte Rede aus dem Off (»Elsa hat gesagt, dass...«) von Elsas wörtlicher Rede im On abgelöst würde. Kommentar und Originalton berühren sich kurz, wie wenn ein Staffelläufer den Stab in die Hand des nächsten reicht. So wird die Anwesenheit des Kommentars für einen Augenblick spürbar. Meist stehen in Du coq à l’âne jedoch die Bilder für sich, selbst wenn dazu gesprochen wird, findet keine Engführung zwischen Filmbild und Kommentar statt.

[3]Bereits in ihrem Langfilm Jane B. par Agnès V. (F 1986/87) setzt Varda die Redewendung »du coq à l’âne« wörtlich ins Bild: Mittels Schwenk verbindet sie innerhalb einer Einstellung die Aufnahme eines Hahns mit der eines Esels. Mit dieser »Montage ohne Schnitt« hält Varda in ihrem Film einen Moment inne und kommentiert aus dem Off die ökonomischen Bedingungen ihres Filmschaffens. »Du coq à l’âne«, das ließe sich auch als »reflexive Abschweifung« übersetzen.

Statt um einer analytischen Lektüre von Filmausschnitten verfolgt Du coq à l’âne die Strategie, Vardas Ästhetik auf den filmvermittelnden Film zu übertragen. So gehen sprachlich und visuell formulierte Wortspiele Hand in Hand: Man kommt von Hölzchen auf Stöckchen und vom Hundertsten ins Tausendste (»sauter du coq à l’âne«). [2] Das assoziative Spiel, das so typisch für Vardas Filme ist, findet einen zusätzlichen Nachdruck in der Buchstäblichkeit, mit der Bergala, Huet und Varda verfahren: Sie nehmen die Redewendung Du coq à l’âne wörtlich, indem sie eine Hahn- und eine Eselsfigur auf den Tisch stellen und davon ausgehend eine Montage aus den beiden Kurzfilmen Du côté de la côte und L’Opéra-Mouffe in Gang setzen, die mit dem Bild von einem Hahn beginnt und mit dem eines Esels endet. [3] Auch das kann »Du coq à l’âne« heißen: Beim Hahn anfangen und beim Esel ankommen. Zwischen der Rahmung durch Hahn und Esel werden Einstellungen aus unterschiedlichen Varda-Filmen aneinandermontiert, die um ähnliche Motive gruppiert sind: spielerische Montagen etwa von Körper und Kopf, Kopf und Maske, Kopf und Hut – »On remplace des mauvaises têtes« (»Wir ersetzen kaputte Köpfe«). Sie habe Angst, ihre Zuschauer zu langweilen, kommentiert Varda; das Publikum brauche visuelle Überraschungen. Während die Wiederholung und die Verlangsamung von Bildern, wie man sie beispielsweise aus Alain Bergalas filmvermittelnder Reihe »Le Cinéma – Une histoire de plans« kennt, Genauigkeit der Wahrnehmung sucht, fordert die Beschleunigung, die sich in Du coq à l’âne aus dem Strukturprinzip des »Gedankensprungs« ergibt, geistige Beweglichkeit.

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[4]»Tract« ist das französische Wort für Flugblatt. »Ciné-tracts« meint Flugblatt-Filme: »A tract is a short film or paper in which a certain social or political topic is examined.« Vgl.: Interview mit Agnès Varda von Dietmar Schwärtzler und Sylvia Szely. In: Rohstoff. Eine filmhistorische Recherche nach der kleinen Form. Dezember 2004. S. 6-17: 10.
[5]Einige dieser Sendungen wurden unter der Redaktion von Wilfried Reichart (WDR-Filmredaktion) in deutscher Übersetzung im WDR ausgestrahlt.

Vardas Kurzfilme, auch das ein Aspekt, den Du coq à l’âne streift, sind nicht allein Austragungsorte von visuellen Spielen, sondern haben auch Platz für politische Sujets. Ausschnitte aus ihrem »ciné-tract feministe« (Varda) Réponse de femmes (1975) und ihrem Dokumentarfilm Black Panthers (1968) belegen dies. [4] Die politische Seite ihres Filmschaffens wird in Du coq à l’âne zugunsten der medialen Bandbreite ihres Werks weniger stark beleuchtet. So werden etwa die Einflüsse der Fotografie auf ihre Filme und Installationen durch Ausschnitte aus ihrem Kurzfilm Ulysse (1982) und Bilder aus der installativen Arbeit Ping-pong tongs et camping (2006) herausgestellt. Varda war Fotografin, bevor sie Filme machte; seit sie Filme macht, fotografiert sie kaum noch. Weil sie die Geschichten liebt, die Fotos erzählen, habe sie oft und gern Fotos kommentiert. Für den Französischen Fernsehsender FR 3 ist in den 1980er Jahren eine Reihe von einhundertsiebzig »Mini-Filmen« entstanden, die den Titel Une minute pour une image (Eine Minute für ein Bild) trägt. [5] Jeder dieser Mini-Filme widmet sich der subjektiv motivierten Kommentierung eines Fotos – durch Varda selbst, durch andere Regisseure wie Maurice Pialat oder durch Laien. Du coq à l’âne führt einen Ausschnitt aus einer dieser Minutensendungen vor, in der Varda einen Kommentar zu einem Foto von Juan Fontcuberta spricht, das drei einzelne Hände in Aktion zeigt. Ein gestisches Bild, mit dem Varda das Spiel von »Schere, Stein, Papier« assoziiert und das in Korrespondenz zum Spiel der Hände in Du coq à l’âne steht. Vardas Minuten-Kommentar beginnt mit einer Ansprache an das Bild: »Bonjour M. le Poisson...!« (»Guten Tag, Herr Fisch...!«). Ein Foto zu kommentieren, das kann auch heißen »mit« dem Foto, statt »über« das Foto zu sprechen.

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[6]Les Glaneurs et la Glaneuse ist ebenso wie die Kurzfilm-DVD »Varda tous courts«, auf der Du coq à l’âne erschienen ist, von Vardas eigener Produktionsfirma Ciné-Tamaris und der von Bergala herausgegebenen und von Huet betreuten DVD-Edition »L’Eden cinéma« bei Scérén-CNDP erschienen.

Das Arbeiten am Kurzfilm ermöglicht es, allerlei verschiedene filmische Formate zu entwickeln: Filme von unterschiedlicher Länge und auf unterschiedlichem Material gedreht, ergeben unterschiedliche Formen. Die Freiheit der Form ist auch das, was Varda am Kurzfilm schätzt. Viele dieser kurzen Formate, so auch einige »Mini-Filme« aus der Reihe Une minute pour une image, finden sich als »boni« auf ihren selbst edierten DVDs und geben Auskunft über die Sammelleidenschaft der Regisseurin. Sie nutze die Boni-Option, um Bilder aus ihren persönlichen Archiven wiederzuentdecken und neu zu verwerten. In ihrem abendfüllenden essayistischen Dokumentarfilm Les Glaneurs et la glaneuse (Die Sammler und die Sammerlin), der in Du coq à l’âne nur durch das DVD-Cover repräsentiert ist, hat sie die Praxis des (Bilder-) Sammelns zum Thema gemacht. [6] Das Sammeln, Organisieren und Reorganisieren von Bildern und Objekten, das sich als ästhetische Strategie durch Vardas Filme zieht, scheint auch in Du coq à l’âne wieder auf. Die letzte Einstellung des Films zeigt, in einem Kader versammelt, noch einmal einige der von Bergala, Huet und Varda ins Spiel gebrachten Objekte: ein Diktiergerät, Fotos, Postkarten, eine Digitalkamera, Buchstabenwürfel, Flip-Flops, eine Kartoffel (als Referenz an Les Glaneurs et la Glaneuse), Hahn- und Eselsfiguren etc. etc.

Eine Montage aus Titelsequenzen von Agnès Vardas Kurzfilmen, die Du coq à l’âne gegen Ende vorführt, erzählt von den Produktionsbedingungen, unter denen sie zeitlebens gearbeitet hat. Der Abspann zeigt mal die Regisseurin, wie sie die Credits auf Schrifttafeln ins Bild hält, mal die Filmdosen, auf denen die Titel verzeichnet sind. Auch die von Varda selbst hergestellten Titelsequenzen tragen deutlich die Handschrift der Autorin und weisen sie einmal mehr auch als Produzentin ihrer Filme aus.

Je länger man Vardas Händen zusieht und ihrem Kommentar zuhört, desto deutlicher stellt sich der Eindruck ein, Varda habe die Regie von Du coq à l’âne übernommen – so sehr ähnelt die Ästhetik des filmvermittelnden Films der eines Varda-Films. So wie ein Foto und eine Titelsequenz etwas erzählen können, so lässt sich auch mit Filmbildern sprechen: »Dire avec des images!« lautet Vardas Schlusswort für Du coq à l’âne. »DIRE« sagen auch die bunten Buchstabenwürfel auf dem Tisch und unterstreichen so die performative Kraft, die in diesem Film überall wirksam ist.

Filmografie